Ich besuche Paul den fünften Tag in Folge. Ein Muss. Innerlich getrieben, aber auch neugierig, ob das mit dem Schlafen anhält. Seit einer Woche treffe ich ihn entweder sehr schläfrig oder schlafend an. Es belastet mich zusätzlich. Die Verantwortliche für Pauls Pflege arbeitet nur Teilzeit. Abzüglich der Ausbildungstage. Also eigentlich recht wenig, um den Überblick zu behalten und Pauls Vertrauen zu gewinnen.
Mein Tagebuch
Diese Aufzeichnungen sind ehrlich, ungeschminkt, offen und authentisch. Mit der Veröffentlichung im Internet gehe ich bewusst das Risiko des mich (zu sehr?) Öffnens ein – aber mit brennendem Herzen. Meine Notizen zeigen ein eigenes, persönliches und ungeschöntes Bild vom Begleiten meines demenzkranken Partners. Mögen diese Tagebucheinträge Menschen in ähnlicher Situation helfen.(uek) Hier finden Sie alle bisher veröffentlichten Tagebucheinträge.
Ich mag sie sehr. Sie findet auch den Umgang mit Paul gut, doch eben, bis er sich wieder an ihr liebes Gesicht gewöhnt hat, ist sie schon wieder weg. Dann gibt’s wieder Ferienabwesenheit.
Paul scheint zu leiden unter den vielen neuen Gesichtern, er wird »renitent« gegen Pflegende.
Das war früher nicht so. Frau G., verantwortliche Diplomierte am heutigen Tag, begrüßte mich lächelnd. »Ihr Mann ist in Zimmer 308 und schläft dort auf dem Bett.« Auf dem Bett – eine scheinbar belanglose Information, ist aber ein Highlight für mich. Meistens finde ich Paul zusammengekauert in unbequemer Stellung auf einem harten Stuhl oder auf einer Bank.
Kleine Freuden im Pflegeheim
Das Ferienzimmer hat zwei Betten. Da begann alles für Paul in diesem Heim. Zwei Monate war er dort, bevor er sein eigenes Zimmer bekam. Tatsächlich: Zusammengerollt auf dem zweiten Bett liegt Paul. Auf meine Begrüßung hin öffnet er die Augen, strahlt mich an: »Oh, mein Buseli, schön Du da.« Echte Freude. Er legt seinen Arm um mich und zieht mich fest an sich, strahlt mich lieb an, erwidert meinen Kuss innig. Ich setze mich auf die Bettkante, umarme ihn.
Er erzählt mir kummervoll, was ihn bewegt, traurig zwischendurch, ich verstehe kein Wort.
Vielleicht hat er was geträumt oder konnte seinen Frust über ein Alltagsereignis nicht loswerden. Ich suche nach passenden Zwischenbemerkungen.
Nach einer Weile schläft er wieder ein. Ich ziehe die Schuhe aus, steige aufs Bett über seine Füsse und kuschle mich an seine Seite. Meinen Arm lege ich über seinen Bauch, den Kopf schmiege ich an seine Schulter. Er brummt etwas vor sich hin, dann redet und redet er wieder und ich verstehe kein Wort. Aber es tönt zufrieden, der Tonfall ist freundlich. Ich sage »ja« und »schön« und kuschle mich wohlig an seinen Rücken.
Nähe erleben, Wärme spüren, seine Stimme hören. Ein Moment heiler Welt. Trotz des starken Körpergeruchs, milde gesagt. Mühe mit der Körperpflege, Paul weigert sich immer wieder unter die Dusche zu gehen … Ich drehe den Kopf etwas weg. Wir zwei auf einem fremden Bett im Zimmer eines Feriengastes. Mir egal. Die Türe ist bloß angelehnt, ist mir auch egal.