Unser Törn ins Vergessen (21) von Birgit Rabisch
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Unser Törn ins Vergessen (21)

Bernd geht ins Abenteuerland der Literatur

Timpe Te am Halligpriel.

Schreiben, fotografieren, segeln – und natürlich seine Brigit – waren Bernd Martens Leidenschaften. Hier liegt seine Timpe Te (ganz links) am Halligpriel von Gröden am Steg. Bild privat

»Die wollen dich mit Haut und Haaren«, sagte Bernd Martens und entschied sich, nicht mehr als Ingenieur zu arbeiten. Er fing an, Gedichte, Romane und Reportagen zu schreiben. Und er verbrachte viel Zeit mit seiner Birgit.

22. November 2022

Jetzt habe ich mich von deinem Gedicht wegführen lassen, von dir zu mir. Ich will aber vor allem über dich schreiben, von dir erzählen, von dem Menschen, der du warst. Zu der Zeit, in der dein Lyrikband Ich schrubb von unten entstand, bekamst du vom Arbeitsamt das Angebot, einen zehnmonatigen EDV-Kurs zu machen, kostenlos und bei Weiterzahlung deines auskömmlichen Arbeitslosengeldes. Mit dieser Fortbildung stünde deiner weiteren Karriere als Maschinenbau-Ingenieur nichts mehr im Wege.

Du hast lange darüber nachgedacht.

Eigentlich muss ich das machen, hast du immer wieder gesagt. In zwei Jahren werde ich vierzig. Ich könnte nochmal durchstarten, könnte richtig Kohle scheffeln. Aber wann bleibt mir dann Zeit für uns? Und Zeit zum Schreiben? Am liebsten hätte ich einen Halbtagsjob als Ingenieur, aber das gibt‘s in der Branche nicht, im Gegenteil, ständig sind Überstunden angesagt. Sie wollen mich ganz oder gar nicht, wollen mich mit Haut und Haar verschlingen.

Meine Haut und mein Haar sollen aber nur von dir verschlungen werden.

So ähnlich hast du laut überlegt. Ich wusste nicht, wozu ich dir raten sollte. Ich wollte dich nicht, kaum dass wir uns gefunden hatten, an deinen Job verlieren. Andererseits machte ich mir über deine Zukunft als Poet keine romantischen Vorstellungen. Zu Poet gehört arm. Ein armer Poet, wolltest du das sein?

Du konntest dich nicht entscheiden und damit trafst du eine Entscheidung. Da das Arbeitsamt keine Antwort von dir erhielt, vergab es den Kursplatz an einen anderen und bald ging auch kein Arbeitslosengeld mehr auf deinem Konto ein. Eine Zeitlang lebtest du von deinen Ersparnissen und hattest nicht die geringste Lust, dich irgendwo als Ingenieur zu bewerben.

Du nutztest deine Zeit, um einen ersten Roman zu schreiben [1] und nebenbei kurze Geschichten. Deine Geschichten fanden schnell Interesse, wurden gedruckt in der ZEIT oder gesendet beim WDR, später kamen mehrseitige Artikel in GEO oder der YACHT hinzu, illustriert mit deinen Fotos. Für deine Geschichten bekamst du ein gutes Honorar, für deine Fotos sogar ein sehr gutes. Du lebtest in der Gegenwart und machtest dir keine Gedanken über die Zukunft. Que sera, sera.   

Deine damalige Zukunft ist heute deine Vergangenheit. Du hast nie wieder als Ingenieur gearbeitet, sondern hast dich gemeinsam mit mir auf die Abenteuerreise ins fabelhafte Land der Literatur gemacht.

18. November 2022

Als du dein Leben an meinem vertäut hast, hast du es auch mit einem anderen Leben verbunden, mit dem meines Sohnes A., der damals ein quirliges Kleinkind war. A. wohnte  abwechselnd bei seinem Vater J. und bei mir. Diese geteilte Elternsorge, die heute als anzustrebendes Ideal gilt, war damals noch verpönt und das Jugendamt sprach mir das alleinige Sorgerecht zu, weil das Kind sich sonst »nirgendwo zuhause fühle und zu keinem Elternteil eine feste Beziehung aufbauen könne«.

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Kurt Aeschbacher, Moderator und Verleger

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Für A.s Vater und mich hatte die juristische Entscheidung zum Glück in der Praxis keine Bedeutung. Wir kümmerten uns weiter beide um A. und er wechselte zuerst regelmäßig, später frei nach seinen Wünschen die Wohnungen. Jetzt, im Rückblick, wo A. ein Mann in seinen Vierzigern ist, kann ich beruhigt sagen: Er fühlte sich sowohl bei seinem Vater als auch bei mir zu Hause und hat zu uns beiden eine »feste Beziehung« aufgebaut. Ach, feste Beziehung – dieses Jugendamtswort! Innige Verbundenheit trifft es wohl eher.

Aus mehreren Gesprächen mit ihm weiß ich, dass er die Situation oft als Bereicherung wahrgenommen hat: doppeltes Spielzeug, zwei Kinderzimmer und natürlich hat er uns auch zu seinem Vorteil gegeneinander ausgespielt: »Bei Birgit/bei J. darf ich aber« … Im Großen und Ganzen haben J. und ich als Eltern allerdings an einem Strang gezogen, haben nicht versucht, den jeweils anderen herabzusetzen, im Gegenteil. Uns war wichtig, dass A.s Verbundenheit mit dem anderen Elternteil erhalten blieb. Das amtlich so gern bemühte Kindeswohl war für uns ein selbstverständliches Bedürfnis. Was sonst sollten wir für unser Kind wünschen als sein Wohl?

Auch zwischen dir und A. ist im Lauf der Jahre eine enge Verbundenheit entstanden. Du hast nie versucht, die Vaterposition einzunehmen, denn die war ja nicht vakant. Du warst für A. der Freund seiner Mutter, später der Ehemann, und bist nach und nach auch sein Freund geworden.  


[1] Bernd Hans Martens: Luftschloss aus Stein, Köln 1988


Wir bedanken uns herzlich bei Birgit Rabisch und Bernd Martens, dass sie uns in vertrauensvoller Weise diese sehr persönlichen Texte und Fotos zur Verfügung stellen.

> Hier kannst du alle Folgen von Birgit Rabischs Logsbuch »Unser Törn ins Vergessen« nachlesen

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