»Verstecken bringt nur Missverständnisse und Stress« - demenzjournal.com

Beni Steinauer

»Verstecken bringt nur Missverständnisse und Stress«

Beni Steinauer geht offen um mit seiner Demenz. Seine Mitmenschen reagieren darauf positiv und hilfsbereit. Zusammen mit seinem Ehemann Rolf Könemann ist er zum Botschafter für mehr Teilhabe und Lebensqualität geworden. Am Demenz Meet in Basel vom 17. Juni erzählen die beiden ihre ermutigende Geschichte.

Von Peter Wißmann, Beni Steinauer und Rolf Könemann

Beni sitzt im Bus. Er sieht eine alte Dame, die Mühe hat beim Einsteigen. Beni steht auf und bietet ihr seine Hilfe an. Der Einstieg gelingt, die Dame setzt sich mit einem Seufzer neben Beni und sagt: «Vielen Dank! Bei mir geht es nicht mehr wie früher.»

Beni lächelt sie an und sagt: «Ich verstehe das. Bei mir klappt es auch nicht mehr richtig. Ich habe Demenz.»

«Wie kann das sein? Sie sind doch viel zu jung für so etwas!»

Während der Bus Richtung Bahnhof fährt, entsteht ein angeregtes Gespräch. Die Frau will wissen, wie sich eine Demenz anfühlt und entwickelt. Zum Abschied wünscht sie Beni alles Gute und sagt, sie habe viel Neues erfahren. Beni wird an diesem Tag noch mehr solche Gespräche führen.

Rolf kennt solche Geschichten und freut sich jedes Mal aufs Neue. «Ich finde es toll, wie Beni das macht. Wie er mit seinen Handicaps umgeht. Manchmal mache ich mich darüber ein wenig lustig. Na, sage ich dann, nach dem dritten Satz weiß so ziemlich jeder, dem du begegnest, dass du eine Demenz hast. Aber das meine ich spaßig. In Wirklichkeit bin ich ein bisschen stolz darauf, dass er das so macht.

Anfangs hatte ich damit durchaus meine Schwierigkeiten, es war mir ein wenig peinlich. Aber das sehe ich mittlerweile ganz anders.» Oft erleben sie beide zusammen solche Situationen und nutzen die Gelegenheit, anderen Menschen ganz persönlich etwas zu vermitteln, was diese vorher nicht wussten. 

Beni und Rolf lassen sich bei einem jungen türkischstämmigen Mann die Bärte schneiden. Der Barbier sagt Beni, wie er den Kopf halten soll. Beni hat Schwierigkeiten, den Aufforderungen zu folgen. Der Barbier ist erstaunt. Rolf mischt sich ein: «Mein Mann kann das nicht so schnell umsetzen. Er hat Demenz.»

Der Barbier kann das nicht einordnen und glaubt, dass Beni Multiple Sklerose hat. Rolf lässt sein Smartphone «Demenz» auf Türkisch übersetzen und zeigt es dem Barbier. Der junge Mann hat sich noch nie mit dem Thema auseinandergesetzt. Es entwickelt sich ein intensives Gespräch über Krankheit, Tod und den Glauben an höhere Mächte.

«Das war toll, das gibt mir Kraft! Ich liebe solche Gespräche. Und es ist immer wieder erstaunlich, wie interessiert die Menschen an einem solch schwierigen Thema sind, wenn da eine lebendige Person vor ihnen sitzt und erzählt», schwärmt Beni. Wie steht es in der Gesellschaft mit Blick auf den Umgang mit dem Thema Demenz?  «Es hat sich schon Vieles in Richtung auf einen besseren Umgang entwickelt», meinen Beni und Rolf. Aber es muss noch viel mehr getan werden.

Kaum jemand weiss, dass es jüngere Menschen mit Demenz gibt

Gerade auch, wenn es um jüngere Menschen geht, die kognitive Einschränkungen haben. Denn sie fallen weitgehend immer noch aus dem Blick der Menschen heraus. Nur wenige Menschen wissen, dass es auch jüngere Betroffene gibt. Und kaum jemand hat deshalb auch eine Vorstellung davon, vor welchen Problemen solche Personen im Alltag stehen. Rolf:  «Was Beni macht, die Menschen um ihn herum ganz selbstverständlich und locker über seine Situation zu informieren und damit wirklich tolle Gespräche auszulösen, ist ein Weg, um eine größere Sensibilisierung zu erreichen.»

