Pflegende Angehörige sind nach wie vor finanziell benachteiligt
Eine besondere Form der Unterstützung für einen Teil der pflegenden Angehörigen haben einige Spitex-Organisationen gefunden: Sie stellen unter gewissen Voraussetzungen die Angehörigen in ihrer Organisation ein.
Bild Dominique Meienberg
Den einen geht er zu wenig weit, die anderen lehnen ihn gänzlich ab: Der Gesetzesentwurf des Bundesrates zur Entlastung pflegender Angehöriger wurde vor kurzem ans Parlament weitergereicht. Für Angehörige von Langzeitkranken bringt er keine Entlastung.
Pflegende Angehörige entlasten das Gesundheitswesen massiv. Selbst kommen sie allerdings oft finanziell unter Druck, denn mit einer Arbeitsstelle lässt sich die Pflege von Angehörigen meist nicht gut vereinbaren.
Der Vorschlag des Bundesrates: Lohnfortzahlung bei kurzen Abwesenheiten, ein längerer Betreuungsurlaub für Eltern schwer kranker Kinder sowie AHV-Betreuungsgutschriften, auch wenn die pflegebedürftige Person nur leichte Hilflosenentschädigung beansprucht.
Diesen Gesetzesentwurf zur Entlastung von pflegenden Angehörigen schickte der Bundesrat letzten Sommer in die Vernehmlassung, die inzwischen abgeschlossen ist. Ende Mai wurde der Vorschlag ans Parlament weitergereicht.
Betroffenen sowie Organisationen und Verbänden, die sich für pflegende Angehörige einsetzen, geht der Entwurf zu wenig weit.
So enthält er keine Massnahmen für pflegende Angehörige von langfristig erkrankten Personen wie zum Beispiel Menschen mit Demenz. Travail.Suisse forderte dementsprechend in der Vernehmlassung, dass es eine Lösung für die Frage der Lücken in der beruflichen Vorsorge jener Personen brauche, die für die Angehörigenbetreuung ihr Arbeitspensum reduzieren oder die Erwerbstätigkeit ganz aufgeben.
«Es macht Menschen krank, wenn sie mit ihren Problemen allein gelassen werden. Deshalb ist es gut, dass es demenzjournal.com gibt.»
Bereits jetzt erhalten pflegende Angehörige finanzielle Entlastung. Sie müssen allerdings viele Bedingungen erfüllen und die Entschädigungen sind minim. Eine der Bedingungen ist, dass die zu pflegende Person Ergänzungsleistungen (EL) erhält. Diese sind für Rentnerinnen und Rentner in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen gedacht, damit sie zusammen mit der AHV ein gesetzlich festgelegtes Mindesteinkommen erreichen.
2018 bezogen in der Schweiz 209’190 Personen EL. Zieht man diejenigen ab, die in einem Heim leben, bleiben noch 160’146. In der Verordnung auf Bundesebene über die Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten bei den Ergänzungsleistungen (ELKV) wird festgehalten:
Die Kosten für Pflege und Betreuung durch Familienangehörige werden nur vergütet, wenn die betreffenden Angehörigen nicht in der EL-Berechnung eingeschlossen sind und durch die Pflege und Betreuung eine länger dauernde, wesentliche Erwerbseinbusse erleiden. Die Kosten werden höchstens im Umfang des Erwerbsausfalls vergütet.
Für die notwendige Hilfe im Haushalt können Angehörige ebenfalls Kosten geltend machen. Aber nur, wenn sie nicht im gleichen Haushalt leben. Pro Stunde wird dann ein Maximalbetrag von 25 Franken bei höchstens 4800 Franken pro Kalenderjahr vergütet.
In der Umsetzung der ELKV-Verordnung auf Kantonsebene können weitere Einschränkungen auf die pflegenden Angehörigen zukommen. Der Kanton Aargau beispielsweise setzt voraus, dass die Betroffenen eine mittlere oder schwere Hilflosenentschädigung beziehen und dass die pflegenden Angehörigen das ordentliche AHV-Alter noch nicht erreicht haben.
Bei den Sozialberatungen von Pro Senectute kommen Anfragen zur Vergütung der Haushaltskosten regelmässig vor. Dass Angehörige aber eine Vergütung des durch die Betreuung verursachten Erwerbsausfalls beantragen, ist selten:
«Wir raten Angehörigen, die diesen Schritt erwägen, sich unbedingt vorab beraten zu lassen, da die Höhe der Vergütung je nach Kanton sehr unterschiedlich sein kann, was ein finanzielles Risiko darstellt», sagt Judith Bucher, Medienverantwortliche Pro Senectute Schweiz.
Im Kanton Aargau haben 2018 gerade mal fünf EL-Versicherte, alle mit einer IV-Rente, Kostenvergütungen für die Pflege und Betreuung zu Hause durch Familienangehörige erhalten. Der Gesamtbetrag belief sich auf rund 110‘000 Franken, wie die SVA Aargau auf Anfrage mitteilt.
