Sterbehilfe im staatlichen Sonderangebot - demenzjournal.com

Film «Plan 75»

Sterbehilfe im staatlichen Sonderangebot

Film Plan 75

Michi gehört zum Zielpublikum des Regierungsprogramms und meldet sich zum baldigen Sterben an. Bild pd

Im japanischen Science Fiction-Film «Plan 75» soll ein Regierungsprogramm ältere Menschen dazu bringen, sich freiwillig töten zu lassen.

Was passiert, wenn wir alle sehr alt werden? Was ist, wenn niemand mehr krank sein darf, schon gar nicht über eine längere Zeit? Wie organisieren wir das Gesundheits- und Sozialwesen, wenn niemand mehr pflegt, wenn die Familien auseinanderbrechen und die sozialen Bezugspunkte fehlen?

Was passiert, wenn niemand mehr aus Polen, Rumänien oder Vietnam bereit ist, bei uns die Arbeiten zu erledigen, die Alter und Krankheit verursachen? Und falls das alles nur in milder Form eintreten würde: Wer bezahlt die Pflege, wenn das prozentuale Verhältnis zwischen alten Pflegebedürftigen und jüngeren Erwerbstätigen weiter in Schieflage kommt?  

Eine realistische Apokalypse

Dieser apokalyptischen Vorstellung, die leider gar nicht so unrealistisch ist, hat sich der Film «Plan 75» angenommen. Und das sieht dann so aus: Wir sehen dunkle Umrisse, irgendetwas bewegt sich. Ein Schuss durchbricht die Stille. Eine dunkle Figur tritt ins Bild, sie hat Blut am Arm und trägt ein Gewehr. Am Fenster liegt ein umgestürzter Rollstuhl. Der Schütze lobt sich selbst für seine mutige Tat.

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Das Alter ist einsam geworden. Besonders in der Anonymität der japanischen Grossstädte und Agglomerationen haben viele alte Menschen keinen Kontakt mehr zu Verwandten. Sie haben keine Freunde und keine sozialen Räume, in denen sie sich aufgehoben fühlen. Die Alten sind überflüssig geworden. Sie sind zu gebrechlich und werden im leistungsorientierten Alltag zur Plage.

Da kommt es gerade recht, dass ein Gesetz verabschiedet wird, das den Suizid ab 75 Jahren nicht nur ermöglicht, sondern zu einem attraktiven Geschäftsmodell macht. «Wir begleiten dich in einen sanften Tod», heisst es in der Werbung. «Wir belohnen dich, wenn es frühzeitig geschieht.» 30 Minuten Kontakt müssen ausreichen, immerhin praktizieren die Sterbehelfer qualitätserprobte zugewandte Kommunikation. Aber nur am Telefon, geschäftsmässig eben, zu viel persönlicher Kontakt würde da nur stören.

Die Arbeit in der Todesfabrik ist gut bezahlt

In diesem Rahmen bewegen sich die Protagonisten des Films. Da ist der junge Mann, der den Tod wie eine Versicherung oder einen Bausparvertrag verkauft. Er ist freundlich, zugewandt und erfolgsorientiert. Es gibt die alte Frau, der die Wohnung gekündigt wurde. Auf der anderen Seite ist die junge Mutter von den Philippinen, die dringend mehr Geld braucht und deshalb in die Todesfabrik zur Arbeit geht.

Der Film lässt mich lange im Dunkeln. Wenn ich mehr erfahren möchte, kommt ein Schnitt und ein Szenenwechsel. Lange ist kein Zusammenhang der Protagonisten zu erkennen. Der gemeinsame Nenner ist, dass in der gezeigten japanischen Gesellschaft die Einsamkeit nicht nur bei den Alten gibt.

Für sie hat man nun eine Antwort gefunden, indem sie gemeinsam sterben können, im Tod vereint, sozusagen. Ganz langsam kommen die Figuren zueinander, vermischt sich das Geschäft mit dem Privaten, was ja verboten ist. Schliesslich finden die Lebenden mit den Todgeweihten zusammen.

Das Sterben als gute Tat

Wir werden zu alt und wir suchen nach Lösungen, die klinisch sauber zu sein haben, und den Alten das Gefühl vermitteln können, dass man mit seinem eigenen Tod noch was Gutes tun kann und sogar den Enkeln noch etwas geben. Zuwendung geben, den Druck hochhalten, um die Bereitschaft nicht erlahmen zu lassen, dass es jetzt an der Zeit ist.

Während des Films entstanden in mir Bilder von den Gaskammern des Dritten Reiches. Ich denke an die Perfektion der Massenvernichtung, an die Industrialisierung des Sterbens mittels Gaskammern.

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«Plan 75» ist eine klinisch saubere und satirisch anmutende Variante dieser Gaskammern: Man kann noch selbst entscheiden, aber ohne Wohnung, Geld und Sozialkontakte ist die Auswahl nicht mehr allzu gross. Das Ganze findet freundlich, höflich und wohlwollend statt, aber es findet statt. Die Asche kommt ins Massengrab. Am Ende werden die letzten Habseligkeiten sortiert, man könnte auch entsorgt dazu sagen.

Nicht nur unnütz, sondern belastend

«Plan 75» ist ein wichtiger Film, der eines der grossen Tabus unserer Zeit aufgreift: Was machen wir mit den Alten, die nicht nur unnütz sind, sondern auch das System belasten. Der Film wäre ein Albtraum, wenn die Regisseurin Chie Hayakawa die Geschichte nicht so zurückhaltend und mit Feingefühl inszeniert hätte. Die Frage aber, wie wir mit alten Menschen umgehen, müssen wir selbst beantworten.


Plan 75, Japan, 2022, 102 Min. Regie Chie Hayakawa. Der Film läuft ab Mai  2023 in den deutschsprachigen Kinos.