alzheimer.ch: Arnold, die Hauptfigur Ihres Theaterstücks, hat eine Demenz und ist im Begriff, nach Thailand zu gehen, wo er sich vermutlich von jungen Frauen umsorgen lassen wird. Davon träumen wohl viele alte Männer. Können Sie sich einen solchen Lebensabend vorstellen?
Hansjörg Schertenleib: Ich kann mir vorstellen, dass es Männer mit solch lächerlichen Träumen gibt. Mein Traum ist es nicht! (lacht) Bei Arnold geschieht es auch nicht freiwillig. Er hat eine Demenz und will unbedingt in seiner Wohnung bleiben.
Sie lebten und arbeiteten in der Schweiz, in Irland, in den USA, und jetzt sind Sie im französischen Burgund. Haben Sie schon darüber nachgedacht, wo Sie Ihren Lebensabend verbringen möchten?
Ich bin in meinem Lebensabend! Ich bin vor einer Woche 65 geworden. Ich bin pensioniert.
Ich gratuliere nachträglich! Also fängt der Lebensabend mit 65 an, und Sie möchten ihn im Burgund verbringen…
Heute finden die meisten Leute, sie fangen erst mit 80 an, alt zu werden. Ich halte den Zwang für lächerlich, immer jung zu bleiben, sich jung zu kleiden und zu verhalten. In Irland und im US-Bundesstaat Maine erlebte ich anderes. Dort gibt es Menschen, die in Würde alt werden.
Dort brauchen die Alten keine farbigen Wanderjacken und E-Bikes.
Ja, ich finde, dass ich in meinem letzten Lebensabschnitt angekommen bin. Und ich kann mit aller Sicherheit sagen: Ich werde ihn nicht in der Schweiz verbringen.
Sie haben ein gestörtes Verhältnis zur Schweiz. Und doch kommen Sie immer wieder zurück. Warum?
Das hat mit meiner Arbeit zu tun. Ich schreibe Deutsch und liebe diese Sprache. Ich habe Lesungen, treffe Verleger und Lektoren. Natürlich komme ich auch wegen der Liebe – meine zweite Frau lebt in der Schweiz.
Ein Vorhang aus Rasierklingen
Arnold ist an Alzheimer erkrankt. Seine Tochter hat beschlossen, ihn in ein Heim in Thailand abzuschieben. Seine Enkelin Delia soll Arnold helfen, die Wohnung zu räumen und bekommt dabei «Unterstützung» von ihrem Freund Blerim. Doch Arnold wehrt sich. Daraus entwickelt Hansjörg Schertenleib ein spannungsvolles Kammerspiel, das am 15. Dezember 2022 in Aarau uraufgeführt wird.
Was machen die Leute in anderen Ländern besser, dass Sie nicht in der Schweiz alt werden möchten?
Ich habe viele Jahre in Irland auf dem Land gelebt. Der Umgang mit alten Menschen ist dort ganz anders. Die meisten meiner Nachbarn waren alt, einige davon waren meine Freunde, die ich regelmässig besuchte und unterstützte. In der Schweiz hätten die meisten von ihnen nicht mehr zu Hause leben können, weil die Nachbarn und die Behörden eingegriffen hätten.
Warum?
Weil sie nicht genug assen – wer bestimmt, wie viel man essen muss? Weil sie Unordnung und Schmutz hatten im Haus – na und? Weil es bei ihnen anders roch, als man es sich gewohnt ist. In Irland liess man sie machen, was auch mit dem Katholizismus und dem Wert der Familienstrukturen zu tun hat.
Dass ich nicht in der Schweiz alt werden möchte, hat auch mit fehlendem Platz zu tun: Mir ist sie zu eng.
Ich könnte vielleicht im Oberengadin leben, aber dort kostet ein Haus 8 Millionen Franken. Mein Haus in Irland kostete 150’000 Franken. So viel kosten in der Schweiz die Autos. Ein Kollege besichtigte neulich eine Wohnung im Zürcher Seefeld, die monatlich 6500 Franken kostet. Er wird sie nicht bekommen, weil 100 andere sie auch wollen. 6500 Franken: Von diesem Geld lebe ich im Burgund oder in Irland über vier Monate lang.