demenzjournal: Du bespielst ab diesem Frühjahr im demenzjournal den Fotoblog »KONFETTI IM KOPF«. Was wirst du uns zeigen?
Michael Hagedorn: Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass die Menschen meine Fotos mehr als nur anschauen wollen. Sie möchten wissen, in welcher Konstellation sie entstanden sind, wer darauf zu sehen ist, und wie ich diese Menschen kennengelernt habe. Es ist wichtig, dass wir Demenz nicht nur von der medizinischen, sondern auch von der persönlichen, sozialen Seite her betrachten. Leider wird viel über einen Kamm geschoren, und da möchte ich gegensteuern. Wir müssen davon abkommen, die Menschen in Schubladen zu stecken. Wir müssen genauer hinschauen und uns fragen: Was ist das für ein Mensch? Wie ist er in diesem Moment?
Manche Betroffene und ihre Familien begleitest du über mehrere Jahre. Wie gehst du vor, wenn du sie zum ersten Mal besuchst?
Es ist sehr individuell. Ich versuche, mit Präsenz und Gesprächen eine Vertrauensebene zu schaffen. So lernen sie mich kennen, und irgendwann packe ich die Kamera aus. Später bin ich immer wieder zu Gast bei ihnen, und sie wissen, dass ich mit der Kamera komme. Ich werde zu einem natürlichen Teil des Ganzen.
Es fing mit dem Konfirmationsgeld und Fischen an
Michael Hagedorn (58) kaufte sich vom Konfirmationsgeld die erste Kamera und fotografierte damit die Fische in seinem Aquarium. Mit 15 verkaufte er seine ersten Fotos an Lokalzeitungen. Er fotografiert für internationale Magazine und für Firmen, Stiftungen und Ministerien. Seit 2005 beschäftigt er sich zwischen diesen Auftragsarbeiten intensiv mit dem Thema Demenz. Sein Archiv umfasst mittlerweile über 100’000 Aufnahmen, einige davon sind auf den Plattformen demenzwiki und demenzjournal zu sehen. 2007 gründete er die Initiative »KONFETTI IM KOPF«, die in Hamburg einige Angebote für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen geschaffen hat – unter anderem das KONFETTI-Café und die KONFETTI-Parade. Hagedorn lebt in Tornesch bei Hamburg.
Im späteren Stadium realisieren Menschen mit Demenz nicht mehr, wozu eine Kamera da ist. Entstehen so authentischere Bilder als bei uns Gesunden? Wir versuchen ja meist ein Bild von uns zu vermitteln und verstellen uns…
Die Menschen mit fortgeschrittener Demenz sind unverstellt und natürlich. Wenn die Kommunikation eingeschränkt ist, liegt es an mir, dass ich ihre Würde wahre und die Würde des Augenblicks einfange. Eine Person, die im Bett liegt und sich nicht mehr selbstständig versorgen und bewegen kann, mag für manchen ein Horrorbild sein, weil viele Ängste projiziert werden. Aber dieser Zustand kann auch sehr würdevoll sein und von einer fast übernatürlichen Ruhe.

Die Menschen, die du fotografierst, können dir oft nicht mehr selbst ihr Einverständnis geben, dass du diese Bilder veröffentlichen darfst. Wie gehst du mit dieser ethischen Frage um?
Während ich fotografiere, bekomme ich sehr viel positives Feedback von den Menschen mit Demenz. Oft fordern sie mich zum Fotografieren auf, und es entsteht ein wundervolles Miteinander. Aber sie erkennen den Kontext nicht, wie die Fotos später veröffentlicht werden sollen. Diese Ebene kläre ich dann mit den Angehörigen. Aber über allem steht mir in dem Moment das Einverständnis der Person, dass sie gerade gesehen werden möchte. Mein Kernanliegen ist es, das Thema Demenz auf eine menschliche und liebenswerte Art mit neuen Bildern zu besetzen.
Die meisten Menschen finden Demenz die schlimmste aller Krankheiten. Sie denken, Menschen mit Demenz seien fremdbestimmt, inkontinent und hätten keine Lebensqualität. Wir von demenzworld kämpfen gegen diese Vorurteile, weil sie in den allermeisten Fällen nicht der Realität entsprechen. Deswegen schätzen wir deine Bilder und verwenden sie gerne auf unseren Plattformen…
Die allermeisten Menschen – auch solche mit einer Demenz-Diagnose – wissen nicht, dass es einen anderen Blick auf das Thema geben kann. Sie sind vorkonditioniert, und die Neurologen, die ihnen die Diagnose an den Kopf knallen, sagen: »Wir sehen uns wieder in einem halben Jahr.«