Gravierende Wissenslücken und viel Stigmatisierung - demenzjournal.com
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World Alzheimer Report

Gravierende Wissenslücken und viel Stigmatisierung

Ein grosser Teil der Weltbevölkerung versteht nicht viel von der Krankheit Demenz und vom Umgang mit den Betroffenen. Dies zeigt die bisher weltweit grösste Demenz-Studie aus dem Jahr 2019.

Der World Alzheimer Report 2019 mit einer Befragung von 70.000 Menschen aus 155 Ländern zeigt:

  • Zwei von drei Menschen glauben immer noch, dass Demenz ein normaler Teil des Alterns ist
  • 62 Prozent der Ärzte glauben noch immer, dass Demenz ein normaler Teil des Alterns ist
  • Etwa 50 Prozent der Menschen mit einer Demenz fühlen sich von den Fachleuten aus Medizin und Pflege ignoriert
  • Eine von fünf Personen macht das Schicksal für eine Erkrankung an Demenz verantwortlich, fast 10 Prozent betrachten es als Gottes Wille und zwei Prozent machen Zauberei dafür verantwortlich 
  • Alle drei Sekunden erkrankt weltweit ein Mensch an einer Demenz
  • In Deutschland erkrankt alle 100 Sekunden ein Mensch neu an einer Demenz

Die Ergebnisse zu den Einstellungen zu Demenz zeigen gravierende Lücken beim allgemeinen Wissen über Demenzerkrankungen, wobei zwei Drittel der Menschen immer noch glauben, dass die Krankheit ein Teil des normalen Alters ist, eher als eine neurodegenerative Störung.

Alzheimer’s Disease International (ADI), die internationale Dachorganisation von 100 nationalen Alzheimer-Gesellschaften überall auf der Welt, veröffentlichte zum Welt-Alzheimertag am 21. September den Welt Alzheimer Report 2019: «Einstellungen zu Demenz».

Der Bericht stellt die Ergebnisse der grössten Befragung zu den Einstellungen zum Thema Demenz dar, der jemals durchgeführt wurde, mit den Antworten von fast 70.000 Menschen aus 155 Ländern und Regionen. Die Analyse der Studie wurde durchgeführt von der London School of Economics and Political Science (LSE).

Der Bericht zeigt, dass das Stigma rund um die Demenz Menschen davon abhält, nach den Informationen, Beratung, Unterstützung und medizinischer Behandlung zu suchen, die die Länge und die Qualität ihres Lebens in dramatischer Weise verbessern könnten, bei einer Krankheit, die die weltweit am schnellsten wachsende Todesursache ist.

Die Zahl der Menschen mit einer Demenz wird sich mehr als verdreifachen, von derzeit über 50 Millionen auf 152 Millionen bis 2050. In Deutschland leben heute rund 1,7 Millionen Menschen mit Demenz, bis 2050 wird die Zahl auf 3 Millionen steigen.

Im Rahmen des World Alzheimer Reports wurden 70’000 Menschen aus 155 Ländern befragt.Bild PD

«Stigma ist das grösste Hindernis, das Menschen auf der ganzen Welt daran hindert, ihr Leben mit Demenz dramatisch zu verbessern», sagt Paola Barbarino, Geschäftsführerin von ADI. «Es ist daher unglaublich wichtig, die Konsequenzen von Stigmatisierung zu verstehen. Auf individueller Ebene kann Stigma die Lebensziele untergraben und die Teilnahme an sinnvollen Aktivitäten sowie das Wohlbefinden und die Lebensqualität verringern. Auf gesellschaftlicher Ebene können strukturelle Stigmatisierung und Diskriminierung die Höhe der für Pflege und Unterstützung bereitgestellten Mittel beeinflussen.»

Der Bericht enthüllt erstaunliche Einstellungen zur Demenz. Zu den Befragten gehörten Demenzkranke, Pflegekräfte, Ärzte und die breite Öffentlichkeit. Ein wichtiger Grund zur Besorgnis aufgrund des Berichts ist die Anzahl der Menschen auf der ganzen Welt, die glauben, dass Demenz ein natürlicher Teil des Alterungsprozesses ist.


 → Hier gehts zum Kommentar von Martin Mühlegg


Achtundvierzig Prozent der Befragten glauben, dass sich das Gedächtnis einer Person mit Demenz auch mit medizinischer Unterstützung nie verbessern wird, während einer von vier Befragten der Meinung ist, dass wir nichts tun können, um Demenz vorzubeugen. Dies sind grosse Hindernisse für den Zugang von Menschen zu Hilfe, Beratung und Unterstützung.

