Die Tagebücher von Max Frisch enthalten neben biografischen Episoden viele inspirierende Gedanken zu Politik, Philosophie und zum Menschsein im Allgemeinen.
Sie enthalten auch viele Fragen, dessen Beantwortung dem Leser einiges abverlangen. Zu Frischs letzten Aufzeichnungen gehört ein grösserer Fragebogen über den Tod und das Sterben. Wir haben diese Fragen dem Krankenpfleger und Theologen Jörg Fuhrmann gestellt.
Herr Fuhrmann, haben Sie Angst vor dem Tod und seit welchem Lebensjahr?
Jörg Fuhrmann: Ich bin mit dem Tod gross geworden. Meine Mutter pflegte meine Grosseltern bei uns zu Hause, dadurch war das Sterben präsent. Meine Oma war mein erstes Vorbild von Sterbenden. Sie hat ihr Krebsleiden und ihre Schmerzen ertragen und war für uns Kinder da.
Die Liebe meiner Oma zu uns war grösser als ihr Sterbewunsch.
Im Laufe meiner Jugend sah ich Unfallopfer und ich fragte mich, ob das Sterben endgültig sei – ohne mich davor zu fürchten. Als ich mit 22 Jahren ins Kloster kam, machte ich mir Gedanken über den Tod, die ich aber immer wieder verdrängte.
In der Pflege ist das Thema wieder aktuell geworden. Die Angst vor dem Tod genommen hat mir eine Patientin im Salzburger Sterbehospiz. Sie sagte: «Pflegen Sie nicht meine Wunde, sondern mich als Menschen.» Mit ihr hatte ich viele Gespräche. Ich war sehr beeindruckt, wie natürlich sie mit dem Tod umgegangen ist.
Was tun Sie gegen die Angst vor dem Tod?
Diese Patientin hat mich an der Hand genommen und mir gezeigt, dass der Tod nichts Schlimmes ist. In ihrer Haltung sah ich viel Hoffnung. Diese Hoffnung versuche ich in meiner Arbeit in der Pflege zu leben. Man muss das lernen. Ich hatte Gott sei Dank diese Lehrerin.

Möchten Sie unsterblich sein?
Nein, weil ich interessiert bin an dem, was nach dem Tod kommt. Der Theologe Paul Zulehner sagte: «Jeder hat das Recht, einen eigenen Tod zu haben.»
Haben Sie schon einmal gemeint, dass Sie sterben? Was ist Ihnen dabei eingefallen?
Ich hatte nie einen Moment, in dem ich glaubte zu sterben. Ich bin jetzt 50 und war noch nie im Krankenhaus.
Haben Sie eine Ahnung, was Ihnen kurz vor dem Ende einfallen wird?
Mich beschäftigt ab und zu, ob ich dann Rechenschaft ablegen muss, weil in meinem Leben nicht alles gut und richtig war. Ein Patient sagte mir: «Am Ende gibt es keine Abrechnung. Es gibt nur die Frage: War das dein Leben? Wenn du ‹ja› sagen kannst, dann ist alles gut.» Von sterbenden Menschen bekomme ich immer wieder Impulse, die mir die Angst nehmen.
Krankenpfleger, Theologe und Sterbebegleiter
Jörg Fuhrmann wuchs im Westerwald bei Köln auf, er ist Krankenpfleger und Theologe. Von 1994 bis 2000 lebte er als Frater Franziskus in einem niederösterreichischen Kloster. Dort kümmerte er sich unter anderem um die älteren Klosterbrüder, zwei von ihnen begleitete er am Sterbebett. Als Pfleger, Stationsleiter und Heimleiter sammelte er viele Erfahrungen mit Sterben, Tod und Trauer. Fuhrman vermittelt sein Wissen in Seminaren, Vorträgen, Workshops, Begleitungen und Interventionen.
Wenn wieder ein Bekannter gestorben ist: Überrascht es Sie, wie selbstverständlich es Ihnen ist, dass die anderen sterben? Und wenn nicht: Haben Sie dann das Gefühl, dass er Ihnen etwas voraus hat, oder fühlen Sie sich überlegen?
Überlegen fühle ich mich nicht, sondern beschenkt. Ein Nachbar ist vorgestern nach einer Radtour an einem Herzversagen verstorben. Am Tag zuvor hatte er noch in unseren Kinderwagen geschaut und sich an unserer Tochter erfreut. Das machte mir einmal mehr klar, dass es ein Geschenk ist, wenn man Zeit hat. Wir alle sollten lernen, diese Zeit zu nutzen. Es ist ein grosses Geschenk, wenn man überlebt.
Möchten Sie wissen, wie sterben ist?
Ich möchte es nicht wissen. Ich werde oft gefragt: «Wie funktioniert sterben?». Wenn ich es wüsste, würde ich diesen besonderen Effekt verlieren. Bis jetzt hatte ich keine negativen Erlebnisse mit dem Sterben, und ich möchte dieses Gefühl einmal selber erleben können.