Ein Nachtlicht ist eine gute Sache: Es bietet Komfort beim nächtlichen Gang ins Bad. Es ermöglicht uns, das »Geschäft« ohne das Einschalten der grellen Badezimmerbeleuchtung zu verrichten, und erhöht somit die Chance, schnell wieder einzuschlafen. Ein Nachtlicht unterstützt das Gefühl von Sicherheit und kann das Sturzrisiko verringern. Speziell für ältere und demenzkranke Menschen können Stürze bekanntlich fatale Folgen haben. Allzu oft ziehen sie eine Einweisung ins Heim nach sich.
Nachtlichter können auch nerven, weiß Josef Huber von der Ostschweizer Fachhochschule. Zum Beispiel, wenn ein Kabel das Reinigen des Bodens erschwert. Oder wenn der Bewegungsmelder zu sensibel ist und auf unruhigen Schlaf reagiert. Oder wenn der Zeitschalter für ein kleines »Geschäft« eingestellt ist und beim großen zu früh abstellt. Auch eine schnell abbauende Batterie kann zum Ärgernis werden – und die Sicherheit und Autonomie vermindern.
Nicht geeignete Geräte verursachen Frust
Dem Normalverbraucher werden solche Kriterien erst bewusst, nachdem er das (falsche) Nachtlicht gekauft hat. »In der Pflege kommst du oft in Situationen, in denen du hilflos bist«, sagt Huber. »Wenn du dann auch noch dein Geld verschwendet hast für ein schlechtes Produkt, fühlst du dich vom Hersteller ausgebeutet. Die wissen oft gar nicht, welchen Schaden ihre Produkte anrichten können.«
Huber weiß, wovon er spricht. Er ist diplomierter Krankenpfleger und Elektroniker. Seit 2015 hat er vier Musterwohnungen aufgebaut und mitgestaltet, in denen er technische Anwendungen für Menschen mit Einschränkungen testet. Die jüngste dieser Wohnungen heißt SimDeC und befindet sich an der Vadianstraße in St. Gallen. Huber hat sie für die Ostschweizer Fachhochschule eingerichtet. Sie dient als Testfeld für Geräte und als Schnittstelle zwischen Forschung und Praxis. Dem SimDeC angegliedert ist das Innovationszentrums zum Mitmachen (siehe Box).
IzM: Dein Innovationszentrum zum Mitmachen
Das Innovationszentrum zum Mitmachen (IzM) ist ein Angebot für Gemeinden, Beratungsorganisationen, Besuchsdienste, Kirchengemeinden, Quartiervereine und viele mehr. Das IzM arbeitet an den ganz alltäglichen Problemlagen. Es bringt mit seinen Technikboxen Menschen zusammen und alltägliche Themen ins Gespräch. Diese Form der Sensibilisierung und des Erfahrungsaustauschs ermöglicht es, Wissen ins Quartier zu tragen. Diese Kooperation zahlt sich aus, denn bei aller Individualität wiederholen sich Probleme.
Spätestens seit einem Auftrag kennt sich Huber sehr gut aus mit Nachtlichtern: Eine größere Kirchgemeinde wollte allen 80-jährigen Mitgliedern ein Nachtlicht schenken. Als Mitglied des IzM nutzt die Kirchgemeinde die Kraft der Kooperation: Das SimDeC erstellt einen Beratungsleitfaden zum Thema «Nachtlicht» – und zwar als Mitmachprojekt.
Mitmachen bedeutet konkret, dass eine Kiste voller Nachtlichter von Quartier zu Quartier gereicht wird. Dort wird die Technik von Anwendern kritisch unter die Lupe genommen. Huber: »Wenn wir gemeinsam Anfassen und Ausprobieren, können wir gemeinsam neues Lernen und unsere Erfahrung bündeln. Denn es geht uns nicht um die Technik – sondern darum, was der Mensch braucht. Es geht darum, festzustellen, ob Technik bedarfsgerecht ist. Und wer könnte das besser als die gebündelte Erfahrung vieler Bürgerinnen und Bürger?«.