Der Bericht zeigt, dass das Stigma der Demenz dem Stigma ähnelt, das häufig mit psychischen Erkrankungen verknüpft ist, auf das Alter ausgerichtet ist und durch den Mangel an verfügbaren medizinischen Behandlungen verstärkt wird. Tatsächlich gibt es überall auf der Welt aber viele Formen der Unterstützung. Sprechen und Planen können Menschen helfen, so lange wie möglich gut mit einer Demenz zu leben.

«Derzeit gibt es nur sehr wenige Informationen darüber, wie sich Stigmatisierung in Bezug auf Menschen mit Demenz manifestiert und inwiefern dies weltweit möglicherweise variiert», fährt Barbarino fort. «Diese detaillierte Umfrage und der Bericht bieten uns nun eine Basisinformation für demenzbezogene Stigmatisierung auf weltweiter, regionaler und nationaler Ebene. Wir sind zuversichtlich, dass diese Erkenntnisse eine positive Reform und eine globale Veränderung in Gang setzen können.»

Rund die Hälfte der Betreuenden von Menschen mit Demenz haben gesundheitliche Probleme.Bild PD

Dem Bericht zufolge fühlen sich rund 50 Prozent der Demenzkranken, die geantwortet haben, von Angehörigen der Gesundheitsberufe (Ärzten und Krankenschwestern) ignoriert, während 33 Prozent der Befragten der Ansicht waren, dass sie von Angehörigen der Gesundheitsberufe oder Ärzten nicht angehört werden würden, wenn sie an einer Demenz leiden würden. 

Interessanterweise glauben 95 Prozent der Teilnehmer, dass sie in ihrem Leben eine Demenz entwickeln könnten, und mehr als zwei Drittel der Menschen (69,3 Prozent) würden einen genetischen Test durchführen lassen, um herauszufinden, ob sie demenzgefährdet sind (auch wenn derzeit keine krankheitsmodifizierende Behandlung verfügbar ist).

Zwei Drittel der Menschen glauben jedoch immer noch, Demenz sei ein natürlicher Bestandteil des Alterns.

Die Angst, eine Demenz zu entwickeln, ist weltweit gross, aber das wahre Verständnis der Krankheit ist gering. Dies ist besorgniserregend, da die Alzheimer-Krankheit und andere Demenzerkrankungen die fünfthäufigste Todesursache weltweit sind.

ADI startete am 1. September 2019 seine weltweite Kampagne «Let’s Talk About Dementia», um den Beginn eines Monats der Aufmerksamkeit für das Thema zu markieren. Der Kampagne liegt das Verständnis zugrunde, dass das Sprechen über Demenz dabei hilft, das Stigma zu bekämpfen, die Sprache zu normalisieren und die Menschen dazu ermutigt, sich stärker zu informieren, Hilfe, Rat und Unterstützung zu suchen.

«Auf demenzjournal.com finden sich die Informationen, die ich gebraucht hätte, als ich in meiner Familie bei diesem Thema am Anfang stand.»

Arno Geiger, Schriftsteller (Der alte König in seinem Exil)

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Die Demenzbloggerin und Journalistin Pippa Kelly sagt, es sei von entscheidender Bedeutung, dass wir als Gesellschaft mehr Gespräche über Demenz führen, um ein besseres Verständnis zu schaffen. «Stigma entsteht aus Angst. Angst erzeugt Stille, die wiederum Unwissenheit und Missverständnisse hervorruft», sagt Kelly.

In Deutschland sind rund zehn Prozent der über 65-Jährigen von einer Demenz betroffen. Jedes Jahr treten mehr als 300.000 Neuerkrankungen auf.

Weltweit erkrankt alle drei Sekunden ein Mensch an einer Demenz, aber die meisten erhalten keine Diagnose oder Unterstützung.

Die jährlichen Kosten für Demenzerkrankungen belaufen sich auf über eine Billion US-Dollar – eine Zahl, die sich bis 2030 verdoppeln wird. Die Zahl der Todesfälle aufgrund von Demenzerkrankungen hat sich zwischen 2000 und 2016 mehr als verdoppelt. Im Jahr 2016 war sie damit die fünfthäufigste Todesursache weltweit, im Vergleich zum 14. Platz im Jahr 2000. 

Die Kampagne «Reden wir über Demenz» will einfach das Gespräch über Demenz, Warnzeichen, Risikominderung, Ansprechpartner und Beratungsangebote anregen. Mangelndes Wissen über Demenz führe zu ungenauen Annahmen über die Auswirkungen auf die Person und ihre Familie sowie zu negativen Stereotypen darüber, wie sich eine Person mit Demenz verhält, sagt Barbarino.

«Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die anfänglichen Gefühle von Schock, Wut und Trauer bei guter Vorbereitung und Unterstützung der Demenzerkrankten und ihrer Familien durch ein Gefühl der Beruhigung und Befähigung ausgeglichen werden. Daher konzentriert sich die Kampagne darauf, die Gespräche über Demenzkrankheiten weltweit zu intensivieren.»