«Plötzlich tauchte der kleine Bub aus dem Körper dieses sterbenden Mannes auf und begann mit klarer Stimme das Volkslied «Mis Müeti» von Georges Alioth zu singen, ein Liebeslied an die Mutter. Das war ein faszinierender und berührender Moment, der zeigt, welche Kraft in der Musik steckt.»
Bild PD
Der Autor und Künstler Stefan Weiller kommt mit seinem Projekt «Letzte Lieder» erstmals in die Schweiz. Er hat Menschen in der letzten Phase ihres Lebens besucht, ihre Musik erfragt und daraus Geschichten gesponnen, die Schauspieler und Musikerinnen auf lustvolle Art und Weise auf die Bühne bringen.
alzheimer.ch:Herr Weiller, was erwartet uns an der Konzertlesung «Letzte Lieder»?
Stefan Weiller: In erster Linie ein bunter, abwechslungsreicher Abend mit ganz vielen lustigen Momenten, natürlich auch tragischen, denn das bringt der Tod mit sich. Die Geschichten, die wir erzählen, beruhen auf wahren Begebenheiten. Wir zeigen ein Stück Schweizer Geschichte.
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Es ist kein Laienspektakel, es sind alles professionelle Künstler. Mit dabei sind der deutsche Schauspieler Christoph Maria Herbst, der Schweizer Schauspieler Samuel Weiss sowie die Schweizer Schauspielerin und Sängerin Ursela Monn.
Wir haben eine Band mit Streichmusikern, Solisten, einen grossen Chor, drei Erzähler und wir arbeiten mit Videoprojektionen. Es soll Spass machen und gleichzeitig zur Frage inspirieren: Wie will ich leben und sterben?
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Das klingt alles sehr aufwendig. Wie erarbeiten Sie jeweils die Inhalte dieser Geschichten, die ja an jedem Aufführungsort anders sind?
Es ist tatsächlich sehr arbeitsintensiv. Am Auftritt in St. Gallen arbeiten wir bereits seit zwei Jahren. Ich nehme über soziale und kulturelle Institutionen Kontakt mit Menschen aus der Region auf, die kurz vor dem Tod stehen.
Ich werde eingeladen und spreche mit Ihnen über ihre Lebenserfahrung und über das Jetzt – die Zeit des nahenden Abschieds.
«Auf demenzjournal.com finden sich die Informationen, die ich gebraucht hätte, als ich in meiner Familie bei diesem Thema am Anfang stand.»
Arno Geiger, Schriftsteller (Der alte König in seinem Exil)
Ich erbitte von ihnen ein Stück Musik, das zeitlebens für sie bedeutsam war. Aus diesen Begegnungen schreibe ich ihre Geschichte nach. Als Autor versuche ich den Wortlaut und die Stimmung frei wiederzugeben, ohne den Inhalt der Gespräche Wort für Wort aufgezeichnet zu haben.
Aus diesen zusammengetragenen Begegnungen entsteht schliesslich eine gut zweistündige Konzertlesung, an welcher die Schauspieler und Musiker diese Geschichten in Episoden szenisch nacherzählen.
Dabei wandern wir auf der Bühne von Zimmer zu Zimmer, von Jahreszeit zu Jahreszeit, von Lebensalter zu Lebensalter.
Mal sind wir in einer Pflegeeinrichtung, mal bei jemand Zuhause, mal in einem Hospiz.
Hat das gut funktioniert in der Schweiz?
In Deutschland ist es so, dass ich inzwischen mehr Einladungen erhalte als ich Menschen besuchen kann. In der Schweiz kennt man das Projekt noch nicht, dementsprechend hat es auch etwas länger gedauert. Erstaunlicherweise haben sich überproportional viele Menschen aus Liechtenstein gemeldet.
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Wie viele Menschen haben Sie vor dem Auftritt in St. Gallen getroffen?
Das ist schwierig in Zahlen auszudrücken, weil ich auch viele Angehörige und Pflegende getroffen habe. Auf der Bühne werden wir 24 dieser Begegnungen nacherzählen. Die meisten waren hochbetagte Menschen, was den Rahmen etwas vorgezeichnet hat. Bei anderen Auftritten haben wir auch schon die Geschichten von sterbenden Kindern nacherzählt.
Waren auch Menschen mit Demenz dabei?
Selbstverständlich. Eine Begegnung ist mir dabei in spezieller Erinnerung. Eine Familie in Heerbrugg lud mich zu sich nachhause ein. Gemeinsam pflegten sie ihren an Demenz erkrankten Vater und Grossvater.
Beim Gespräch lag der Mann in seinem Bett, man sah ihm an, dass er bald sterben würde.
Er schwankte ständig zwischen Unruhe und Apathie, während mir seine Liebsten seine Lebensgeschichte erzählten. Als wir auf die Musik und sein liebstes Stück zu sprechen kamen, horchte er auf – er muss viel mehr vom Gespräch mitbekommen haben, als ich mir bewusst war.
Plötzlich tauchte der kleine Bub aus dem Körper dieses sterbenden Mannes auf und begann mit klarer Stimme das Volkslied «Mis Müeti» von Georges Alioth zu singen, ein Liebeslied an die Mutter. Das war ein faszinierender und berührender Moment, der aufzeigt, was Lebensqualität ist, der unseren Umgang mit der letzten Lebensphase infrage stellt und auch darauf hinweist, welche Kraft in der Musik steckt.
Der Mann ist drei Tage später gestorben. Seine Geschichte wird der Schweizer Schauspieler Samuel Weiss auf der Bühne nacherzählen, Musiker und Chor werden die Volksweise interpretieren.
Was für ein Publikum erwarten Sie?
Ich hoffe, dass nicht nur Fachpersonen kommen, denn es ist wirklich ein unterhaltsamer Abend, eigentlich etwas für die ganze Familie. Stellen Sie sich vor, in Deutschland haben wir mittlerweile sogar eine Fangruppe, die uns an alle Konzertabende nachreist, denn sie wissen, jeder Auftritt ist etwas Besonderes, etwas Einzigartiges.
Vielen Dank für das Gespräch, ich freue mich sehr auf die Aufführung.
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