Alzheimer lässt grüßen, ha ha! - demenzjournal.com

Unser Törn ins Vergessen (2)

Alzheimer lässt grüßen, ha ha!

Hans Martens auf seinem Jollenkreuzer.

«Dieser verhasste Monsieur Alzheimer begegnet mir in deiner geliebten Gestalt. Immer wenn ich dir begegne, begegne ich auch ihm», schreibt Birgit Rabisch in ihrem Logbuch über die Erkrankung ihres Mannes Bernd Martens. Bild Privat

Ich schreibe, weil ich Angst habe. Weil unsere Zukunft sich durch den Schatten von M. Alzheimer verdüstert hat. Er kleistert deinen Kopf mit seinen Plaques zu.

Den Prolog zu diesem Logbuch habe ich im Januar 2022 geschrieben. Natürlich gehört zu einem Logbuch kein Prolog. Ein Logbuch hält Tag für Tag die Ereignisse auf einer Reise fest. Wir sind jetzt aber schon seit drei Jahren unterwegs auf unserem letzten Törn, auf deiner Reise ins Vergessen, bei der ich dich begleite. Dies ist also kein klassisches Logbuch.

Ich muss mit einem Rückblick anfangen, aber auch später werde ich nicht streng die Form wahren, denn Alzheimer wahrt auch nicht die Form, im Gegenteil, es sprengt die vertrauten Formen des Lebens. Insofern ist dieses Logbuch, das keines ist, vielleicht gerade dem Phänomen angemessen. Wir werden sehen.

Wann habe ich gemerkt, auf welche Reise wir uns begeben haben? Ich finde erste Notizen vom Neujahrstag 2020:

1. Januar 2020

Ein neues Jahr. Ein neues Jahrzehnt. Unser letztes?

Warum setze ich dieses hoffnungsvolle Fragezeichen? Ich weiß doch, dass es uns am Ende dieses Jahrzehnts nicht mehr geben wird, selbst wenn wir 2030 noch leben sollten. Uns nicht mehr geben wird, als das, was wir seit neununddreißig Jahren sind: ein Paar.

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Krankheitsverlauf

Der Verlauf einer Demenz ist von vielen Faktoren abhängig. Dazu gehören die Form der Demenz, das Alter, der Lebenswandel sowie der seelische und … weiterlesen

Seit geraumer Zeit sind wir zu dritt, führen eine Menage à trois mit Monsieur A. Wann genau er sich eingeschlichen hat, weiß ich nicht. Hinterlistig versteckte er sich hinter deinem Alter. Seine bewährte Strategie. Er weiß aus Erfahrung, dass er dort lange Zeit sicher ist. Der Chor der Freunde: Willkommen im Ü70-Club! Ein bisschen vergesslich in letzter Zeit? Geht uns doch auch so. Alzheimer lässt grüßen, ha ha!

3. Januar 2020

Alzheimer. Damit ist das Wort niedergeschrieben. Warum fällt es mir so schwer? Als Schriftstellerin, die schon vor vielen Jahren eine ihrer Romanfiguren an Alzheimer erkranken und deren Symptome in die Handlung einfließen ließ, sollte ich doch professionell mit dem Thema umgehen können. Doch dies ist mein reales Leben und in dem bin ich Amateurin, wie wir alle Amateure in unserem Leben sind. Da lässt sich nachträglich nichts ändern, nichts dem Plot anpassen, nichts verbessern, keine Szene streichen.

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In unserem gemeinsamen Leben bin ich kein Profi und du bist keine Romanfigur. Und so liegt mir nichts ferner als deine Erkrankung zu literarisieren. Ich empfinde geradezu Widerwillen bei dem Gedanken! Es heißt zwar immer: Das Unglück, das ein Schriftsteller erleidet, ist Glück für seine Literatur. Soll auch für Schriftstellerinnen gelten, aber vielen Dank auch! Ich verzichte gerne auf dieses Glück!

Aber wie die Katze das Mausen nicht lässt und die Alkoholsüchtige die Flasche nicht stehen lassen kann, habe ich deine Erkrankung natürlich längst literarisiert. Ich habe sie sogar personalisiert, habe sie als Monsieur A. eingeführt. Und wie schön sich das reimt: Menage à trois mit Monsieur A. Erwischt! Warum mache ich das? Fliehe ich in die Literatur, um dem höchst realen Monster Alzheimer auszuweichen? Oh! Moment! M. Alzheimer – das M. kann genauso für Morbus oder für Monster stehen wie für Monsieur. Gelobt sei die Mehrdeutigkeit!

