«Du verschwendest dein Leben», wurde Susanne Schmidt* gesagt. Und eine damals enge Freundin riet ihr, ihre schwerkranke Tochter in eine Einrichtung zu geben, wenn sie die Freundschaft retten wolle. Susanne entschied sich ohne Zögern für ihre Tochter.
Tochter Bianca, heute 28 Jahre alt, braucht intensive Pflege und Betreuung. Sie ist mit einem schweren Herzfehler zur Welt gekommen, hatte bei ihrer Geburt Niereninsuffizienz und eine Lungenentzündung. Mehrere Gendefekte schränken sie geistig ein. Im jungen Erwachsenenalter kamen unter anderem Psychosen, Sozialphobie und Demenzsymptome hinzu.
Das prägt den Alltag der Familie Schmidt. Ihr Leben dreht sich um Bianca. Urlaube sind nicht möglich, alles muss gut organisiert sein. Doch der Schicksalsschlag hat die Patchwork-Familie noch enger zusammengeschweisst. Susanne und Sohn Dennis (31) sind als Pfleger:innen eingetragen und teilen sich die Aufgaben. Susannes zweiter Ehemann Klaus unterstützt, wo er kann. Obwohl er nicht der leibliche Vater ist – für Bianca und Dennis ist er der «Papa», der sie so liebt wie seine eigenen Kinder, ohne Unterschied.
Aggressivität, Halluzinationen, Vergesslichkeit
An jenen Tag vor vier Jahren, der ihr Leben auf den Kopf stellte, erinnert sich Susanne gut. Sie sei von der Arbeit nach Hause gekommen und habe Dennis mit einem blauen Auge in der Ecke kauernd gefunden. Bianca habe ihn geschlagen, erklärte er.
Dass Bianca phasenweise aggressiv war, hatte die Familie schon länger beobachtet. Doch nun ist es eskaliert.
Nur knapp kann Susanne ihre Tochter davon abhalten, auch gegen sie die Hand zu erheben. «Aber die Oma, die hat das doch gesagt!», rechtfertigt sich Bianca. Der Hausarzt vermutet eine Verstimmung und verschreibt ein Antidepressivum. Rätselhaft bleibt Biancas Erklärung für ihren Ausbruch. Denn die geliebte Oma, Susannes erste Schwiegermutter, ist seit Jahren tot.
Als die Aggressionen bleiben, empfiehlt der Hausarzt eine Abklärung in der neuropsychiatrischen Klinik Bedburg-Hau. Einen Tag vor dem Termin zeigt sich, dass der Besuch dringend nötig ist. Susanne hört Bianca in ihrem Zimmer Nintendo spielen und reden: «Ich habe dir doch gesagt, wie das geht, du musst da drücken!» Als sie ins Zimmer kommt und ihre Tochter fragt, mit wem sie spreche, deutet Bianca auf den leeren Sessel: «Guck doch mal, die Oma!» Susanne kriegt es mit der Angst zu tun. In Bedburg-Hau dann die Diagnose: Schizophrenie.
Biancas aufkommende Vergesslichkeit führt Susanne zunächst auf die Antipsychotika zurück. Doch Tests bringen Klarheit: Bianca hat eine Mischform aus Alzheimer und Frontotemporaler Demenz.
Eine Demenz ist bei Menschen mit geistiger Behinderung nicht selten. Ihr Erkrankungsrisiko ist fünfmal höher. Menschen mit Down-Syndrom sind besonders häufig betroffen: Zwischen dem 60. und 69. Lebensjahr erkrankt jeder Zweite an Alzheimer. Herkömmliche Diagnosewerkzeuge wie der MMS-Test («Uhrentest») sind oft ungeeignet. Stattdessen werden andere neuropsychiatrische Tests durchgeführt und das Verhalten im Alltag beobachtet.
Was Hilfsangebote und Pflegeeinrichtungen anbelangt, fallen demenzkranke Menschen mit Behinderung oft zwischen Stühle und Bänke.
Sie benötigen die Pflege, die eine Demenz mit sich bringt, erleben in Pflegeheimen aber nicht die Teilhabe, wie sie Einrichtungen für geistig behinderte Menschen fördern. Ausserdem sind sie meist jünger als ‹typische› Alzheimerpatient:innen.