«Auf der Reise konnten wir uns versöhnen» - demenzjournal.com

Roadtrip mit dem Vater

«Auf der Reise konnten wir uns versöhnen»

Hauke Dressler Finnland

Hauke Dressler reiste mit seinem Vater in den hohen Norden, wo die beiden vor vielen Jahren schon gemeinsam waren. Hauke Dressler

Der Fotograf Hauke Dressler hat seinen an Demenz erkrankten Vater in vielen Bildern festgehalten. Die Idee dazu kam ihm auf einer Reise in die Weiten Finnlands, die Vater und Sohn gemeinsam gemacht haben.

demenzjournal: Sie sind 2017 mit ihrem demenzkranken Vater nach Lappland gereist, wo Sie als Kind gemeinsam viele Sommer verbracht haben. Hatten Sie vorher Bedenken, ob das alles gut geht?

Hauke Dressler: Schon. Ich habe sogar den Hausarzt meines Vaters gefragt, ob er die Reise machen könne, und er hat mich darin bestärkt. Ich solle, meinte er, vor allem darauf achten, dass mein Vater ausreichend trinkt und schläft und warm eingepackt ist.

Wie ging es Ihrem Vater, als Sie die Reise angetreten haben, wie weit war die Krankheit fortgeschritten?

Die Auswirkungen waren schon sehr deutlich. 2013 hatte ein MRT deutliche Lücken in seinem Gehirn aufgewiesen. Mein Vater hatte sich immer wieder mit seinem Auto verfahren oder bei IKEA ständig neue Bilderrahmen und Thermoskannen gekauft, die dann nutzlos herumstanden – er hatte wohl vergessen, dass er bereits welche gekauft hatte. 2014 starb meine Mutter, danach hatte er einen deutlichen Krankheitsschub.

fotos für geo, stern und national geographic

Hauke Dressler, 53, lebt in Bremen. Als Fotograf arbeitet er für Magazine wie GEO, STERN und National Geographic, außerdem ist er Bildautor zahlreicher Bücher. 2018 wurde er mit der Reise, die er mit seinem Vater Fritz Dressler nach Finnland unternommen hat, in der Kategorie »Beste Foto-Reportage« für den Henri-Nannen-Preis nominiert. 2022 unterstützte Dressler als Botschafter den »Desideria Care Preis für Fotografie – Demenz neu sehen«. Fritz Dressler wurde 1937 geboren und starb 2020. Er war Architekt, Hochschul-Professor und erfolgreicher Fotograf, der für seine Arbeiten viel gereist ist.

Als wir zusammen losgefahren sind, lebte er noch zu Hause in seinem Haus in Worpswede, regelmäßig kamen ein Pflegedienst und eine Haushaltshilfe. Außerdem besuchten meine Schwester, meine ältere Tochter und ich ihn regelmäßig. Er wollte unbedingt in seinem Haus wohnen bleiben. Glücklicherweise war er meist heiter und gut gelaunt, konnte andere immer noch mit seinem Charme begeistern.

Hauke Dressler Finnland Demenz
Kurz vor dem Ziel am Polarkreis: Fritz Dressler im Tiefschnee auf dem See vor seiner Hütte.Bild Hauke Dressler

Wie hat Ihr Vater reagiert, als Sie ihm die Reise in die finnische Wildnis vorgeschlagen haben?

Er war sofort angetan. Ich hatte ihm von verschneiten Landschaften und dem Nordlicht erzählt, davon, dass wir früher als Familie regelmäßig in einer alten Hütte Urlaub gemacht hatten. Ihm gefiel die Idee. Er war Architekt und ebenfalls Fotograf gewesen, hatte selbst oft verrückte Reisen gemacht. Als ich 16 war, sind wir zusammen in Indien gewesen, er hat mir das Land gezeigt und ist dann ohne mich zurückgefahren. Ich war dort für eine gewisse Zeit auf mich gestellt und wahnsinnig stolz, dass ich das hinbekam.

