20. Juni 2013 – Zuerst ein guter Nachmittag
Das kann ich heute sagen. Paul war wach, freundlich, sogar für ein Späßchen aufgelegt, der Abschied war auch freundlich, wenn seine Traurigkeit wegen der Trennung gleichwohl spürbar war. Wir beobachteten von seinem Zimmer aus zwei Bussarde, einen Turmfalken. Die Bussarde drehten Kreise, ab und zu stachen sie hinab in die frisch gemähte Wiese. Den Falken erkennt Paul jeweils am Rütteln, der hat seinen Stammplatz auf einer Profilstange am Horizont.
Nebenbei fülle ich ein Nono-Gramm aus, das lenkt mich ab von Paul, damit ich nicht Druck mache mit unnötigen Fragen und auf seine eigenen Impulse eingehen kann. Kreuzworträtsel lösen ist auch eine Abwechslung. Bin ich ganz auf Paul konzentriert, ist es für ihn zu anstrengend.
Mein Tagebuch
Diese Aufzeichnungen sind ehrlich, ungeschminkt und authentisch. Mit der Veröffentlichung gehe ich bewusst das Risiko des mich (zu sehr?) Öffnens ein – aber mit brennendem Herzen. Meine Notizen zeigen ein eigenes, persönliches und ungeschöntes Bild vom Begleiten meines demenzkranken Partners. Hier finden Sie alle bisher veröffentlichten Tagebucheinträge.
Meine Fragen und Ideen sind zu verwirrend. Lasse ich ihn einfach in Ruhe, kann er seinen eigenen Gedanken nachhängen und er fängt an zu erzählen, was ihn bewegt oder was er gerade vom Lehnsessel aus beobachtet. Eine friedliche Zeit, selten genug verlaufen die Besuche bei ihm wohltuend.
Gestern war Stress. Seine Hose roch sehr streng, milde ausgedrückt, ich versuchte mit allen Tricks, dass er sie auszog.
Die Pflegenden versuchten es erfolglos seit zwei Tagen. Und seit Wochen lässt sich Paul nachts nicht mehr ausziehen. Schläft auf Stühlen, Bänken, Sofas, ab und zu auch – angekleidet – im Bett.
Nun, ich ließ nicht locker, mit Bestimmtheit befahl ich ihm, die Hose auszuziehen. Das wirkte. Meistens klappt es mit gutem Zureden, mit Geduld, mit Ablenkungen, mit viel Liebe. Da kann er nicht anders, wenn er liebevolle Zuwendung erhält. Aber eben nicht immer. So wie eben. Aufatmen und dankbare Anerkennung von den Pflegenden.