Hallo! Ich bin Lena. Ich wohne noch zu Hause mit meinen Eltern und meinem Bruder. Der zweite Bruder ist bereits ausgezogen. Unter der Woche habe ich die Möglichkeit, in einem Zimmer in meiner Schule zu wohnen, da ich sonst einen langen Schulweg hätte.
Diesen Text habe ich im Rahmen meiner Maturarbeit geschrieben. Mein Vater hat eine Frontotemporale Demenz und ich habe gemerkt, wie viele Hürden eine solche Krankheit mit sich bringt. Ich wollte in der Maturarbeit über etwas schreiben, das mir sinnvoll erscheint und mir auch persönlich etwas bedeutet.
Meiner Meinung nach gibt es nichts Sinnvolleres als mit den eigenen Erfahrungen anderen in der gleichen Lage zu helfen. Ein Eierschalensollbruchstellenerzeuger ist vielleicht noch sinnvoller, aber darüber eine Maturarbeit schreiben? Ich weiss nicht recht.
Wie ihr spätestens jetzt bemerkt habt, will ich die Sache so locker wie nur möglich angehen, es aber trotzdem ernst nehmen, da ich mir bewusst bin, wie schmerzhaft es für Angehörige sein kann, dem Krankheitsverlauf zusehen zu müssen.
Ich schreibe diesen Text so, wie ich mein Leben zu leben versuche: Humor ist immer gut, Humor hilft immer.
Bevor ich jetzt von mir und meinem Papa erzähle, möchte ich noch auf etwas hinweisen, das mir wichtig ist: Dieser Text darf auf keinen Fall als Ratgeber wahrgenommen werden, das ist er nicht. Es ist ein Erfahrungsbericht.
Ich erzähle lediglich von meinen Erlebnissen, um Angehörigen zu zeigen, dass es noch andere gibt, die dasselbe durchmachen. Ich will keineswegs «kluge» Ratschläge verteilen, mit denen es leichter werden soll, denn solche existieren nicht. Jede:r muss für sich selbst herausfinden, wie er oder sie am besten damit umgeht.
Diesen Text verfasse ich, weil ich mein Wissen und meine Erfahrungen über den Krankheitsverlauf der Frontotemporalen Demenz (FTD) teilen möchte. Für mich fühlt es sich oft so an, als ob Aussenstehende nie FTD verstehen, sondern sich immer an die Vorstellung von Alzheimer halten – egal wie viel ich darüber erzähle.
wenn du darüber reden willst …
Mit diesem Text möchte ich Jugendlichen etwas geben, damit sie sich verstanden fühlen. Also merkt euch: Obwohl die Krankheit selten ist, seid ihr nicht die einzigen – es gibt mindestens drei andere Jugendliche in der Schweiz mit einem Elternteil, das an FTD erkrankt ist: nämlich mich und meine beiden Brüder. Falls du also mit jemandem darüber reden möchtest, ich bin da: lss.lena03[at]gmail.com 🙂
Wie funktionieren unsere Nervenzellen?
Bevor ich von meinen Erfahrungen erzähle, möchte ich kurz und einfach erklären, was eine Frontotemporale Demenz ist. Dazu sollte man etwas über das Gehirn und den Informationsaustausch im Körper wissen. Also los geht’s!
Nervenzellen nehmen Reize aus der Umwelt auf und leiten sie zum Gehirn weiter. Wenn du diesen Text liest, nehmen deine Augen die Buchstaben wahr, deine Finger das Gefühl des Papiers und deine Nase den Duft des heissen Kaffees, den du vielleicht gerade trinkst. Alle diese Dinge, die du mit deinen Sinnen wahrnimmst, werden von Nervenzelle zu Nervenzelle bis in dein Gehirn transportiert, wo die Informationen ausgewertet werden. Dann leiten die Nerven die Befehle des Gehirns zu den Muskeln und anderen Körperteilen weiter.
