Meine aktuelle Gemütslage? Ich bin wahnsinnig stolz: auf unseren Beruf, auf uns, auf Sie alle. Doch je grösser mein Stolz, desto überwältigender meine Wut – meine Wut über die Entwicklung unseres Gesundheitswesens. Meine Wut darüber, was mit der Pflege und in der Pflege passiert.
Ich wurde gefragt, ob der Patient noch im Mittelpunkt steht. Das ist er ganz gewiss. Die Frage ist nur: im Mittelpunkt wovon? Das Schwein und das Kalb stehen auch im Mittelpunkt des Schlachthofs. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es ihnen sehr hilft.
Den Patienten helfen, das ist unser Auftrag. Dabei wird uns Nettigkeit nicht weiter bringen. Oder wie die «Dixie Chicks» singen: «Not ready to make nice».
In Bern, 100 Meter von der SBK-Geschäftsstelle entfernt, wird demnächst ein Wunderwerk der modernen Protzarchitektur eingeweiht. Dessen kryptischer Name: SITEM. Das steht für «Swiss Institute for Translational and Entrepreneurial Medicine».
Ich habe immer noch nicht ganz verstanden, was hinter der Glasfassade geschehen soll. Aber aus dem Namen transpiriert, dass man dort an Gesundheit und Krankheit viel Geld verdienen wird.
Der Bau wird gegen 100 Millionen Franken kosten. Wir dürfen annehmen, dass die sehr bald amortisiert sein werden.
Etwas weiter steht das Berner Inselspital. Das Inselspital hat hunderttausende von Steuerfranken in einem jahrelangen Gerichtsverfahren verpulvert. Die Oberärztin Nathalie Urwyler hatte das Spital wegen Diskriminierung verklagt.
Ihr Chef hatte ihr angekündigt, falls sie nach ihrem Mutterschaftsurlaub nicht bereit sei, voll – also 70 oder 80 Stunden pro Woche – weiter zu arbeiten, würde er sie entlassen. Sie war nicht bereit dazu – daraufhin er hat sie entlassen.
Urwyler zog vor Gericht – das Inselspital hat in jeder Instanz verloren – zuletzt wurde es vom Bundesgericht gezwungen, Nathalie Urwyler wieder anzustellen.
Im Oktober 2018 gab das Inselspital bekannt, dass bis zu 700 Stellen gestrichen werden sollen. Nicht in der Verwaltung, nicht in der Kodierung, sondern in der Pflege und in der Medizin.
Neoliberales Primat der Wirtschaft
SITEM, die causa Urwyler und das vom Inselspital geplante – in der Zwischenzeit redimensionierte – Personalmassaker hängen nicht direkt zusammen. Sie stehen aber für zwei Systeme, die eine toxische Verbindung eingegangen sind, um sich an den Patienten zu mästen – zulasten unserer Arbeitsbedingungen, unserer Krankenkassenprämien und unserer Steuern.
Diese beiden Systeme – auf die ich im Folgenden näher eingehe – nenne ich «Geldgier» und «Machtgier». Sie ergeben zusammen ein Paradigma, das wir dringend überwinden müssen.
Das ist keine Utopie, und es geht ohne Blutvergiessen. Das zeigt die Entwicklung im Bereich der zivilen Luftfahrt. Auch sie befand sich im Würgegriff jener Systeme, was ich am Beispiel zweier Katastrophen illustrieren will.
Vor gut zehn Jahren führte ein an sich harmloser technischer Defekt dazu, dass ein Airbus bei der Landung in Sao Paolo über den Pistenrand und die angrenzende Autobahn in eine Tankstelle und ein Bürogebäude schoss. Das Unglück forderte 199 Todesopfer und wäre absolut vermeidbar gewesen.