alzheimer.ch: Prof. Spitzer, wie lange waren Sie heute schon am Smartphone und am Computer?
Manfred Spitzer: Ein paar Minuten am Smartphone. Es sagt mir jede Woche, dass ich täglich etwa 20 Minuten mit ihm verbringe. Mein Rechner ist mein Arbeitsplatz. Am Tag verbringe ich sicher mehrere Stunden arbeitend davor. Zur Unterhaltung verwende ich ihn nicht.
Welche Geräte und Applikationen nutzen Sie denn besonders oft und gerne?
Ich verwende «Word» mit Abstand am meisten, denn Texte schreiben oder editieren oder am Rechner lesen (um nicht alles auszudrucken) gehört zu meinem Job.
Welche Geräte und Apps würden Sie nie nutzen?
Spiele.
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie in einen Raum kommen, wo alle in ihre Smartphones starren?
«Schade, dass Menschen so wenig miteinander reden.»
Sie beschäftigen sich mit Risiken und Nebenwirkungen der Digitalisierung. Was sind körperliche und psychische Nebenwirkungen? Gibt es altersspezifische Unterschiede?
Smartphones, die mit Abstand am häufigsten verwendeten digitalen Endgeräte, verursachen nachweislich Kurzsichtigkeit, Angst, Depression, Aufmerksamkeitsstörungen, Schlafstörungen, Bewegungsmangel, Übergewicht, Haltungsschäden, Diabetes, Bluthochdruck, Sucht (Internetsucht, Spielsucht, Smartphone-Sucht, aber auch mehr Alkohol- und Tabak-Konsum), und ein erhöhtes Risikoverhalten; Smartphones haben bei jüngeren Verkehrsteilnehmern den Alkohol als Unfallursache Nummer eins abgelöst.
Zu den Auswirkungen auf die Gesundheit kommen negative Auswirkungen auf das Sozialverhalten und die Bildung junger Menschen hinzu. Sogar die Grundfesten unserer demokratischen Gesellschaft sind bedroht: Wahlen lassen sich ebenso beeinflussen wie die Emotionen und Meinungen von Menschen.
Sich schneller, weiter und tiefer als Wahrheit verbreitende Falschnachrichten und die globale Radikalisierung von Meinungen sind nicht intendierter, aber dennoch nachweisbarer. Sie sind Teil des Geschäftsmodells von Firmen, die digitale Dienstleistungen kostenlos bereitstellen, weil ihr Geschäftsmodell auf Werbung basiert.
Bislang erfolgte für digitale Informationstechnik keine ernsthafte Technikfolgenabschätzung.
Stattdessen werden wir von Lobbyisten in einem noch nie dagewesenen Ausmass mit Hype überzogen, der ernsthaftes Nachdenken nahezu unmöglich macht. Von einer dringend notwendigen, kritischen gesellschaftlichen Diskussion gar nicht zu reden.
Es ist unverantwortlich, die Gesundheit und die Bildung von jungen, noch nicht für sich selbst verantwortlichen Menschen, sowie die Grundfesten unserer demokratischen Gesellschaft den Profitinteressen der reichsten Firmen der Welt unkritisch zu überlassen.
Sie warnen davor, dass Kinder und Jugendliche durch die Nutzung digitaler Geräte in ihrer Entwicklung geschädigt werden. Welche Vorschläge haben Sie für die Zukunft? Denn aufhalten lässt sich die digitale Durchdringung unserer Gesellschaft vermutlich nicht …
Elektronische Medien schaden Kindern umso mehr, je kleiner sie sind. So beeinträchtigen Bildschirmmedien die Sprachentwicklung, also ein laufender Fernseher beispielsweise – sogar wenn er nur im Nebenraum steht.
Smartphones lenken ab, auch von Kindern, wenn die Eltern sie in deren Anwesenheit nutzen. Das führt schon bei Einjährigen zu unruhigeren Nächten.
Ab einem Alter von drei bis vier Jahren führen Bildschirmmedien zu mehr Aufmerksamkeitsstörungen, später zu mehr emotionalen Störungen und Störungen des Willens bzw. der Selbstkontrolle. All das ist nachgewiesen, unter anderem auch in einer grossen, von deutschen Kinderärzten durchgeführten Studie.
Inwiefern schädigt die Digitalisierung auch den Charakter? Beispiel: Ego-Trips, sich zur Schau stellen auf den Social Media, Schadenfreude durch Fail-Videos?
Nun, Sie nennen ja bereits selbst einige der negativen Auswirkungen. Hinzu kommen Narzissmus, Unzufriedenheit, Ängste und chronische Depressionen.