«Warum haben wir so viele Sachen dabei?», fragt Oma Carmen ihren Enkel Hendric immer wieder.
Filmstill Astrid Menzel
Zwei Geschwister paddeln mit ihrer demenzkranken Oma von Bremen nach Kiel: Aus diesem bestechend einfachen Plot hat Astrid Menzel den wunderbaren Film »Blauer Himmel Weiße Wolken« gemacht.
demenzjournal: In deinem Film sehen wir, dass du jahrelang intensiv für deine Großeltern gesorgt hast. Die allermeisten Enkel kümmern sich zwischen 20 und 30 um andere Dinge. Wo hast du die Zeit hergenommen?
Astrid Menzel: Ich schaufelte mir die Zeit einfach frei. Ich studierte in Portugal, und im Sommer kam ich jeweils für sechs bis acht Wochen nach Hause. Ich war dann sehr oft bei meinen Großeltern, weil ich das Gefühl hatte, dass ich dort gebraucht werde. Ich bin so aufgewachsen, dass man in der Familie füreinander da ist.
Ging es damals schon darum, einen Film über deine Großeltern zu drehen?
Ich hatte Film und Schnitt studiert und versuchte herauszufinden, worüber ich Filme machen wollte. Man sagte uns, wir sollen uns für die Themen entscheiden, die wir sehr gut verstehen. Für mich war klar, dass es Familienthemen sein werden. Am Anfang wollte ich Opa mit der Kamera festhalten und hatte nicht die Idee, daraus einen Film zu machen. Ich sprach mit ihm über sein Leben und seine Geschichten. Das hat uns beiden viel gegeben.
Wie bleibe ich mit meinem demenzkranken Angehörigen in Kontakt?
Das demenznavi inspiriert dich mit Lernvideos und Tipps zur Kommunikation.
Ein richtiges Filmprojekt ist es erst später geworden. Ich erzählte meinen Freunden, dass ich auf eine Kanutour gehen und Oma mitnehmen will. Jemand sagte, dass man das unbedingt verfilmen müsste. Eigentlich ging es auch damals zuerst nicht darum, einen Film zu machen, sondern um die Verrücktheit, Oma ins Boot zu nehmen.
Dein Vater sagte, Oma vergesse ja alles wieder, die Kanutour bringe daher nichts …
Auf eine gewisse Art hat er damit Recht. Sie konnte sich auch nicht an die Reise erinnern. Aber eine solche Reise kann viel auslösen. Zum Beispiel wurde Oma immer selbstbewusster. Sie fragte weniger, ob sie dies oder das darf. Wir waren zwei Wochen lang immer an der frischen Luft und immer in Gesellschaft. Das pumpt auf und fördert den Lebensmut.
Reisen mit Menschen mit Demenz kann sehr schön, aber auch sehr anspruchsvoll sein. Letzteres bemerkt man im Film nur ansatzweise …
Ich hatte Angst davor, dass es Oma auf dem Wasser langweilig sein könnte. Aber wir brauchten sie nicht zu beschäftigen, es war umgekehrt: Sie beschäftigte uns mit ihren Geschichten. Sie sagte uns, was sie alles sah, sie zählte die Kennzeichen, die den Fluss begrenzten. Sie sagte immer wieder, sie sei als unsere Fee zuständig für die gute Laune und das Gleichgewicht.
Einmal gab sie zu bedenken, sie sei doch eine Belastung für dich und deinen Bruder. Dann sagte dein Bruder, sie sei keine Belastung, sondern eine gute Gesellschaft. Es gibt einige dieser schönen Momente.
Mit dem Ballast meinte sie wohl auch, dass sie uns nicht zur Last fallen wollte, was irgendwie typisch ist bei einer Demenz. Aber ich denke, sie meinte es viel praktischer in diesem Moment. Es wackelte, und sie war unser Gleichgewicht.
Post für dich
Willst du elefantenstarke Demenzgeschichten und Aktuelles aus der demenzworld erhalten? Melde dich jetzt für unseren Newsletter an 🙂.
Eure Oma stellt immer wieder die gleichen Fragen, trotzdem bleiben du und dein Bruder immer geduldig und liebevoll. Mir ist in diesen Momenten einmal mehr bewusst geworden: Es ist völlig egal, dass eure Oma nicht mehr weiß, was vor fünf Minuten war. Das Wetter ist gut, der Himmel ist blau, die Wolken sind weiss, man ist zusammen und sorgt füreinander: Was will man mehr?
Ich habe von meiner Oma mindestens so viel bekommen, wie ich ihr gegeben habe. Nachdem Opa gestorben war, bin ich in eine tiefe Trauer gefallen. Ich war hilflos und wusste nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte. Und was machte sie? Sie war jeden Morgen super gut gelaunt.
Im Film fragt sie aber ab und zu nach ihrem verstorbenen Ernst Otto, den ihr E.O. genannt habt.
Man sollte Menschen mit Demenz nicht ständig daran erinnern, was sie alles nicht wissen. Aber wir haben uns dafür entschieden, dass es wichtiger ist, dass Oma uns immer vertrauen kann. Sie hat ein sehr gutes Gespür dafür, was auf der Gefühlsebene los ist. Und ich bin nicht gut im Lügen. In einem Moment glaubt sie, dass Opa im Krankenhaus ist. Wenn ich ihr sage, dass er vor zwei Jahren verstorben ist, zweifelt sie meine Antwort nicht an, sondern sagt, dann habe sie das wohl vergessen. Das zeigt, wie sehr sie mir vertraut hat.
