Und dann wurde es still. Immer, wenn mich jemand fragte: «Worum geht es in Deinem Roman?» Und ich sagte: «Um den Tod.»
Schnell versuchte ich, meine Antwort zu relativieren. «Es ist kein trauriges Buch, im Gegenteil, es ist eine Geschichte über das Leben.» Das klang und klingt möglicherweise paradox, wer stirbt, lebt nicht mehr. Doch in diesem einen Fall ist es logisch:
Wer mittels so genanntem Sterbefasten aus dem Leben scheidet, tut dies meistens sehr bewusst und oft, nachdem er ein für sich erfülltes Leben geführt hat.
Mein Erstling «Durstig» ist 2017 im Zytglogge-Verlag erschienen. Der Roman erzählt die Geschichte von Carl, der erblindet und sterben möchte. Es ist keine Todessehnsucht, die ihn plagt, sondern das Bewusstsein, dass sich sein Leben nicht mehr zum besseren wenden würde und er mehr als genug wunderbare Momente erlebt hat.
Wenn ich den Leuten das so erzähle, ihnen sage, dass es kein trauriger Tod ist, über den ich schreibe, verstehen sie zunächst oft nicht, was ich damit meine. Ist der Tod nicht immer traurig?
Eigentlich schon, jemand geht, andere bleiben zurück. Wenn ein Freund an Krebs stirbt, ein Familienmitglied bei einem Autounfall ums Leben kommt, sich ein naher Mensch aus Verzweiflung umbringt – dann ist es immer traurig.
Doch diese eine Form des Sterbens, das Sterbefasten, passt in keine dieser Kategorien. Zumal es nur etwas für sehr alte Menschen ist, da Jüngere unmöglich über Tage, je nach dem Wochen, fasten können. Zu stark wäre das Durstgefühl, zu gross wohl auch das Leiden.
Mein Grossvater war Mitte 90. Er hat stets gesagt: «Ich esse und trinke nur noch, weil ich muss. Das Verlangen danach habe ich seit Jahren nicht mehr.» Dies und der Wunsch, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, gab ihm die Kraft (oder sollte es Disziplin heissen?) es durchzuziehen. Es – dieses ominöse Sterbefasten, das bei genauem Hinsehen gar nicht so ominös ist.
Es gab zurückhaltende Reaktionen von Leuten, Menschen, die sagten: «Ich habe Dein Buch gekauft, werde es aber erst lesen, wenn ich die Kraft habe.» Und es gab Menschen, die mir von ihrer Mutter oder dem Grossvater erzählten, der sich hingelegt und mit Trinken aufgehört hätte.
Das Sterbefasten ist nicht neu. Bloss hat es jetzt einen Namen.
In «Durstig» geht es nicht nur um Carl und dessen Sterbeweg. Zwei jüngere Menschen spielen eine genauso grosse Rolle. Carl ist es, der ihnen klar macht, dass es sich lohnt, sein Leben selbstbestimmt zu führen. Dabei spielt die Liebe eine Rolle, der Beruf, die Leidenschaft für etwas, was das Leben bietet, seien es Pflanzen, Reisen, Musik.
Nachdem das Buch erschienen war, dauerte es keine zwei Wochen, bis mich erste Mails von fremden Menschen erreichten. Alle zeigten sich überrascht darüber, dass «Durstig» tatsächlich kein trauriger Roman ist, sondern im Gegenteil teilweise sogar lustig.
Auch ich hätte mich zurückgehalten, dieses Buch sofort zu lesen. Ich mag den Tod als Thema nicht, habe sogar Angst vor dem Tod. Das Sterbefasten ist aber anders, es ist wohl wirklich die einzige Form des Todes, die erträglich ist für die Zurückbleibenden.
Ich habe das Buch aus der Überzeugung geschrieben, dass Sterbefasten als Thema unsere Gesellschaft künftig mehr beschäftigen wird. Und ich hoffe, die Menschen mit meiner Geschichte ein wenig sensibilisieren und ihnen die Angst nehmen zu können.
Podcast: Sterbefasten in Vorsorgeregelungen und Patientenverfügungen
Alzheimer Zürich lud im Januar 2016 zu einer Podiumsdiskussion ein. In diesem Audioprotokoll hören Sie das Streitgespräch zwischen Dr. Albert Wettstein, damals Vizepräsident der Alzheimervereinigung Zürich und Dr. Raimund Klesse, Psychiater und Präsident der Alzheimervereinigung Graubünden. Moderiert wurde der Anlass von Christina Krebs, Geschäftsführerin Alzheimer Zürich.