Am Anfang brauchte Birgit Pflege - demenzjournal.com
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Unser Törn ins Vergessen (22)

Am Anfang brauchte Birgit Pflege

Birgit Rabisch und Bernd Martens.

Birgit Rabisch und Bernd Martens verbrachten viel Zeit in den Häfen und Wattenmeeren der Nordsee. Bild privat

Heute kümmert sich Birgit um ihren demenzkranken Bernd. Als sich die beiden kennenlernten, war es umgekehrt: Birgits Bauchspeicheldrüse war oft entzündet – und Bernd kümmerte sich rührend um sie.

22. November 2022

Vor einer Woche war bei uns Familientreffen angesagt, wurde dann aber von A. kurzfristig abgesagt. Als Administrator des Instituts, für das er seit vielen Jahren arbeitet, musste er eine mit einem neuen Virus eingedrungene Ransomware bekämpfen. Draußen wurde es schon hell, als er die Daten des Instituts gerettet und wieder zugänglich gemacht hatte.

Sonst wären wir pleite gewesen, erzählte er mir stolz, aber vollkommen erschöpft und übermüdet.

Wie sich die Zeiten ändern! Als Jugendlicher hat A. um jede Stunde am PC gekämpft, um seine heiß geliebten Games zu spielen; jetzt ist er froh, wenn er in keinen Monitor mehr starren muss. Damals hatte ich manchmal Angst, er könne spielsüchtig werden, heute ist eher deine Unlust zu spielen ein Problem. Du hast zwar früher bereitwillig mit den Kindern unzählige Stunden bei ausufernden Brettspiel-Nachmittagen (von Mensch-Ärgere-Dich-Nicht über Monopoly bis zu den Siedlern von Catan) oder Kartenspielen an Bord (Canasta, Mau Mau) verbracht, doch das hast du ihnen zuliebe getan. Du warst froh, als du es nicht mehr tun musstest.

Das ist in unserer jetzigen Situation schade, weil Spiele bei Alzheimer ausdrücklich empfohlen werden, gar nicht so sehr als Gedächtnistraining (was nach neueren Studien nicht so wirksam sein soll, wie oft angenommen), sondern einfach als Möglichkeit zur fröhlichen Geselligkeit. Aber damit darf ich dir nicht kommen. Spielen? Nein, danke.

24. November 2022

Help me make it through the night. 

Heute bist du wegen deiner Erkrankung auf meine Hilfe angewiesen; am Beginn unseres gemeinsamen Weges brauchte ich deine. Wir lebten noch in getrennten Wohnungen, als es mir nach einem Besuch bei unserem Italiener richtig schlecht ging. Ich erbrach nicht nur die Cannelloni mit Sahnesoße, sondern litt auch unter heftigen Schmerzen im Oberbauch. Ich rief dich an und du kamst durch Nacht und Sturm geradelt (der Sturm ist wahrscheinlich Fiktion, aber der Satz klingt so besser) und hast schon nach kurzer Sondierung der Lage den Notarzt gerufen.

Ich will hier nicht meine Krankengeschichte ausbreiten. Nur so viel: Das war der erste Schub einer chronischen Pankreatitis (Entzündung der Bauchspeicheldrüse), deren Ursache zwar eine Autoimmunerkrankung war, die aber durch das fettreiche italienische Essen und die zu vielen Gläser Rotwein zum erstem Mal akut wurde. Für dich war es eine frühe und unvorhersehbare Herausforderung deiner Liebe zu mir. Deinem Anfang mit mir wohnte der Zauber einer anspruchsvollen Krankenpflege inne. Um dich besser um mich kümmern zu können, holtest du mich in deine Wohnung.

«Nirgends anderswo wird so viel Wert auf differenzierte und anspruchsvolle Berichterstattung gelegt, als auf demenzjournal.com. Das Niveau ist stets hoch, dabei aber nicht abgehoben.»

Raphael Schönborn, Geschäftsführer Promenz, Wien

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Da lag dann eine schmerzgeplagte Frau in deinem Bett, die sich ständig erbrechen musste. Mein Internist entdeckte bei einer Sonographie eine große sog. Pseudozyste in meiner Bauchspeicheldrüse und empfahl dringend eine Operation, mit den beruhigenden Worten: Eine Herz-OP ist ein Klacks dagegen. Ich schickte dich in die Buchhandlung an der Uniklinik, um mir ein Fachbuch über die Diagnose und Behandlung der Pankreatitis zu besorgen und dank meiner drei Semester Medizin und mithilfe des medizinischen Wörterbuchs Pschyrembel gelang es mir sogar, halbwegs zu verstehen, was dort geschrieben stand. Ich entschied mich, es erst einmal mit einer konservativen Behandlung zu versuchen: Fasten, danach langsamer Aufbau mit einer fettarmen Diät, dauerhaft: kein Alkohol.

Fazit nach vierzig Jahren: Auch ohne OP verschwand die Pseudozyste. Es gab im Lauf der Jahre einige Schübe, als ich zu leichtsinnig wurde (»Ein halbes Glas Sekt am Geburtstag kann doch nicht schaden«) und auch die Schwangerschaft mit unserem Kind empfand meine Bauchspeicheldrüse als Zumutung. Sie reagierte mit Entzündungsschüben vor der Geburt und während der Stillzeit, die mich zweimal ins Krankenhaus brachten.

Partnerschaft und Demenz

Monsieur A. lässt nicht grüßen

Die Schriftsteller:innen Birgit Rabisch und Bernd Hans Martens sind seit 1980 ein Paar. Seit er vergesslich geworden ist, haben die beiden eine Dreiecksbeziehung … weiterlesen

Das hatte mein Gastroenterologe mir vorhergesagt und mir dringend zu einem Abbruch geraten. Diesen Rat habe ich dir tunlichst verschwiegen, denn sonst wäre meine Schwangerschaft mit unserem sehnlichst erhofften Kind für dich zum Alptraum aus Sorgen und Ängsten geworden. Überflüssige Ängste: Unser Sohn S. ist gesund zur Welt gekommen und auch ich habe mich nach ein paar schwierigen Monaten und abgemagert wie eine Anorektikerin wieder berappelt.


Wir bedanken uns herzlich bei Birgit Rabisch und Bernd Martens, dass sie uns in vertrauensvoller Weise diese sehr persönlichen Texte und Fotos zur Verfügung stellen.

> Hier kannst du alle Folgen von Birgit Rabischs Logsbuch »Unser Törn ins Vergessen« nachlesen

> Hier geht’s zur Website der Schriftstellerin Birgit Rabisch