Du bist mit der Kamera nahe an deine Großeltern herangegangen. Wir fragen uns immer wieder, ob wir Menschen in den Medien abbilden dürfen, die nicht mehr selbst entscheiden können, ob sie das wollen. Wie bist du mit solchen ethischen Fragen umgegangen?
Es war mir sehr wichtig, meine Großeltern nie bloßzustellen. Ich sehe mich selbst nicht gerne vor der Kamera, und ich werde in diesem Film nicht immer vorteilhaft dargestellt. Wenn ich also schon mit der Kamera auf meine Großeltern halte, wollte ich so fair sein, dass ich es auch mit mir mache. Ich stellte mich diesen Fragen, obwohl ich nicht erwartet hatte, dass der Film in die Kinos kommt.
Wirklich? Zwei Enkel gehen mit ihrer demenzkranken Großmutter auf eine Kanutour: Dieser Plot ist eine schöne Metapher auf das Leben und Beziehungen im Allgemeinen. Ich will den Film unbedingt sehen.
Haben wir ein Ziel? Wo sind wir jetzt? Warum halten wir hier an? Ich finde solche Fragen spannend. Ja, so eine Kanufahrt passt sehr gut zu Menschen mit Demenz, und die Situation ist sehr überschaubar. Dass der Film jetzt in die Kinos kommt, ist überraschend für eine so kleine Produktion.
Filmprojekt
Die Reise des Bruno Sensei
Fabian Biasio war Schüler des Sensei Bruno Koller. Als dieser an einer Demenz erkrankte, machte es sich der Fotograf zur Aufgabe, seinen Karate-Meister filmisch zu begleiten … weiterlesen
Ich habe jahrelang daran gearbeitet und machte andere Jobs, um überleben zu können. Vielleicht ist es jetzt auch in Ordnung für meine Familie, weil sie gesehen hat, was für ein langer Prozess es war. Ich hatte zuvor einen Kurzfilm über meine Großeltern gemacht, der bei meiner Familie gut angekommen ist. Ich musste mich also der Diskussion um die mögliche Bloßstellung meiner Großeltern nicht mehr stellen.
Wie reagierte deine Familie auf den fertigen Film?
Mein Bruder Hendric, der mitgepaddelt war, schaute bewusst keine Rohfassung und war nach der Premiere begeistert. Meine Verwandten waren fasziniert davon, was ich alles wahrgenommen hatte. Ich war meinen Großeltern sehr nahe, und durch den Film wird klar, wie beidseitig die Liebe war. Mein Großvater, der Sozialmediziner war, hätte den Film selbst nie so gemacht. Aber er würde es mögen, dass ich einen Film über ein auch für ihn relevantes Thema gemacht habe.
Es gibt im Film ein paar sehr traurige Momente. Zum Beispiel, als du und deine Mutter das Haus der Großeltern räumen müsst.
Mein Opa hatte Angst davor, einfach so zu verschwinden. Genau das ist aber eingetreten, als er weg war: All die Dinge in dem Haus hatten irgendwie keinen Wert mehr oder nur noch einen materiellen.
Wahrscheinlich bin ich in solchen Momenten spontan erwachsen geworden.
Es beginnt eine komplett neue Phase im Leben, wenn man verstanden hat, dass das Leben endlich ist und wie sich Verlust anfühlt. Vielleicht habe ich auch deswegen so viel Zeit mit Oma verbracht.
Wie hast du den Umzug deiner Oma in ein Heim erlebt? Da gibt es diese traurigen Momente, wenn man zu Besuch ist und dann wieder weggehen muss …
Als wir von der Kanutour zurückkamen, stand sie in ihrer Alterswohnung und wollte eigentlich gleich weiterreisen mit mir und meinem Bruder. Sie packte ihre Kulturtasche und fragte: »Wo geht’s jetzt hin?«. Und wir mussten ihr sagen, dass sie allein dableiben wird. Später, als sie in eine WG für Menschen mit Demenz gezogen war, erkannten wir, dass wir das Loslassen lernen mussten. Für Oma war es schwierig zu verstehen, dass sie bleiben musste und wir immer wieder gingen.
Konnte deine Oma den fertigen Film sehen?
Sie ist zehn Tage vor der Weltpremiere im Herbst 2022 verstorben. Die Aufnahmen von unserer Kanu-Tour sind von 2016. Wir haben noch länger gedreht, aber irgendwann war klar, dass diese Aufnahmen das bereits schon Erzählte wiederholen. Wir waren noch länger mit ihr im Urlaub und haben wunderschöne Aufnahmen, aber sie haben nichts Neues erzählt. Ja, und jetzt ist die Oma nicht mehr da.
Aber du hast mit dem Film eine wunderbare Erinnerung an deine Großeltern erschaffen. Andere Familien haben »nur« ein Fotoalbum.
Mein Onkel sieht das auch so. Er sagte: »Was für ein Geschenk!«
Um Ihnen ein optimales Erlebnis zu bieten, verwenden wir Technologien wie Cookies, um Geräteinformationen zu speichern und/oder darauf zuzugreifen. Wenn Sie diesen Technologien zustimmen, können wir Daten wie das Surfverhalten oder eindeutige IDs auf dieser Website verarbeiten. Wenn Sie Ihre Zustimmung nicht erteilen oder zurückziehen, können bestimmte Merkmale und Funktionen beeinträchtigt werden.
Funktional
Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.