Viele Sensoren – und Klebeband
Auf den ersten Blick sieht die St. Galler SimDeC-Wohnung ganz normal aus. Das Wohnzimmer und die Küche sind mit Mainstream-Möbeln und -Bildern ausgestattet. Im Badezimmer verraten ein großer Haltegriff an der Badewanne und Markierungen mit Klebeband den Zweck der Wohnung. Erst beim genaueren Hinschauen sind diverse Sensoren – die meisten davon sind Bewegungsmelder – zu erkennen.
Anders sieht es im Schlafzimmer aus. Dort steht ein variabel verstellbares Pflegebett. Darüber befinden sich diverse Infrarot- und Radar-Sensoren und Kameras. Sie alle sollen Stürze erkennen und – falls nötig – Alarme auslösen. Eine der Anlagen ist nicht sichtbar: Ihre Sensoren befinden sich unter dem Laminatboden. Sie misst berührungslos, ob eine Person auf dem Boden liegt und leitet daraus einen Sturzalarm ab. Der Haken an der Sache: Die Anlage kann nicht unterscheiden, ob der Bewohner wirklich gestürzt ist oder nur Yoga praktiziert.
St. Galler Demenzkongress am 13. November: Welche Technik braucht der Mensch?
Dass die Pflege in den nächsten Jahren im Zuge der Technisierung und Digitalisierung unserer Gesellschaft einem Wandel unterliegt und es neue Wege zu beschreiten gilt, dürfte unstrittig sein. Doch wie weit darf dieser Wandel gehen? Was ist erforderlich und mit welchen Technologien können Menschen mit Demenz und ihr Umfeld unterstützt werden? Was ist dabei auch moralisch zu beachten? Um diese und viele weitere Themen diskutieren verschiedene Akteure und Anspruchsgruppen am 10. St. Galler Demenz-Kongress am 13. November.
Josef Huber wird am Kongress den Workshop »Innovationszentrum zum Mitmachen« leiten. Dort werden die Teilnehmer Fragen diskutieren wie »Welche alltäglichen Probleme sollten gelöst werden?« und »Was hat mir geholfen, ein wichtiges alltägliches Problem zu lösen«.
> Hier gibt’s weitere Informationen und Ticket zum Demenzkongress
Hubers Lieblingsprodukt befindet sich in der Küche: Es handelt sich um Besteck, dessen Griffe mit rotem Klebeband markiert sind. »Ein Mann sagte mir, dass seine demenzkranke Frau das Besteck nicht erkenne und deshalb nicht mehr selbstständig essen könne«, erzählt er. Also organisierte Huber spezielles Besteck mit dicken roten Griffen. Das gefiel der Frau nicht, weil es augenscheinlich für Menschen mit Behinderung gedacht war.
Würde und Technik
Huber: »Dies zeigt uns auf, wie sensibel wir arbeiten müssen, weil solche Hilfsmittel die Würde des Menschen immer wieder verletzen können.» Zur Not markierte Huber das Besteck mit einem roten (billigen) Klebeband. Zu seiner Überraschung löste es sich im Geschirrspüler nicht vom Metall – und die Frau konnte dank diesem einfachen Lifehack wieder selbstständig essen.
Apropos Klebeband: Das günstige Allerweltprodukt kann in einer demenzgerecht eingerichteten Wohnung auch sonst ein wertvoller Helfer sein. Zum Beispiel kann damit die Erkennbarkeit von Schaltern oder WC-Spülungen verbessert werden. Speziell im Bad, wo oft alles kontrastarm in Weiß gehalten ist, können solche Markierungen wertvoll sein. Huber benutzt das Klebeband auch, um die Bewegungsmelder von Nachtlichtern genauer einzustellen, indem er ein Teil des Sensorfeldes zuklebt. So schaltet das Gerät nur dann ein, wenn es wirklich muss.