Pflegende Angehörige als Spitex-Angestellte
Eine besondere Form der Unterstützung für einen Teil der pflegenden Angehörigen haben einige Spitex-Organisationen gefunden: Sie stellen die Angehörigen in ihrer Organisation ein. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der oder die Angehörige eine Ausbildung im Pflegebereich, mindestens auf Niveau Pflegehelferin SRK, hat.
«Einerseits um die Anforderungen an die pflegerischen Kompetenzen zu erfüllen, andererseits damit wir die Leistungen abrechnen können und die Vorgaben der Krankenversicherer erfüllen», sagt Christina Gygax, Geschäftsführerin der Spitex Region Köniz, die den Angehörigen dieses Modell schon seit acht Jahren anbietet.
Es handle sich um ein ganz normales Anstellungsverhältnis mit Lohn und Leistungen, die auch die anderen Mitarbeitenden bekommen. Der Vertrag ende zudem nicht einfach mit dem Tod der angehörigen Person, sondern könne auch darüber hinaus aufrechterhalten werden. Zurzeit arbeiten gerade keine pflegenden Angehörigen in der Spitex Region Köniz.
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Es komme durchschnittlich etwa ein- bis zweimal im Jahr vor, dass sich jemand diesbezüglich bei Ihnen melde. Bisher waren es vor allem Töchter oder Schwiegertöchter der Betroffenen. «Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht mit diesem Modell», sagt Gygax.
Auch die Spitex Knonaueramt hat schon mal eine Angehörige angestellt. Allerdings im hauswirtschaftlichen Bereich, in dem es für die Anstellung keine Vorgaben gibt, da die Leistungen nicht über die Grundversicherung der Krankenkasse abgerechnet werden können. In diesem Fall übernahm die Unfallversicherung die Kosten.
Die betroffene Kundin brauchte nach einem Unfall für rund sechs Wochentäglich Hilfe im Haushalt. Diese konnte am besten von einer Angehörigen durchgeführt werden, da es auch noch Tiere im Haushalt gab, die die Angehörige schon kannte. «Es war für die Spitex Knonaueramt ein niederschwelliger Versuch, in diesem Bereich Erfahrungen zu sammeln», sagt Silvia Geltner, Personalfachfrau der Spitex Knonaueramt.
Die Aufnahme der Angehörigen als Mitarbeiterin für die kurze Zeit sei aber ziemlich aufwändig gewesen.
Seit da habe sich keine Anstellung mit Angehörigen ergeben. In einem weiteren Fall müssten erst differenzierte Grundlagen zum Anstellungsverhältnis erarbeitet werden. Man sei aber offen für weitere Anfragen, so Geltner.
Unternehmerseite ist belastet
Doch dieses Modell ist nur für einen kleinen Teil der pflegenden Angehörigen eine Lösung. Alle anderen erhalten keine oder eben nur eine bescheidene Entschädigung für ihre Tätigkeit. «Ich staune immer wieder, wie wir in der Schweiz diese Leistungen von Angehörigen einfach beziehen und wie dürftig die Finanzierung aussieht», sagt Christina Gygax.
Die Angehörigen würden eine riesige Arbeit leisten und hätten grosse Ertragsausfälle im Beruf, weil die Betreuung so zeitraubend sei. «Dass man da nicht mehr Angebote hat, finde ich traurig.»
Tatsache ist, dass das nicht alle so sehen. So sind zum Beispiel die SVP sowie der Arbeitgeber- und Gewerbeverband gegen die Vorlage. Jemand, der beide Seiten nachvollziehen kann, ist Michael Schmieder, Verwaltungsrat und ehemaliger Leiter der Sonnweid, einem auf Menschen mit Demenz spezialisierten Heim in Wetzikon im Zürcher Oberland.
Er ist einerseits der Meinung, dass heute schon Vieles auf die Arbeitgeberseite abgewälzt wird. Wenn er jemanden nach Hause gehen lasse, müsse er diese Person ja ersetzen, denn die Arbeit sei trotzdem da. «Es ist immer wieder die Frage, wo die Grenze ist und wie viel ein Betrieb aushält», so Schmieder. Er sehe auf der Vorgabeseite, was ein Betrieb leisten müsse und wie aufwändig er kontrolliert werde, ob diese Vorgaben eingehalten würden.
Da frage niemand, wie viele Angestellte er habe nach Hause schicken müssen und was ihn das koste. Schmieder sieht aber auch das Dilemma der pflegenden Angehörigen: «Grundsätzlich ist die Finanzierung der Pflege heute Sache der Gemeinden und Krankenkassen. Also müsste man sagen, egal, wer die Pflege erbringt, sie ist finanziert.»
Gleichzeitig widerspreche das der Professionalisierung der Pflege, denn damit gehe man davon aus, dass jeder pflegen könne: «Auch damit wäre nicht die ganze vielschichtige Problematik gelöst.»
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