Die Gutachterin des MDK[1], die ich zum Abschluss ihres Besuchs bei uns auch mit dieser Frage konfrontierte, riet zum Gegenteil. Sie hatte jahrelang in der geriatrischen Abteilung eines großen Krankenhauses gearbeitet und berichtete:
»Die meisten unserer Alzheimer-Patienten, die waren körperlich fit wie ein Turnschuh. Neben denen mussten wir oft herlaufen, um sie zu füttern. Die hatten eine unglaubliche Energie, da konnten wir jungen Frauen manchmal nicht mithalten. Ich habe dann leider oft erlebt, dass ein Umzug für diese Menschen eine derartige Belastung war, dass sie danach mental massiv abbauten und manche auch bald starben. Die brauchen ihre gewohnte Umgebung, ihre gewohnten Abläufe, ihre gewohnten Bezugspersonen. Jeder Wechsel ist schädlich. Ich würde von einem Umzug abraten.«
Ich konnte sowohl die Argumente für als auch gegen unseren Umzug in eine der Service Wohnungen nachvollziehen. Warum nur konnte ich nicht in die Zukunft schauen! Würdest du noch lange körperlich fit bleiben oder schon bald nicht mehr die Treppen bewältigen? Würdest du einen Umzug jetzt verkraften oder war es besser, dir die gewohnte Umgebung zu erhalten, bis es nicht mehr anders geht? Und würden wir dann eine Wohnung kriegen oder jahrelang auf der Warteliste versauern?
Ich tat das vielleicht Dümmste oder vielleicht auch Klügste (die Zukunft wird es zeigen): Ich verschob die Entscheidung.
Stattdessen kümmerte ich mich um Fragen, für die ich eine Antwort zu haben glaubte. Deine Demenz sollte kein Grund für unseren Rückzug aus der Gesellschaft sein. Wir würden offen damit umgehen und wir würden weiter den Kontakt zu unseren Freund:innen und Bekannten halten. Ich könnte an einem Gesprächskreis für Angehörige teilnehmen und für dich käme später vielleicht zusätzlich eine stundenweise Betreuung in Frage oder sogar eine Tagespflege.
Es war sehr wichtig, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten oder neu zu knüpfen. Das stand in jeder Broschüre. Das wurde in jeder Beratung empfohlen. Und es entsprach auch völlig dem, was mir sinnvoll erschien. Voller Elan machte ich mich daran, unser Leben mit Monsieur Alzheimer zu planen. Wir mussten mit ihm zusammenleben, er war nicht mehr zu verscheuchen, aber er sollte unser Leben so wenig dominieren, wie es eben möglich war.