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Patient und Arzt

«Die Halbgötter wurden vom Thron gestossen»

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Isabelle Scholl ist Professorin für patientenzentrierte Medizin. In ihrer Spezialambulanz für Psychoonkologie am Uniklinikum Hamburg (UKE) erforscht sie, wie sich die Beziehung zwischen Arzt und Patient optimal gestalten lässt.

Von Jan Rübel, Mut Magazin

Frau Professorin Scholl, der Name Ihres Fachgebietes lautet «patientenzentrierte Medizin». Was verbirgt sich hinter diesem sperrigen Begriff? 

Isabelle Scholl: Eigentlich ein einfacher Tatbestand. Er beruht darauf, dass jeder von uns im Laufe des Lebens zum Arzt geht. Und häufig, wenn wir es mit einem Arzt oder einer Ärztin zu tun haben, sind wir in einer vulnerablen Situation, weil etwas im Argen liegt. Umso hilfreicher ist es, wenn wir uns dabei gut aufgehoben fühlen.

Patientenzentrierung meint zum Beispiel, dass Patient:innen entsprechend ihren Bedürfnissen informiert und in medizinische Entscheidungen eingebunden werden. Sie sollten dabei unterstützt werden, sich selbst für ihre Gesundheit einzusetzen. Wie ein optimales Miteinander von Ärzt:innen und Patient:innen aussehen soll, das ist eine Aufgabe, die mich beschäftigt. 

Ist es denn nötig, dass man uns Mut zusprechen muss, wenn wir einen Arzt, eine Ärztin aufsuchen müssen? 

Aus Studien wissen wir, dass Menschen in solch einer Situation ziemlich befangen sind. Sie stehen dort auch anders für sich ein als in anderen Lebensbereichen. 

Weniger sicher? 

Ja. Es gibt viele Menschen, die sich beim Arzt fürchten, ihn zu verärgern oder als schwierig zu gelten. Dies gilt auch für Menschen mit hohem Bildungsniveau oder guter sozioökonomischer Stellung. Deshalb können wir sie nur ermutigen, sich mehr ins Gespräch einzubringen und zu fragen, was ihnen auf dem Herzen liegt. 

Aber im Grunde fühlt es sich doch gut an, von einem dieser Halbgötter in Weiss behandelt zu werden, oder? 

Mittlerweile wurden die Halbgötter von ihrem Thron gestossen. Der Zugang zu medizinischem Wissen hat enorm zugenommen, heute leben wir in einem anderen Zeitalter. Viele Menschen suchen im Internet nach Gesundheitsinformationen. Das wirkt sich auf die Arzt-Patienten-Beziehung aus. 

Bringt das Googeln nicht auch Irritationen mit sich, oder steigen unsere Chancen, wenn wir mehr wissen? 

Informationssuche im Internet kann natürlich verunsichernd sein. Wer mehr weiss, kann allerdings genauer fragen und damit besser eingebunden werden. Wir wissen, dass Ärzt:innen manchmal bestimmte Therapieoptionen bevorzugen – und wer sich eingelesen hat, kann besser in eigener Sache nachhaken.

Wissen schafft auch Kontrolle.

Wenn ich über meine Erkrankung etwas herausfinde, gewinne ich zumindest den Eindruck, dass ich zu meiner Therapie etwas beitragen kann. Das ist psychologisch gesehen wichtig.

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Der mündige Patient ist die eine Seite. Aber welches Feedback kriegen Sie von Ärzten, wenn die von mündigen Patienten mit endlosen Fragen genervt werden? 

Ich finde nicht, dass mündige Patient:innen nerven. Für unsere Medizinstudierenden in Hamburg gehört Kommunikation vom ersten Semester an zum Unterricht. Da findet gerade ein Generationenwechsel statt. Wen als Mediziner Fragen nerven, ist im falschen Beruf. 

Kommunikation kostet Zeit. Können sich Ärzte lange Beratungen leisten? 

Mangelnde Zeit ist eine Barriere für vieles. Wir wissen, dass deutsche Hausärzte weniger Zeit für ihre Patienten aufbringen als ihre Kollegen in einigen anderen europäischen Ländern. Man kann aber auch in kürzerer Zeit gut kommunizieren. 

Wie sieht denn eine gute Kommunikation aus? 

Nehmen wir den Klinikalltag als Beispiel. Da herrscht zuweilen Stress und in solchen Momenten kommt es vor, dass ich als Ärztin sage: Jetzt habe ich nur fünf Minuten – aber in denen können wir das Wichtigste klären, zumindest so viel, dass der Patient eine Orientierung hat.

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Gleichzeitig sollte man überlegen, wann noch offene Fragen zu beantworten wären. Wir können auch Materialien nutzen, Broschüren oder Erklärvideos. Ratsam ist ohnehin, nicht allzu viel in einem einzigen Gespräch zu erklären, weil man komplexe Sachverhalte oft nicht auf einmal aufnehmen kann. 

Aber mehr Zeit für Patientengespräche wäre schon gut, oder? 

Klar, deshalb sollten aus meiner Sicht Gespräche besser honoriert werden. 

In Amerika nutzt man Aufzeichnungen von Arztvisiten zur Erklärung, teilweise auch Audiodokumente. Wäre das auch deutschen Ärzten zu empfehlen? 