Falls dein Kaffee noch sehr heiss ist und du dich verbrühst, wird diese Information ins Gehirn geleitet, und das befiehlt dir dann, schnell die Tasse abzusetzen. Eventuell schreit dein Mund etwas Unanständiges.
Wie Informationen ins Gehirn wandern
Nervenzellen sehen aus wie ein Baum mit längeren und kürzeren Ästen. Ich habe euch hier eine Nervenzelle skizziert. Zeichnen ist keines meiner Talente, wie ihr sehen könnt:
Diese Ästchen nennt man Dendriten. Hier kommen Informationen an. Den Stamm des Baumes nennt man Axon. Er leitet Informationen weiter, meistens an die nebenanliegende Nervenzelle. Durch viele Verbindungen von Axonen und Dendriten entsteht ein Netz.
Durch das Axon kommt eine Information in der Form eines elektrischen Impulses. Der heisse Kaffee löst in einer Nervenzelle, die auf Wärmewahrnehmung spezialisiert ist, einen elektrischen Impuls aus, welcher über das Axon zur Synapse gelangt. Die Synapse ist das Ende der Nervenzelle. Die Synapse und der Anfang der nächsten Nervenzelle berühren sich aber nicht. Dadurch entsteht ein Spalt: der synaptische Spalt. Der elektrische Impuls muss jetzt über diesen Spalt, um weiterzukommen. Und das macht er so:
Am Rand der Synapse sind Bläschen, gefüllt mit einem chemischen Stoff. Wenn der elektrische Impuls dort ankommt, schickt er diese Bläschen in den synaptischen Spalt. Der Stoff in den Bläschen wandert durch den Spalt an den Anfang der benachbarten Nervenzelle. Dort docken sie an die Rezeptoren an und lösen einen weiteren elektrischen Impuls aus. Der macht dann genau dasselbe, bis der Impuls im Gehirn angekommen ist.
Damit die elektrischen Impulse sicher in den Nervenzellen wandern können, sind die Nervenzellen von einer Schicht umgeben: Myelin. Diese Schicht isoliert die Nervenzelle wie bei einem elektrischen Kabel. Wer das Ganze nochmal als Film will, bitte schön:
Was passiert bei FTD im Gehirn?
Das Gehirn ist in Teile aufgegliedert, die verschiedene Aufgaben haben: zum Beispiel Bewegungen speichern, Gefühle steuern oder Informationen der Sinneszellen auswerten.
Das Stirnhirn oder der frontale Lappen ist das Hauptzentrum unserer Emotionen und unserer Persönlichkeit. Diese Hirnregion interessiert uns besonders, weil sie eine wichtige Rolle spielt bei der Frontotemporalen Demenz.
Symptome der Frontotemporalen Demenz (die fachsprachlich Frontotemporale Lobäre Degeneration heisst) sind:
- Verhaltensauffälligkeiten, also unangemessenes oder enthemmtes Verhalten,
- Veränderung des Sprachverhaltens,
- Probleme bei Ausführungen (zum Beispiel Zähneputzen)
- und die Abnahme der Aufmerksamkeit.
Bei FTD sterben die Nervenzellen im Stirnhirn ab. Dadurch ändert sich im Verlauf der Krankheit das Wesen und das Verhalten des oder der Betroffenen stark.
Im Gegensatz zu Alzheimerpatienten, die lange relativ selbständig sind, verändern sich FTD-Betroffene sehr schnell und extrem.
Sie werden nicht einfach «etwas komisch» oder vergessen ein paar Dinge, sondern entwickeln eine ganz neue Persönlichkeit. Die Krankheit kann gegenwärtig nicht gestoppt werden und ist leider auch nicht heilbar.
Frontotemporale Demenz (FTD) ist eine sehr seltene Demenzform und es ist oft ein langer Weg, bis die Diagnose steht. Dies kommt daher, dass die ersten Symptome Persönlichkeitsveränderungen sind und deshalb anfangs oft andere psychische Krankheiten in Frage kommen, zum Beispiel eine Depression oder ein Burn-Out.