«Mein Vater hat eine diagnostizierte Demenz und der Arzt hat ihm ein mündliches Fahrverbot erteilt. Aber er fährt trotzdem. Er ist ein furchtbarer Dickschädel. Jetzt noch mehr als vorher.»
Das schreibt eine Frau in einem Demenzforum und erhofft sich Ratschläge und Tipps von Gleichgesinnten. Wann darf ein Mensch mit Demenz nicht mehr Auto fahren? Die Lage ist weder einfach noch eindeutig. «Es gibt keine klaren Kriterien, im Durchschnitt sind es rund ein bis zwei Jahre nach Diagnosestellung.», sagt Irene Bopp, leitende Ärztin der Memory-Klinik der Universitären Klinik für Akutgeriatrie am Stadtspital Waid in Zürich.
Am stärksten wirken sich Aufmerksamkeitsstörungen, Beeinträchtigungen der exekutiven Funktionen sowie Störungen der räumlichen Wahrnehmung auf die Fahrweise aus – viel mehr als Gedächtnisprobleme. Dabei geht es zum Beispiel um die gleichzeitige Verarbeitung von visuellen und akustischen Signalen, die sogenannte geteilte Aufmerksamkeit. Exekutive Funktionen umfassen Planung, Voraussehen von Veränderungen, Flexibilität, Antrieb, Motivation und Impulskontrolle.
Mit 70 zur Kontrolluntersuchung
Ab 70 wird in der Schweiz jeder Automobilist alle zwei Jahre zur vertrauensärztlichen Kontrolluntersuchung aufgeboten. Ein Aargauer SVP-Parlamentarier wollte mit einer parlamentarischen Initiative erreichen, dass das Alter der erstmaligen Untersuchung von 70 auf 75 Jahre heraufgesetzt wird. Nun hat der Zürcher Regierungsrat sich in einer Stellungnahme negativ zu diesem Vorhaben geäussert, wie der Tages-Anzeiger berichtete. Dies mit der Begründung, dass sich unter den zwischen 70 und 75 untersuchten Leuten «zahlreiche Personen mit eindeutig verkehrsrelevanten medizinischen Einschränkungen befinden».
Die Wahrnehmung schliesslich braucht es, um Gefahrensituationen oder Verkehrsschilder rechtzeitig zu erkennen und den Überblick und die Orientierung im Verkehr zu bewahren. Dies schreiben die Autoren der «Konsensusempfehlungen zur Beurteilung der medizinischen Mindestanforderungen für Fahreignung bei kognitiver Beeinträchtigung». Das Autorenteam ist eine Expertengruppe aus den unterschiedlichsten Fachgebieten.
Lieber freiwillig aufhören
«Es kommt aber auch auf die Art der Demenz an», sagt Bopp. Bei einer frontotemporalen Demenz mit mangelnder Impulskontrolle komme es beispielsweise meist schon zu Beginn der Diagnose zu einer Fahruntauglichkeit. Daneben müsse auch beachtet werden, wie eine Person Auto fahre, ob sie schon viele Unfälle hatte, ob sie nah auf das vordere Auto auffahre.
«Menschen mit Demenz haben Mühe, Distanzen und Geschwindigkeiten einzuschätzen, vergleichbar mit kleinen Kindern.»
Psychologen oder Ärzte haben im Falle einer Demenzdiagnose also unter anderem die Aufgabe, Patienten über die Problematik des Autofahrens zu informieren. Irene Bopp thematisiert dies meist schon bei Diagnosestellung.
«Ich bereite die Patienten darauf vor, dass sie in den nächsten ein bis zwei Jahren damit rechnen müssen, das Fahren aufzugeben.» Bopp hofft, dass auf diese Weise die Patienten den Fahrausweis irgendwann freiwillig abgeben. Nichts findet sie schlimmer, als wenn er amtlich entzogen wird. «Das ist eine enorme Kränkung», sagt sie.
Es sei auch wichtig, andere Krankheiten zu berücksichtigen, die sich ebenfalls auf die Fahrweise auswirken können. Beispielsweise Diabetes im Falle einer Unterzuckerung oder eine Medikamenteneinnahme.
«Häufig fällt es Betroffenen leichter, sich einzugestehen, dass sie wegen einer körperlichen Krankheit nicht mehr Auto fahren dürfen als aufgrund der Demenz», sagt Bopp.
Generation Autofahrer
Nicht immer sind die Patienten einsichtig. Dann kommt es zu einer Meldung an das Strassenverkehrsamt (siehe unten). Dies ist auch ohne eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht möglich. «Ich bin zwar nicht verpflichtet, eine Meldung zu machen», sagt Bopp, «aber ich will schliesslich nicht, dass einer meiner Patienten jemanden überfährt.» Sie macht rund einmal pro Monat eine Meldung an die Behörden. Dies bei einer Menge von 400 neuen Patienten pro Jahr. «Weil ich das Thema rechtzeitig anspreche und einen Prozess in Gang bringe, ist diese Zahl nicht so hoch», sagt sie.
Dass die Abgabe des Führerausweises ein so heikles Thema ist, hat auch mit der Generation zu tun, die zurzeit von Demenz am stärksten betroffen ist. «Für mich hat das Autofahren eine andere Bedeutung, als für jemanden, der heute 70 oder älter ist», sagt Bopp. Bei älteren Menschen ist das Autofahren nach wie vor ein Statussymbol. Bei der Generation 80+ sind es vorwiegend die Männer, bei den heute 70-Jährigen zeigt sich das Problem genauso bei den Frauen. «Die Abgabe des Führerausweises bedeutet die Aufgabe der Freiheit», sagt Bopp.
Angehörige im Dilemma
Nicht immer schaffen es Angehörige, die freiwillige Abgabe des Ausweises zu fördern. «Oft haben sie Angst vor der Reaktion des Betroffenen», sagt Bopp. Oder sie sind von der Abgabe ebenfalls tangiert, weil sie dann zum Beispiel niemanden mehr haben, der sie zum Einkaufen fährt.
Irene Bopp stellt in solchen Fällen oft die Enkelfrage. Würde die Tochter ihre Kinder noch mit dem Vater fahren lassen?