Was haben Sie auf der Finnland-Reise über ihren Vater gelernt?

Ich konnte mir ein besseres Bild von seiner Krankheit machen, ich war ja mehrere Tage 24 Stunden mit ihm zusammen. Ich habe gemerkt, wie unruhig er war, nachts ist er mehrfach aufgestanden, auch tagsüber war er ruhelos. Als ich einmal nicht da war, hat er sich in einem Hotel in andere Betten gelegt und seine Sachen überall verteilt, in Skandinavien sind Hotelzimmer ja oft nicht abgeschlossen.

Film «Dear Memories»

«Die Kamera hält Thomas auf der Welt»

Thomas Hoepker (86) hat durch Alzheimer viele Erinnerungen und Worte verloren. Dies hindert ihn nicht daran, weiterhin täglich hunderte von Fotos zu machen. … weiterlesen

Es war naiv von mir, ihn in unserem Zimmer allein zu lassen. Mir ist klar geworden, dass er auch zu Hause mehr Pflege brauchte, deshalb habe ich nach der Reise mehr Einsätze von Pflegekräften für ihn organisiert. Ich kann nur allen Angehörigen von Menschen mit Demenz raten, mal 48 Stunden mit der erkrankten Mutter oder dem Großvater zu verbringen, dann weiß man viel besser, was ein Betroffener braucht.

Konnte sich Ihr Vater auf der Reise über die gemeinsamen Erlebnisse freuen, oder hat ihn die Fahrt eher gestresst?

Ich denke, die Strapaze, so weit zu fahren, war für ihn größer als der Gewinn. Er hat die finnische Hütte nicht mehr wiedererkannt, dabei war sie mal der wichtigste Ort seines Lebens gewesen. Früher hatte er lange Autofahrten genossen, mochte es, in Skandinavien unterwegs zu sein. Dieses Mal war es anders, schon am dritten Tag sagte er, er wolle zurück nach Hause.

Das bedeutet ja letztlich: Ich möchte zu mir selbst zurückkehren, brauche etwas Vertrautes. Als Angehöriger denkt man, man hätte etwas falsch gemacht. Ich wollte ihm mit der Reise ein Geschenk machen, musste aber akzeptieren, dass es bei ihm so nicht ankam. Am Ende habe ich ihn in ein Flugzeug gesetzt, damit er die lange Rückfahrt nicht im Auto machen musste.

Hauke Dressler Demenz Finnland
Fritz Dressler war selber ein angesehner und erfolgreicher Fotograf.Bild Hauke Dressler

Gab es auf der Reise auch Momente, in denen er glücklich war?

Auf jeden Fall. Wenn ich ihn gefragt habe, ob wir mal anhalten wollen, um zusammen Fotos zu machen, hat er sofort zugestimmt. Für ihn war es immer ein Reflex gewesen, zur Kamera zu greifen oder sich Kameras anzuschauen, das ist auch mit der Krankheit so geblieben. Mein Vater hat auf der Reise mehr fotografiert als zu Hause, weil wir es gemeinsam gemacht haben. Ein anderer Moment, der sehr schön auf der Reise war: Wir haben spielerisch Schneebälle aufeinander geworfen, das hat uns beiden Spaß gemacht.

Hat sich Ihr Verhältnis durch die Reise verändert?

Ja. Wir hatten vorher ein distanziertes Verhältnis, mein Vater war sehr selbstbezogen, das war für mich schwierig. Ich fand es nicht in Ordnung, wie selbstherrlich er sich gegenüber meiner Mutter und meiner Schwester verhalten hat, und hätte mir nie vorstellen können, wieder ein engeres Verhältnis zu ihm zu bekommen. Die Reise hat mich ihm näher gebracht, ich hatte jetzt Verantwortung für ihn, und er hat den Rollentausch akzeptiert.

