7. Dezember 2010 – Total verwirrt
Es ist halb zehn Uhr abends als ich nachhause komme. Ich war mit dem Musikteam zusammen. Paul wollte nicht mitkommen, er sei zu müde. Er wirkte schon beim Weggehen etwas durcheinander, doch dann beruhigte er sich, er schaute Fernsehen und alles schien in Ordnung.
Zwei Stunden allein sein um diese Zeit ist meistens kein Problem. Schon bei der Tagesschau schläft er ein und ich finde ihn dann schlafend vor.
Die Türe ist verschlossen. Brav hat er abgeschlossen und den Schlüssel drinnen abgezogen. Paul sitzt wach auf der Couch, der Fernseher ist an, eine Politsendung, er schaut hin, aber versteht gewöhnlich nichts.
Er beachtet mich kaum wie ich ihn begrüsse, schaut an mir vorbei, sein abwesender Blick verrät nichts Gutes.
Immer wieder sagt er etwas vom achten Tag. Dann folgen Worte, die nicht zu verstehen sind. Es wird zehn Uhr, ich kann ihn nicht beruhigen. Er will seine Tabletten nicht einnehmen, das sei zu früh, meint er. Er sucht eigentlich mich, er spricht mich per «Sie» an, sagt «sie» komme noch, es ist zum Heulen. Nach vielem guten Zureden endlich nimmt er doch die Tabletten, trinkt etwas Wasser.
Mein Tagebuch
Diese Aufzeichnungen sind ehrlich, ungeschminkt, offen und authentisch. Mit der Veröffentlichung im Internet gehe ich bewusst das Risiko des mich (zu sehr?) Öffnens ein – aber mit brennendem Herzen. Meine Notizen zeigen ein eigenes, persönliches und ungeschöntes Bild vom Begleiten meines dementen Partners. Mögen diese Tagebucheinträge Menschen in ähnlicher Situation helfen.(uek)
Hier finden Sie alle bisher veröffentlichten Tagebucheinträge.
«Ich will ins Bett, bin müde», versuche ich ihn abzulenken. Nachdem alles Nachfragen und Anteil nehmen nichts gefruchtet hat, hoffe ich, dass er doch zum Schlafen gehen zu bewegen sei. «Du musst Zähne putzen». Da reagiert er. Immerhin.
Ich begleite ihn ins Badezimmer. Das ist ihm vertraut, er nimmt die Spange heraus, putzt die Zähne, wäscht sich gar ohne Aufforderung das Gesicht. Er folgt mir ins Schlafzimmer.
«Es gibt da ein Problem», sagt er, «Sie können da nicht schlafen. Da schläft nämlich «sie».»
Ich atme tief durch, zeige ihm den Ring an meinem Finger. «Ja, Paul, da schlafe ich, dein Buseli, deine Frau, es ist alles in Ordnung». Verwundert schaut er mich an. Ungläubig blickt er prüfend in mein Gesicht. «Ja?» meint er fragend, ich umarme ihn, halte ihn fest.
«Ja, es ist alles in Ordnung. Ich gehe jetzt auch zu Bett und lese dann noch ein wenig. Geh du schon ins Bett, ich muss noch ins Badezimmer.
«Nein, nein, ich….», er folgt mir ins Badezimmer. Er schaut mir beim Zähneputzen zu, dann führe ich ihn wieder ins Schlafzimmer, gehe mit ihm ans Bett und sage bestimmt: «Nun zieh dich aus, ich komme jetzt auch».
Ein klarer, bestimmter Befehl hilft meistens die endlosen Diskussionen zu beenden.
Er findet sich wieder zurecht, hat sich beruhigt, ich darf auf eine gute Nachtruhe hoffen. Die Schlüssel habe ich von der Türe weggenommen, die beiden Nachtlichter auf dem Weg zum Badezimmer eingesteckt, die Schiebetüre zur Küche geöffnet (falls er nachts stürzen sollte, würde er sich so nicht am Glas verletzen). Eine letzte Kontrolle: Ja, die Tabletten hat er alle eingenommen.