Beni und Rolf am Demenz Meet in Basel

Am Samstag, 17. Juni 2023 findet in Basel das Demenz Meet statt. Die Veranstaltung soll Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen ermutigen, inspirieren und vernetzen – unter anderem mit einer Mutmach-Geschichte von Beni Steinauer und Rolf Könemann.

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«Ja sicher. Wenn wir nicht darüber sprechen, wie sollen es andere Menschen dann erfahren und lernen? », sagt Beni.  «Das sollten noch viel mehr Betroffene tun. Dann bewegt sich auch etwas.»

Offenheit schafft Beinfreiheit

Aber stößt man, wenn man so offen ist, nicht auf Ablehnung bei anderen Menschen? Muss man nicht negative Reaktionen erwarten, Unverständnis, Anmache und vielleicht sogar Beleidigungen?  «Ganz und gar nicht», beteuern Beni und Rolf.  «Wir sind nie auf negative Reaktionen gestoßen. Nun gut, einmal doch. Da ging es um eine falsch sitzende Corona-Maske. Aber auch das ließ sich dann schnell klären. »

Beni und Rolf haben am Buch «Das Leben meistern» mitgewirkt

Peter Wißmann und Christina Pletzer

Das Leben meistern

«Wir wollen Mut machen»

Scham, Bevormundung, Angst, Ungeduld: Die meisten Probleme, die im Zusammenhang mit einer Demenz auftauchen, haben mit der Krankheit selber wenig zu tun. Peter … weiterlesen

Benis Offenheit nutzt ihm im Alltag sehr.  «Wie oft gehe ich zum Lädeli in unserem Ort, um Kleinigkeiten einzukaufen. Oder in die Apotheke. Und wie oft vergesse ich dabei dann, das Geld oder aktuell die Corona-Maske mitzunehmen. Aber alle wissen Bescheid! Und sie helfen mir deshalb auch in solchen Situationen aus der Patsche.

Buch «Herausforderung angenommen – unser neues Leben mit Demenz»

Im Mittelpunkt des Buches von Peter Wißmann, Beni Steinauer und Rolf Könemann stehen das Leben und der Alltag von Beni und Rolf. Sie beschreiben, wie sie sich kennengelernt, geheiratet und gemeinsame Reisen genossen haben. Eindringlich schildern sie, wie sich die Demenz erstmalig bemerkbar machte und wie sie fortan ihr Leben und ihr Beziehung verändert hat.

Klar benennen sie, was sie im Leben weiterbringt, wie gute Freunde, Familie, Haustiere, Selbsthilfegruppen, Reisen, Gesang, Musik, Neugier und Offenheit. Aber auch, was verzichtbar wäre, wie Halluzinationen, Sorgen, Lewy-Body, Trauer und Zukunftsängste.

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Auch in dem Haus, in dem Beni und Rolf wohnen, wissen alle Bescheid. Renate, die über achtzigjährige Nachbarin, hilft Beni, wenn dieser Probleme mit dem Gürtel seiner Hose oder mit dem Reißverschluss seiner Jacke hat. So kann Beni auch aus dem Haus, wenn Rolf nicht da ist und ihn unterstützen kann.

Selbst ein Mieter des Hauses, zu dem Beni und Rolf eigentlich nie Kontakt hatten und der von der gesamten Nachbarschaft als Sonderling abgetan wird, bot Beni spontan an, dass er ihn jederzeit um Hilfe fragen könne. Die beiden hatten sich zufällig beim Einkauf getroffen und Beni hatte sich nicht gescheut, auch diesem Mann von seiner Demenz zu erzählen.

Wenn ich meine Maske vergessen habe, bringt man mir schnell eine vor die Eingangstüre des Geschäfts. Und der Chef dort hat seine Leute darauf geeicht, mir an der Kasse beim Einpacken des Einkaufs zu helfen. Wenn ich versuchen würde, meine Schwierigkeiten zu verstecken, gäbe es doch nur Missverständnisse und Stress.»