Stolen Moments

Was zählt, ist der Augenblick

Mit der Veröffentlichung des Fotobuchs «Stolen Moments» geht für den an Alzheimer erkrankten Werber und Fotografen Daniel Comte ein Traum in Erfüllung. Sechs … weiterlesen

Er hat sich mir anvertraut, hat sich an mich angelehnt, das war schön für mich. Gleichzeitig war ich immer noch sein Sohn, auch wenn ich es war, der sich wie ein Vater um ihn kümmerte. Emotional hat die Reise also ganz viel gebracht, auch wenn er Orte nicht wiedererkannt hat und die Fahrt für uns beide anstrengend war. Am Ende konnte ich ihm sogar verzeihen, den Groll auf ihn und seine Selbstbezogenheit hinter mir lassen.

Meinen Sie, dass die Reise auch ihm das Gefühl einer größeren Nähe zwischen Vater und Sohn gab?

Ich denke schon. Danach hatten wir noch drei gute Jahre miteinander, das wäre ohne die Fahrt so nicht passiert.

Hat er hinterher noch viel von der Reise gesprochen?

Nicht wirklich. Aber wir haben zusammen die Fotos angesehen, die er und ich auf der Reise gemacht haben, dadurch hatten wir wieder etwas Gemeinsames. Außerdem haben wir Bilder angeschaut, die er früher von seiner Familie gemacht hat, als ich noch ein kleines Kind war und er ein junger Mann. Ich habe gemerkt, wie ihn das berührt hat. Fotos waren immer seine Ausdrucksform gewesen, sie stimulieren andere Bereiche im Gehirn als die Sprache.

Hauke Dressler Finnland Demenz
Vater und Sohn machen ein Spiegel-Selfie.Bild Hauke Dressler

Wann ist bei Ihnen die Idee entstanden, Ihren Vater über mehrere Jahre mit seiner Krankheit zu fotografieren?

Die Idee ist mir auf der Reise gekommen. Ich wollte ihn festhalten, für die Familie, für die Freunde. Dabei wollte ich positive Bilder erzeugen, das, was von ihm noch da war, wertschätzen und zeigen.

War es Ihnen auch mal unangenehm, Ihren Vater in seiner Krankheit zu fotografieren? Hatten Sie das Gefühl, eine Grenze zu überschreiten?

Mehrfach. Wobei für mich die Grenzüberschreitung nicht im Fotografieren lag, da empfand ich keine Scham. Unangenehm ist mir, wenn andere die Bilder sehen, die die Hässlichkeit des Krankseins zeigen. Diese Aufnahmen habe ich später nicht mehr rausgeholt. Ich möchte die positiven Bilder sehen, nicht den Schmerz oder die Verlorenheit, die sich in seinem Gesicht ab und zu gespiegelt haben.

Meinen Sie, dass er Sie bis zuletzt erkannt hat?

Ich glaube, er wusste nicht mehr, dass ich sein Sohn bin und Hauke heiße. Aber ich habe gespürt, wie er sich gefreut hat, mich zu sehen, das war mir genug.

Durch die Fotografie haben Sie eine gemeinsame Sprache gefunden. Wie können Angehörige einen Zugang zu ihrem erkrankten Vater oder der Tante finden, jenseits der gesprochenen Sprache?

Ich würde dazu raten, immer wieder zu experimentieren. Das kann Musik oder Malen sein, aber auch etwas Abseitiges. In der Demenz-WG, in der mein Vater in seinem letzten Lebensjahr war, gab es kleine Rennautos zum Aufziehen, damit haben wir gemeinsam gespielt. Er war immer ein sehr guter Tennisspieler gewesen, wir haben uns dann Bälle zugeworfen und versucht, sie aufzufangen. Man kann immer etwas Neues ausprobieren.

Hauke Dressler Demenz Finnland
Und noch ein Selfie, diesmal am Polarkreis.Bild Hauke Dressler