14. Dezember 2022
Heute hat S. uns besucht. Vor drei Wochen hat Corona auch ihn erwischt. Er ist 37 Jahre alt, gesund und viermal geimpft. Trotzdem hatte er mit der milden Omikron-Variante reichlich zu kämpfen. Jetzt geht es ihm zum Glück langsam besser und ich hoffe natürlich inständig, dass er von Long Covid verschont bleibt.
Gleich nach der Begrüßung fragte er dich:
»Na, wie geht’s dir?«
»Mi geiht dat goot, mien Jung«, hast du geantwortet – wie immer, wenn er dich nach deinem Befinden fragt.
Ich sehe euch beide, wie ihr euch anlächelt, sehe den großen jungen Mann, der den Arm um den alten, gebeugten legt und denke zurück an den Tag, an dem ihr euch kennengelernt habt. Da lag S. bedeckt mit Blut und Käseschmiere auf meinem Bauch und die Hebamme reichte dir eine Schere:
»Wenn Sie wollen, dürfen sie die Nabelschnur durchtrennen.«
Eigentlich wolltest du nicht, hast du mir später gestanden, hattest Angst, etwas falsch zu machen, dem Baby oder mir zu schaden, aber du wolltest dich auch nicht vor der ersten an dich als Vater herangetragenen Aufgabe drücken. Beherzt hast du die unvermeidliche Trennung vollzogen. Doch viel Zeit, erleichtert und stolz auf das Vollbrachte zu sein, blieb dir nicht, denn gleich darauf wartete schon die nächste Aufgabe auf dich:
»Während Ihre Frau mit der Nachgeburt beschäftigt ist, dürfen Sie schon mal das Baby baden.«
Mit diesen Worten lotste dich die Hebamme aus dem Kreißsaal und so konntest du mir schließlich einen wohlduftenden, in weiche Frotteetücher gehüllten S. in den Arm legen. Beide betrachten wir ihn fasziniert und ich bildete mir ein, dass auch er uns ansah, obwohl Neugeborene ihren Blick angeblich noch gar nicht fixieren können.