Das ist eine von vielen Möglichkeiten, die es erleichtert, Informationen zu behalten. Man kann sie nach einem Gespräch nochmal abrufen. Gerade realisieren wir eine Studie, die klären soll, inwiefern sich solche «Gespräche zum Mitnehmen» in unserem Gesundheitssystem nutzen lassen und wie offen Patient: innen und ärztliche Kolleg:innen dem gegenüberstehen. 

Wie könnte so etwas noch aussehen? 

Patienten brauchen Materialien, die ihnen helfen, Entscheidungen zu treffen. Schriftlich und grafisch aufbereitete Informationen kann man sich besser merken als nur Mündliches. Wir haben in den vergangenen Jahren Poster in Wartezimmern aufgehängt und Postkarten ausgelegt, die Menschen auffordern, mehr Fragen zu stellen.

Mit dem Slogan «Stellen Sie drei Fragen» wollen wir Patient:innen legitimieren, sich aktiv einzubringen.

Bei schwierigen Prognosen kriegen sie vielleicht nicht alles mit, das ist ja purer Stress. Deshalb raten wir zum Beispiel auch, Angehörige mitzubringen. Vier Ohren hören mehr und auch vier Augen sehen mehr, als wenn man sich nur zu zweit gegenübersitzt. 

An solch schwierigen und wahrscheinlich komplexen Diagnosen sind meist mehrere Ärzte beteiligt. Gibt es da ähnliche Vernetzungen, wie sie zum Beispiel in den USA praktiziert werden? 

Die Zusammenarbeit verschiedener Sektoren sollten wir in Deutschland in der Tat verbessern. Zum Beispiel zwischen ambulanter und stationärer Behandlung. Wenn ich also aus dem Krankenhaus entlassen werde, muss klar sein: Wann kommt der Arztbrief? Was soll als Nächstes passieren? Und von einer elektronischen Patientenakte, auf die wir als Patienten selbst Zugriff haben, sind wir meilenweit entfernt. Da ist Deutschland noch in der Steinzeit, auch im internationalen Vergleich.

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Irene Bopp, ehemalig Leitende Ärztin Memory Clinic Waid in Zürich

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Wie sähe denn eine solche Patientenakte aus? 

Ich habe mal ein Jahr in den USA verbracht, wo ich mir eine Sportverletzung zuzog. Nachdem die Diagnose gestellt war, konnte ich mich in meine Akte einloggen und auf Videos schauen, welche Übungen zur Heilung beitragen würden und wie sie am besten durchzuführen wären.

Ausserdem konnte ich nachlesen, was mir mein Physiotherapeut auf den Punkt genau mit auf den Weg gegeben hatte. Ich konnte auf diesem Wege auch Notizen in meiner Akte ergänzen. Davon können wir uns eine Scheibe abschneiden. 

Bei einem verstauchten Knöchel käme ich zur Not auch ohne solche Hilfen zurecht. Was jedoch tun, wenn es um eine ernste Erkrankung geht? Zum Beispiel eine Krebserkrankung. Als Psychoonkologin ist das ja Ihr ureigenes Fach. Was raten Sie in solch einem Fall? 

Gerade dann ist eine gute Koordination der Versorgung wichtig. Viele unserer Patient:innen verbringen viel Zeit damit, ihren eigenen Befunden hinterherzujagen, sich selbst um Termine bei unterschiedlichen Fachärzt:innen zu kümmern, sicherzustellen, dass Befunde und Berichte von A nach B kommen.

Da wäre ein Gesundheitssystem, das Menschen weniger Zeit und Nerven raubt, schon wünschenswert. Das Patientenrechtegesetz sieht klar vor, dass man ein Recht auf seine eigenen Befunde und Akte hat. 

Und was können Patient:innen tun, wenn sie Sorge haben, das Gespräch mit dem Arzt oder der Ärztin überfordert sie? 

Sie könnten proaktiv fragen, ob sie ein Gespräch selbst aufzeichnen dürfen. Oder ob sich Angehörige dazuschalten dürfen, sei es telefonisch oder online. Das ist eine Möglichkeit, die auch während der Pandemie funktionierte.

Oft ermutige ich Menschen auch, sich vorab Fragen zu notieren und Stift und Papier mitzunehmen für die Antworten. Ausserdem kann man den Arzt fragen, wo es das beste Informationsmaterial zum Nachlesen gibt. 

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Das Netz quillt über vor Informationen. Wie findet man sich da zurecht? 

Ich finde die Website von www.gesundheitsinformation.de sehr gut. Diese Informationen sind evidenzbasiert, beruhen also auf seriösen Studienergebnissen. Bei Fragen zu Tumorerkrankungen empfehle ich den Krebsinformationsdienst.

Schliesslich gibt es die Stiftung Gesundheitswissen, die arbeitet weniger textlastig und mehr mit Erklärvideos und Bildern. Für eine Beratung in gesundheitlichen und gesundheitsrechtlichen Fragen kann sich jede:r Bürger:in zum Beispiel auch an die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) wenden. 

Oder man kann auch den Arzt wechseln? 

Natürlich. Wir haben das Recht auf freie Arztwahl. Wenn man den Eindruck hat: Mit dem oder der komme ich gar nicht zurecht, auf meine Fragen wird nicht eingegangen, das Vertrauensverhältnis ist nicht vorhanden. In solchen Fällen kann es ratsam sein, den Arzt oder die Ärztin zu wechseln.     


Dieser Artikel erschien im Herbst 2022 im Mut – Magazin für Lösungen. Wir bedanken uns bei der Redaktion für die Gelegenheit zur Zweitverwertung.