24. Februar 2013 – Ich will mich selbst sein
Erstaunlich. Ohne dass sich viel an meiner alltäglichen Situation geändert hat, beginne ich mein Leben zu geniessen. Obwohl der Schmerz um die Trennung von Paul nicht wesentlich abgenommen hat, kann ich besser damit umgehen.
Nun hänge ich an freien Tagen nicht einfach herum, sondern plane Wanderungen oder treffe mich mit Freundinnen. Gerade durch all diesen Schmerz, diese Verzweiflung angesichts der schweren Krankheit von Paul, dem täglichen Umgang mit Betroffenen und ihren Angehörigen, bin ich erstarkt.
Ich bin belastbar geworden, tragfähig, ich lerne aushalten, durchhalten, Schmerzen ertragen. Auch ohne Psychopharmaka.
Doch, die hatte ich anfangs zu Hilfe genommen. Sie waren aber bloss Gehhilfen, Krücken, die ich nach kurzer Zeit wegliess. Ich wollte mich nicht fremd bestimmen lassen, meine Psyche manipulieren lassen. Ich wollte mich selbst sein. Es gelang mir ohne Probleme, ich wurde wieder ich selbst.
Das Tagebuch
Diese Aufzeichnungen sind ehrlich, ungeschminkt, offen und authentisch. Mit der Veröffentlichung im Internet gehe ich bewusst das Risiko des mich (zu sehr?) Öffnens ein – aber mit brennendem Herzen. Meine Notizen zeigen ein eigenes, persönliches und ungeschöntes Bild vom Begleiten meines demenzkranken Partners. Mögen diese Tagebucheinträge Menschen in ähnlicher Situation helfen.(uek)
Hier finden Sie alle bisher veröffentlichten Tagebucheinträge.
Ich fühlte den Schmerz intensiv und ertrug auch schlaflose Stunden. Anfangs war meine erste Handlung der Gang zum Fernseher, er lief, ich schaute kaum hin. Dann schenkte ich mir etwa einen kleinen Whisky ein, verdünnt mit Mineralwasser, setzte mich hin und versuchte zur Ruhe zu kommen.
Es war ein ständiger Kampf, den Alltag zu bewältigen. Kochen für mich allein? Wollte ich überleben, musste ich meinem Körper das Nötige zuführen. Wollte ich nicht untergehen, musste ich diszipliniert meinen Alltag auch als Alleinstehende gestalten lernen.
Nach dem Kochen, dann Essen, war Abwaschen und Aufräumen dran. Wie nahe lag da die Versuchung, alles liegen zu lassen, dies später zu erledigen, die Müdigkeit und Unlust waren zu gross.
Dennoch, auch hier, Disziplin war wohl die Leiter, die mich langsam aus der Depression steigen liess. Und das Danken. Jedes Mal wenn ich mich überwinden konnte, dankte ich meinem Herrn, der mich immer neu tröstete und mich stärkte.
Heute brauche ich den Fernseher weniger. Kaum mal das Radio. Ich trinke kaum noch ein Glas Wein zum Essen, den Gang an die Apéro-Bar brauche ich nicht mehr. Ich lerne den Augenblick geniessen. Das Jetzt. Lerne, in der Gegenwart zu leben. ich lebe, atme, sehe, höre, gehe.
Wenn ich esse, geniesse ich es, indem ich bewusst kaue. Wenn ich gehe, achte ich auf meine Schritte und nehme den Boden unter mir wahr. Oft atme ich bewusst ein und aus, danke Gott, dass ich lebe.
Danke, dass Jesus Christus mich aus der ganzen Unrast, dem Treiber dieser Welt entrissen hat, mir all meine Sünden meines Lebens getilgt hat. Sein Friede erfüllt mich immer mehr, je öfter ich Zeit in der Stille verbringe. Ich suche die Stille zu Hause, auf Wanderungen. Lob der kleinen Schritte.
Meine Wanderungen auf dem Jakobsweg haben ein neues Denken in mir wachgerufen. Auch ein neues Danken. Es kommt nicht auf die Distanz an, die ich zurücklege. Es ist vielmehr jeder einzelne Schritt, der wichtig ist.