Etwa jeder zehnte Betroffene leidet unter einer frontotemporalen Demenz (FTD), sie ist nach Alzheimer und vaskulärer Demenz die dritthäufigste Form. «Bei Menschen mit Demenz schauen Ärzte leider nicht immer genau genug hin», sagt Bernd Ibach, Chefpsychiater an der Clienia Privatklinik Littenheid.
Wesensänderung wird erklärbar
«Es ist aber wichtig, zu wissen, mit welcher Form man es zu tun hat.» Stelle der Arzt nämlich frühzeitig die Diagnose FTD, helfe das den Angehörigen enorm. Dann wüssten sie endlich, dass das oft merkwürdige Verhalten und die Wesensänderung des Betroffenen erklärbar sei.
Arnold Pick
Der Psychiater und Neurologe Arnold Pick sah 1892 bei der Obduktion eines früh verstorbenen Patienten, dass Teile des Gehirns, nämlich der Teil hinter der Stirn und hinter den Schläfen, geschrumpft waren. Er stufte dies als eigenständige Krankheit ein, die später frontotemporale Demenz oder Morbus Pick genannt wurde. 1892 beschrieb Pick in der «Prager Medicinischen Wochenschrift» die Beschwerden seines Patienten: Er zeige Sprachstörungen und ein «kindisches» Verhalten, spiele mit Hosenträgern und Löffeln.
«Arnold Pick hat schon damals die zwei typischen Symptome beschrieben», sagt Psychiater Bernd Ibach: «eine Wesensveränderung mit Verhaltensauffälligkeiten und Sprachstörungen.»
Sprachstörungen
Fragte man einen Patienten: «Was ist eine Uhr?», antworteten sie: «Ich weiss es nicht.» Oder sie würden ganz langsam sprechen oder eine falsche Grammatik benutzen. «Oft treten auch Paraphrasien auf. Das bedeutet, dass die Betroffenen zum Beispiel «Staubensauger» statt Staubsauger sagen.»
Verhaltensauffälligkeiten
In den meisten Fällen äussere sich eine FTD schon bei Krankheitsbeginn durch Verhaltensauffälligkeiten. Typisch sei das veränderte Essverhalten, sagt Ibach, das komme häufiger vor als bei anderen Demenzformen.
Das liege daran, dass diejenigen Hirnbereiche abbauten, die das Hunger- und Sättigungsgefühl steuerten. «Auch das Belohnungssystem ist betroffen: die Patienten empfinden Essen nicht mehr als etwas Schönes oder es macht sie nicht mehr satt.»
Wenn ihm Angehörige berichteten, der Betroffene habe seit einigen Monaten einen gesteigerten Appetit, esse phasenweise extrem viel, habe andere Vorlieben als früher, etwa Heisshunger auf Süsses oder Kohlenhydrate, oder er würde gar ungeniessbare Dinge verzehren, Nahrungsmittel horten oder von den Tellern anderer Personen essen, denkt der Psychiater sofort an eine frontotemporale Demenz.
Andere mögliche Verhaltensstörungen sind anzügliche Bemerkungen, eine Witzelsucht oder dass die Betroffenen sich nicht mehr genügend um die Körperpflege und ihr Äusseres kümmern.

Zeit nehmen fürs Gespräch
«Wenn sich der Arzt Zeit nimmt für das Gespräch, sollte er schon allein anhand der Geschichte des Patienten auf eine frontotemporale Demenz schliessen können», sagt Ibach.
So stellte er einmal die Diagnose bei einem Mann im mittleren Alter, der wegen seines zwanghaften Verhaltens zunächst mehrere Jahre vergeblich mit einer Psychotherapie behandelt wurde – dabei litt er unter einer frontotemporalen Demenz.
Patienten mit FTD schätzen ihre Alltagskompetenzen deutlich höher ein als ihre Pflegepersonen dies beurteilen. Auch Alzheimer-Patienten überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten, aber nicht so stark wie Patienten mit FTD1.
Lässt man die Patienten ihre Leistung vor einem neuropsychologischen Test einschätzen und danach nochmals beurteilen, sehen Alzheimer-Patienten eher ein, dass sie nicht gut abgeschnitten haben.
«Im Gegensatz dazu ist Patienten mit FTD überhaupt nicht bewusst, dass irgend etwas im Hirn nicht mehr stimmt. Die Betroffenen glauben trotz der Testergebnisse, sie seien gesund, auch wenn man sie damit konfrontiert.»
Die definitive Diagnose FTD lässt sich nur nach dem Tod durch eine Obduktion und Untersuchung des Hirnmaterials stellen. «Das wird aber selten gemacht», sagt Gregor Hasler, Chef-Psychiater an der Uni Bern. «Die Symptome sind meist so eindeutig, dass die Diagnose klar ist. Und ausserdem bringt es ja nichts, wenn man nach dem Tod weiss, unter welcher Demenz der Betroffene litt.»