Beni und Rolf im Interview zum Buch «Herausforderung angenommen»

YouTube/KuKuK-TV

Auch der vermeintliche Sonderling ist nett und hilfsbereit

Rolf hat das zu denken gegeben.  «Da läuft man Ewigkeiten an einem Menschen vorbei, lässt sich vom Gerede anderer negativ beeinflussen, ohne überhaupt zu wissen, warum diese Person als ‚komisch‘ tituliert und irgendwie ausgegrenzt wird, und dann geht Beni auf diesen Menschen einfach offen zu, redet mit ihm und siehe da: Der entpuppt sich als ganz nett und zeigt spontan große Hilfsbereitschaft! Das zeigt mir, wie schnell man selbst andere Personen ungerecht behandelt und links liegen lässt. Das passiert nicht nur Menschen, die eine Demenz oder eine andere Behinderung haben.»

Beni und Rolf sind sich einig: Wenn man ganz offensiv mit seinen Beeinträchtigungen umgeht, hat man es leichter. Und gleichzeitig trägt man dazu bei, dass immer mehr Menschen die Möglichkeit erhalten, Verständnis für andere Menschen in einer schwierigen Situation zu entwickeln. «Nur so kommen wir schließlich in unserer Gesellschaft weiter und reden nicht nur theoretisch über Inklusion, Demenzfreundlichkeit und wie man das alles nennt.»

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Der nächste Schritt hinaus

Das Paar aus Inzlingen bei Basel geht noch einen Schritt weiter: Über das unmittelbare Umfeld hinaus in die Öffentlichkeit. Das ergab sich zufällig. Der erste Schritt war ein großer Artikel in der «Basler Zeitung», in dem Beni über seine Situation und Diagnose berichtet. Dann besuchten Beni und Rolf das Demenz Meet in Zürich. Sie wollten dort Informationen und Rat einholen.

Dem Veranstalter Daniel Wagner fielen die beiden Männer auf. Er lud sie zur Folgeveranstaltung im darauffolgenden Jahr ein – nicht als Teilnehmer, sondern als Vortragende. Dort erzählten sie ihre Geschichte zum ersten Mal vor großem Publikum. Die Besucher waren von ihrer Offenheit beeindruckt und berührt. Eine Erfahrung, die sich in der Folge wiederholen soll. Beni und Rolf bereuen es trotz ihres anfänglichen Lampenfiebers nicht, diesen Schritt in die Öffentlichkeit gemacht zu haben.

Beni Steinauer und Rolf Könemann Demenz Aufklärung
Beni (links) und Rolf unternehmen viel und geniessen die schönen Seiten des Lebens.Bild Rolf Könemann

Viele Personen geben ihnen die Rückmeldung, dass ihr Auftritt ihnen mehr Verständnis als je zuvor für die schwierige Situation von Menschen gegeben hat, die mit einer Demenz leben. Oder dass sie sich ermutigt fühlen, zukünftig selbst auch offensiver mit ihren eigenen Einschränkungen umzugehen.

Dies wiederum motivierte Beni und Rolf zu weiteren Auftritten. Mittlerweile inspirierten sie Millionen von Menschen. Die beiden referierten auf vielen Veranstaltungen, verkündeten ihre wichtigen Botschaften in etlichen Zeitungen, Radio- und TV-Stationen, Podcasts und auf Youtube-Kanälen.

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Beni ist auch einer der Geburtshelfer von EmpowerMenz. Mittlerweile gehören dem Netzwerk 18 Selbsthilfegruppen, Gesprächsgruppen und lokale Initiativen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz an. EmpowerMenz schließt Selbsthilfegruppen zusammen, fördert den Austausch und die Teilhabe von Menschen mit Gedächtnisproblemen.

Mit einfachen Worten bringt Beni seine Mission auf den Punkt:  «Man muss den Betroffenen doch sagen, dass sie sich nicht verstecken sollen. Das bringt doch nichts! Darum sage ich: Geht raus, sprecht darüber, geniert euch nicht. Nutzt die Zeit, das hilft euch und den anderen.»


Dieser Beitrag entstand aus einem Auszug aus dem Buch «Herausforderung angenommen – Unser neues Leben mit Demenz», das Beni Steinauer und Rolf Könemann in Zusammenarbeit mit Peter Wißmann geschrieben haben. Es ist 2022 im Hogrefe Verlag erschienen.

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