alzheimer.ch: Ihre Selfie-Bilder zeigen Texte, aus denen wir nicht ganz schlau werden. Wie ist es zu dieser Werkserie gekommen?
Aramis Navarro: Es gibt eine App der Schweizer Post, mit der man über das Smartphone Postkarten verschicken kann. Zwei Freunde schicken mir damit regelmässig absurde Fotomontagen. Ich schicke ihnen Fotos, die mein Arbeitsumfeld und meine Arbeiten zeigen. Das Absurde verlege ich auf die Textseite der Postkarte.
Wie schreiben Sie diese Texte?
Ich merkte, dass ich mit nur einem Buchstaben einen ganzen Text schreiben kann. Wenn ich zum Beispiel den Buchstaben «d» tippe, schlägt mir das Smartphone verschiedene Worte vor: der, Dienstag, durstig usw.
Mein iPhone schlägt jeweils nur ein Wort vor. Welches Smartphone benutzen Sie?
Ein Huawei p9. Es schlägt mir zwischen drei und sechs Worten vor. Davon wähle ich eines aus. Dann macht das Smartphone Vorschläge für ein zweites Wort. Es schlägt mir Wortkombinationen vor, die ich irgendwann schon mal benutzt habe.
Wählen Sie die Worte willkürlich aus?
Ich gehe insofern überlegt vor, damit nicht drei Verben hintereinander folgen. Es soll ja ein einigermassen leserlicher Satz werden. Ich bin sehr experimentierfreudig, damit etwas Spezielles entsteht. Sätze wie „Ich gehe nach Hause“ will ich nicht. Wenn kein gutes Wort kommt, setze ich ein Satzzeichen.
Sie kultivieren etwas, das uns normalerweise an den Smartphones nervt. Diese Pseudointelligenz macht das Schreiben auf dem Smartphone oft kompliziert…
Für mich ist es ein Spass. Dank dieser Wortvorschläge kann ich freigeistern und andere Leute zum Lachen bringen.
Es begann zum Spass unter Freunden. Wie ist daraus eine Werkserie geworden?
Mit der Portkarten-App kann ich nur alle 24 Stunden eine Karte schreiben. Also verlegte ich das Texten in die Notizen-App. Dort kann ich die Texte speichern. Ich fand es zunehmend interessanter, wie schnell und unüberlegt ein Text entstehen kann. Mich faszinierte der Widerspruch zur künstlerischen Arbeit. Die Umsetzung in Bilder braucht viel Zeit und Sorgfalt.
Das Wörterbuch als Inspirationsquelle
In den Werken von Aramis Navarro wird das Wort zur visuellen Dichtung. Durch das Brechen von sprachlichen Regeln und Einheiten gelingt ihm die Verbindung von humorvoller Übertreibung und gesellschaftskritischer Anspielung. Oft mit einer Spur Wahrheit. So spielerisch, wie Aramis mit Begriffen umgeht, wählt er auch seine Materialien aus. Navarro lebt und arbeitet in Rapperswil-Jona (Schweiz).
Welche Techniken und Materialien haben Sie bisher verwendet?
Zuerst versuchte ich es mit Zinnschablonen. Anschliessend kamen Stempel. Dann schrieb ich mit dem Pinsel auf Papier, was mich nicht befriedigte. Es folgten Schablonen. Jetzt versuche ich, figurativ etwas aus dem Text darzustellen und den Text in die Bilder einzufügen.
Die Arbeiten wirken wie Dada-Kunst. War das Absicht?
Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Die Arbeit hat dadaistische Züge. Wenn man aber gewisse Sätze auf einer Metaebene betrachtet, haben sie Tiefsinn mit philosophischen und poetischen Aspekten.
Blödsinn und Tiefsinn liegen manchmal nahe beieinander…
Den Dadaisten ging es ja auch darum, das intellektuelle Getue auf den Arm zu nehmen.
Warum nennen Sie die Serie „Selfies“?
Der Ursprung der Arbeit ist wie beim Selfie das Smartphone. Wie beim Selfie verrät die Arbeit etwas über meine Persönlichkeit, weil ich offenbar diese Worte in diesem Kontext schon verwendet habe. Das Smartphone merkte sich meine Eingaben und legte einen Fundus über meine Sprache an. Es sind Selbstporträts.
Die Sätze könnten auch von Menschen mit Demenz stammen…
Ich hatte bisher nicht bewusst Kontakt zu Menschen mit Demenz. Ich ging davon aus, dass sie einfach vergessen. Ich wusste nicht, dass sie auch die Sprache durcheinanderbringen.
Ich habe mir vorgenommen, mich nun mehr mit dieser Krankheit auseinanderzusetzen und nachzuforschen.
Ihr Smartphone hat offenbar wie Menschen mit Demenz Wortfindungsstörungen…
Ja, und ich bin der Betreuer eines dementen Smartphone-Patienten.
Wenn Sie jetzt immer wieder so absurde Sätze kreieren, wird das Smartphone noch dementer…
Ich glaube nicht, denn ich erfinde ja nichts Neues. Ich habe ja die Wortfolgen schon einmal gewählt. Dementer wird es nur, wenn ich bewusst absurde Wortfolgen schreibe.