Sie teilt die Asche. Eine Hälfte schickt sie zu seiner Familie nach Wyoming, die andere behält sie. Schliesslich war Jakov auch Teil ihres Lebens, mit ihr hier in Zürich zuhause. Doch auch das kann den «Schmerz der leeren Räume» kaum lindern, der Herta nach Jakovs Tod gefangen hält.
Ausgehend von diesem «letzten Stelldichein» erzählt Autor Urs Faes eine berührende Liebesgeschichte, die am Flughafen Frankfurt ihren Anfang nimmt. Herta, die sich mit ihrem Singledasein arrangiert hat, stolpert «jäh über die Füsse dieses langen Amerikaners mit Cowboyhut und Westernstiefeln».
Ein schicksalhaftes Aufeinandertreffen zweier Menschen, die schon viel erlebt haben.
Herta wurde von ihrem Mann verlassen, Jakov lebt geschieden, beide haben erwachsene Kinder. Obwohl Hertas Kinder alles andere als begeistert sind von dieser späten Liebe, verlässt Jakov seine amerikanische Heimat und zieht zu Herta nach Zürich.
Es folgen zweiundzwanzig glückliche Jahre als Ehepaar. Herta blüht auf, reist mit Jakov immer wieder in die USA und lernt sogar reiten, um dessen Heimat mit ihm zusammen vom Sattel aus zu erfahren. Als die ersten Symptome der Krankheit auftreten, wollen beide zunächst nicht wahrhaben, was geschieht.
Sie überspielen die Vergesslichkeit, die «Nachlässigkeiten», die Jakov unterlaufen. Bis er völlig erschüttert von seiner traditionellen Fahrt ins Bergell zurückkommt: «Nichts sei ihm vertraut vorgekommen, nicht die Küche, nicht das Schlafzimmer, nicht der Blick ins Tal, in dem sie zusammen gewandert seien.»
Auch die Wörter verschwinden, und das macht Jakov grosse Angst:
«Immer öfter würden mitten am Tag Wörter fehlen, die er immer, über Jahre hin, gekannt habe: der Name für sein Bier, das dunkle Brot – plötzlich nicht mehr da. […] Er suche und grüble und hinterfrage sich, als könne er verlorene, entschwundene Wörter herbeikratzen, sie unter dem Schädel hervorkratzen, wie man etwas von den Wänden kratzt oder in der Erde wühlt nach einem verlorenen Schatz […]. Manchmal falle ihm ein vergessenes Wort dann ein. Wörter, die er wiederfinde, nenne er Lazarus-Wörter, weil sie auferstehen würden wie Tote, wie Lazarus.»
Am Verlust der Sprache zeigt Autor Urs Faes nicht nur Facetten der Krankheit, sondern des Menschseins an sich: «Was ist einer noch, wenn er die Wörter verliert?» Diese Frage ist einem, der mit Sprache arbeitet, besonders gegenwärtig. Doch die Möglichkeit, sich sprachlich auszutauschen, ist auch ein Grundbedürfnis.
«Wir erleben das in der Pandemie: Wir sind dialogische Wesen», erklärt Urs Faes im Gespräch mit alzheimer.ch. «Wir haben ein dialogisches In-der-Welt-sein.» Durch das Erzählen erschaffen wir uns, bauen unsere Identität. Wir vergewissern uns, dass wir Teil einer Gemeinschaft und in eine Normalität, einen Tagesablauf eingebettet sind. Diese scheinbare Konstante entschwindet Jakov.
Nach der Diagnose versuchen er und Herta, sich in der neuen Situation, die nun einen Namen hat, zurechtzufinden. Sie erleben die Qual des Vergessens und des Vergessenwerdens, den Rückzug aus der Welt. Momente der Nähe wechseln mit Augenblicken der Irritation und Verzweiflung.
Was sie durch diese schwierige Zeit trägt, ist das Fundament der langjährigen Beziehung. Dieser Kitt, das «stille Einverständnis» zweier Menschen, ist es, worauf Urs Faes den Fokus legt. Er habe keine weitere Krankheitsgeschichte schreiben wollen. Vielmehr erzähle er eine Liebesgeschichte, die sich über zwanzig Jahre hinweg entfalte bis zu den ersten Krankheitssymptomen.