4. Januar 2020

Was soll das Geschwafel? Ich schreibe, weil ich Angst habe. Weil unsere Zukunft sich durch den Schatten von M. Alzheimer verdüstert hat. Er kleistert deinen Kopf mit seinen Plaques zu. Dieser verhasste Kerl begegnet mir in deiner geliebten Gestalt. Immer wenn ich dir begegne, begegne ich auch ihm. Und er wird im Lauf der uns noch vergönnten Jahre immer mehr über dich triumphieren, bis ich in deiner Gestalt nur noch ihm begegnen werde. Diese Vision hatte ich am Silvesterabend 2019/2020, als wir uns im Flackern der Leuchtraketen zuprosteten.

»Auf ein neues Jahrzehnt!«

Plötzlich spürte ich seine Anwesenheit, dunkel, unsichtbar, abwartend, hinterhältig. Monsieur Alzheimer, dachte ich und gleich danach: Wie albern, mir deine Erkrankung als Person vorzustellen und ihr Eindringen in unser Leben als Dreiecksbeziehung. Und warum Monsieur und nicht Herr? Herr Alzheimer. Wäre doch naheliegender für uns als Deutsche.

Partnerschaft und Demenz

Monsieur A. lässt nicht grüßen

Die Schriftsteller:innen Birgit Rabisch und Bernd Hans Martens sind seit 1980 ein Paar. Seit er vergesslich geworden ist, haben die beiden eine Dreiecksbeziehung … weiterlesen

Warum ist er Franzose? Ein kluger Schachzug meines Unterbewusstseins, um ihn charmanter, eleganter, zivilisierter erscheinen zu lassen? Weniger bedrohlich? Ich weiß es nicht. An diesem Abend hat er sich aus dem Schatten gewagt, in dessen Schutz er uns schon lange verfolgt hat, und sich mir als Monsieur Alzheimer vorgestellt.

Und da ich ihn nicht mehr abschütteln kann, werde ich versuchen, ihn  in Buchstaben zu bannen. Buchstaben sind harmlos. Wirklich? Auch diese Buchstaben in der Broschüre »Demenz – Das Wichtigste« der deutschen Alzheimer-Gesellschaft?

»Im Stadium der schweren Demenz sind die Betroffenen vollständig pflegebedürftig, die sprachliche Verständigung gelingt nicht mehr. Sie sind häufig bettlägerig, leiden unter einer Versteifung von Gliedmaßen und unter Ernährungsstörungen.«

Das nenn ich doch mal eine Perspektive! Prost auf eine fröhliche Menage à trois!

5. Januar 2020

Sinnloser Zynismus! Tut aber richtig gut. Das Schreiben hilft mir tatsächlich. Also nutze ich es und höre endlich auf, mich dafür zu rechtfertigen. Schreiben als Therapie? Beschäftigungskram für unausgelastete Frauen? Unter der Würde einer Schriftstellerin? Nein! Ich verschone mich mit diesen misogynen Vorwürfen.

Logbuch »Unser Törn ins Vergessen«

Birgit Rabisch wuchs in Hamburg und Schleswig Holstein auf. Während ihres Germanistikstudiums arbeitete sie als Altenpflegerin. Seit 1980 veröffentlichte sie diverse Bücher, unter anderem «Unter Markenmenschen», «Duplik Jonas 7» und «Die vier Liebeszeiten».

Ihr Ehegatte Bernd Hans Martens entstammt einer Dynastie von Finkenwerder (bei Hamburg) Fischern. Er befuhr auf einem Handelsschiff die Weltmeere und wurde später Schriftsteller (u.a. Roman «Die Heringsbraut»). Seit 2020 lebt er mit der Diagnose «Alzheimer». demenzjournal veröffentlicht in loser Folge Birgit Rabischs Tagebuch über das Leben an Martens Seite.

≻ Hier geht’s zu Birgit Rabischs Website


Wir bedanken uns herzlich bei Birgit Rabisch und Bernd Martens, dass sie uns in vertrauensvoller Weise diese sehr persönlichen Texte und Fotos zur Verfügung stellen.