Sie spricht ihn darauf an, doch Herr F. sagt, er habe sich wohl gestossen. Am nächsten Tag meldet er sich telefonisch bei der Fachperson. Seine Frau sei gerade einkaufen. Er erzählt, die blauen Flecken habe ihm seine Frau zugefügt. Sie schlage ihn schon seit Längerem. Er habe Angst vor ihr. Die Pflegefachperson bespricht die Situation mit der Einsatzleiterin. Doch Herr F. möchte nicht, dass weitere Personen involviert werden, auch seine Töchter nicht.
Das Beispiel zeigt zwei zentrale Schwierigkeiten bei der Prävention und Intervention: Die Betroffenen vertrauen sich häufig niemandem an, unter anderem aus Angst, ihre Situation würde sich danach verschlechtern (z. B. durch einen Kontaktabbruch der eigenen Kinder). Ist die betroffene Person zudem urteilsfähig, darf nicht über ihren Kopf hinweg entschieden werden. Ihr Wille muss respektiert werden.
Thema bleibt unsichtbar
In der Schweiz gibt es bereits eine Vielzahl politischer Konzepte (z. B. die bundesrätliche Strategie «Gesundheit 2020») sowie rechtliche Normen, die grundsätzlich geeignet sind, Gewalt und Vernachlässigung im Alter zu verhindern, Fälle früh zu erkennen oder Betroffene zu unterstützen.
Darüber hinaus gibt es diverse konkrete Angebote wie beispielsweise Massnahmen zur Qualitätssicherung in der Pflege, kurzfristige Entlastungsangebote für pflegende Angehörige oder zugehende Beratung bei Demenz. Allerdings zielt die Mehrheit dieser Massnahmen nicht explizit auf die Gewaltprävention. Das Thema bleibt unsichtbar, das Potenzial vieler Angebote und Massnahmen ungenutzt, da sie nicht auf die Bedürfnisse älterer Menschen zugeschnitten sind
So stellt etwa das Aufsuchen einer Beratungsstelle für viele ältere Menschen eine Hürde dar. Die folgende Auswahl zeigt, dass es auch für den Pflegekontext bereits viele erfolgsversprechende Ansätze und Massnahmen gibt, auch wenn bis heute aussagekräftige Studien zu ihrer Wirksamkeit fehlen.
Bildung und Beratung
Bildungsmassnahmen für Pflegende und andere Fachpersonen werden als zentral für die Gewaltprävention angesehen. In der Schweiz wird das Phänomen in den Aus-, Fort- und Weiterbildung thematisiert, und es gibt Leitfäden und Informationsbroschüren.
Darüber hinaus finden sich weitere Angebote, die präventiv wirken können, wie Ombudsstellen für das Alter oder Opferhilfestellen. 2019 wurde die nationale Hotline «Alter ohne Gewalt» ins Leben gerufen, bei der sich ältere Menschen selbst, Angehörige oder Fachpersonen in (Verdachts-)Fällen beraten lassen können.
Im Fallbeispiel liess sich die Einsatzleiterin von der UBA beraten. Es wurde besprochen, Herrn F. zu raten, zumindest seine Töchter zu informieren. Nach diesem Gespräch war er bereit, mit der älteren Tochter in Anwesenheit der Pflegefachperson über die Situation zu sprechen.