Sie ist hübsch geschminkt und macht trotz wenig Schlaf einen wachen Eindruck: Yasemin Aicher sieht man zunächst nicht an, dass sie mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat. Sie sei stur wie ein Esel, versichert sie, als wir uns zum Videocall treffen. Das helfe ihr. Und natürlich ihr Mann Frank, den die damals alleinerziehende Mutter 2001 kennenlernte.
Schon länger leidet die 58-Jährige am Familiären Mittelmeerfieber, einer Autoimmunerkrankung mit schmerzhaften Fieberschüben. Mit 44 Jahren erhält Yasemin dann noch die Diagnose Frontotemporale Demenz und Parkinson-Syndrom. Das zerschlägt ihren und Franks Plan, in die Türkei auszuwandern, wo das Fieber durch die Wärme erträglicher gewesen wäre. Man erhält kein Pflegegeld, wenn man im Ausland wohnt. Für Yasemin und Frank beginnen schwierige Zeiten.
Yasemins Tochter hat sich durch Betreiben der Großmutter von ihr abgewandt, ihren Enkel kennt sie nur von Bildern.
Doch Frank hält zu ihr. Auch online verfügt Yasemin über ein großes Netzwerk. Die Demenzaktivistin setzt sich für die Sichtbarkeit Jungbetroffener ein, unter anderem auf Social Media, an Kongressen und als Mitglied des Patientenbeirats des Deutschen Zentrums für neurodegenerative Erkrankungen DZNE.
Jetzt hat sie mit Frank ein Buch über ihr Leben mit Demenz veröffentlicht. Wir wollten von ihr wissen, was sie als Aktivistin antreibt, was Angehörige und Betroffene tun oder lassen sollten und wie man es schafft, Demenz als Freundin anzunehmen.
demenzjournal: Dein Buch trägt den Titel »Ich habe Demenz … keine Angst, ist nicht ansteckend«. Fürchten sich andere vor dir?
Yasemin Aicher: Viele Menschen haben Vorurteile, was Demenz betrifft. Sie glauben, sie könnten sich damit anstecken. Sie sind unsicher, wie sie damit umgehen sollen, und entfernen sich. Ich habe dadurch einige Freunde verloren, und was noch mehr schmerzt: meine Tochter und meine Mutter. Das Buch ist eine Möglichkeit, Menschen über das Leben mit Demenz aufzuklären.
Ich habe dein Buch verschlungen. Es ist nicht lektoriert und dadurch sehr authentisch.
Ich wollte es unperfekt lassen, weil ich anderen Mut machen möchte, dass man sich für seine Einschränkungen nicht schämen muss. Ich habe es ja mit meinem Mann Frank geschrieben. Er hat die Sätze korrigiert, die verworren waren. Denn im Gegensatz zu früher komme ich jetzt vom Hundertsten ins Tausendste und verheddere mich.
Jetzt schreiben Frank und ich ein zweites Buch. Es wird wahrscheinlich mein Letztes sein, weil ich die Worte immer schwerer finde. Ich muss die Kapitel in einem Rutsch durchschreiben, sonst vergesse ich wieder, was ich geschrieben habe. In diesem zweiten Buch sind vermutlich noch mehr Fehler drin. Aber gut, das ist die Entwicklung der Demenz.
Frank und du, ihr scheint ein gutes Team zu sein.
Frank gibt mir viel Kraft. Er ist mein Manager und eine große Stütze. Übrigens sitzt er dort drüben am Küchentisch und flüstert mir die richtigen Wörter zu, wenn ich sie nicht finde. Frank begleitet mich auch überall hin. Ohne ihn kann ich das Haus nicht verlassen, weil ich mich verirre. Er kommt auch mit zum Arzt. Das war auch so etwas …
Viele Ärzte haben mir anfangs nicht abgenommen, dass ich Demenz habe: »Das kann nicht sein, Sie sehen ja gar nicht danach aus!«
Ja, typischerweise stellt man sich jemanden vor, der über Siebzig ist.
Das ist das Problem. Fernsehberichte oder Broschüren von Alzheimer-Gesellschaften zeigen ältere Menschen. Dabei ist Demenz keine Krankheit des Alters mehr. Demenz kann jeden treffen. Aber sogar die Ärzte haben eine andere Vorstellung. Ich muss ihnen Hirnscans und alles Mögliche vorlegen, damit sie mir glauben. Das ist krass! Und die Gesellschaft kommt überhaupt nicht damit klar.