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Berufspolitik

Nettigkeiten bringen uns nicht weiter

«Wer ein Menschenleben rettet, ist ein Held; wer hundert Menschenleben rettet, ist eine Pflegefachfrau – vermutlich überarbeitet und unterbezahlt.» (Margaret Chan) Daniel Kellenberger

Die Pflege wird aufgerieben in einem Gesundheitssystem, das von Macht- und Geldgier dominiert wird und sich an den Patienten mästet. Es ist Zeit, dass sich das ändert, findet unser Autor und zieht dabei bemerkenswerte Parallelen zur zivilen Luftfahrt.

Meine aktuelle Gemütslage? Ich bin wahnsinnig stolz: auf unseren Beruf, auf uns, auf Sie alle. Doch je grösser mein Stolz, desto überwältigender meine Wut – meine Wut über die Entwicklung unseres Gesundheitswesens. Meine Wut darüber, was mit der Pflege und in der Pflege passiert. 

Ich wurde gefragt, ob der Patient noch im Mittelpunkt steht. Das ist er ganz gewiss. Die Frage ist nur: im Mittelpunkt wovon? Das Schwein und das Kalb stehen auch im Mittelpunkt des Schlachthofs. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es ihnen sehr hilft.

Den Patienten helfen, das ist unser Auftrag. Dabei wird uns Nettigkeit nicht weiter bringen. Oder wie die «Dixie Chicks» singen: «Not ready to make nice».

In Bern, 100 Meter von der SBK-Geschäftsstelle entfernt, wird demnächst ein Wunderwerk der modernen Protzarchitektur eingeweiht. Dessen kryptischer Name: SITEM. Das steht für «Swiss Institute for Translational and Entrepreneurial Medicine».

SITEM.Bild PD

Ich habe immer noch nicht ganz verstanden, was hinter der Glasfassade geschehen soll. Aber aus dem Namen transpiriert, dass man dort an Gesundheit und Krankheit viel Geld verdienen wird.

Der Bau wird gegen 100 Millionen Franken kosten. Wir dürfen annehmen, dass die sehr bald amortisiert sein werden. 

Etwas weiter steht das Berner Inselspital. Das Inselspital hat hunderttausende von Steuerfranken in einem jahrelangen Gerichtsverfahren verpulvert. Die Oberärztin Nathalie Urwyler hatte das Spital wegen Diskriminierung verklagt.

Ihr Chef hatte ihr angekündigt, falls sie nach ihrem Mutterschaftsurlaub nicht bereit sei, voll – also 70 oder 80 Stunden pro Woche – weiter zu arbeiten, würde er sie entlassen. Sie war nicht bereit dazu – daraufhin er hat sie entlassen.

Urwyler zog vor Gericht – das Inselspital hat in jeder Instanz verloren – zuletzt wurde es vom Bundesgericht gezwungen, Nathalie Urwyler wieder anzustellen.

Im Oktober 2018 gab das Inselspital bekannt, dass bis zu 700 Stellen gestrichen werden sollen. Nicht in der Verwaltung, nicht in der Kodierung, sondern in der Pflege und in der Medizin.

Neoliberales Primat der Wirtschaft

SITEM, die causa Urwyler und das vom Inselspital geplante – in der Zwischenzeit redimensionierte – Personalmassaker hängen nicht direkt zusammen. Sie stehen aber für zwei Systeme, die eine toxische Verbindung eingegangen sind, um sich an den Patienten zu mästen – zulasten unserer Arbeitsbedingungen, unserer Krankenkassenprämien und unserer Steuern.

Diese beiden Systeme – auf die ich im Folgenden näher eingehe – nenne ich «Geldgier» und «Machtgier». Sie ergeben zusammen ein Paradigma, das wir dringend überwinden müssen.

Das ist keine Utopie, und es geht ohne Blutvergiessen. Das zeigt die Entwicklung im Bereich der zivilen Luftfahrt. Auch sie befand sich im Würgegriff jener Systeme, was ich am Beispiel zweier Katastrophen illustrieren will.

Vor gut zehn Jahren führte ein an sich harmloser technischer Defekt dazu, dass ein Airbus bei der Landung in Sao Paolo über den Pistenrand und die angrenzende Autobahn in eine Tankstelle und ein Bürogebäude schoss. Das Unglück forderte 199 Todesopfer und wäre absolut vermeidbar gewesen.

Es ereignete sich vor dem Hintergrund eines dramatischen Personalmangels in der Luftraumüberwachung, der entsprechend schlechten Arbeitsbedingungen der Fluglotsen und des darauffolgenden Einsatzes von Militärfluglotsen, die zum Teil nicht einmal des Englischen mächtig waren.

Der unmittelbare Grund aber: Die fatale Landebahn war richterlich gesperrt worden, weil sie dringend ausgebessert werden musste. Auf Druck von Wirtschaftskreisen war das richterliche Verbot aufgehoben und die Piste wiedereröffnet worden, bevor die Renovation abgeschlossen war.

Das versteht man unter dem Primat der Wirtschaft, das uns die neoliberale Ideologie beschert hat. Dabei gerät diese Ideologie in der ganzen westlichen Welt in praktisch allen Gesellschafsbereichen – endlich – in Misskredit. Nur in unserem Gesundheitswesen (und im Sozial- und im Bildungswesen) feiert sie nach wie vor Hochzeit.

Auf Kollisionskurs mit Mensch und Gesellschaft

Jahrtausendealte spirituelle Traditionen jeglicher Prägung, vom Judentum über das Christentum bis zum Humanismus, haben den Menschen in den Mittelpunkt gesetzt. Jeden Menschen, nicht nur mich. In den Worten des deutschen Grundgesetzes: «Die Würde des Menschen ist unantastbar».

Der Mensch ist Subjekt, nicht Objekt. Weder auf gesellschaftlicher Ebene, noch in den Augen des Staates darf der Mensch nur Mittel zum Zweck sein. Daran mussten uns die Schweizer Kirchen vor einigen Jahren erinnern: «Die Wirtschaft ist für den Menschen da, nicht der Mensch für die Wirtschaft!» stand auf Transparenten, die von den Kirchtürmen hingen.

Der Neoliberalismus kollidiert frontal mit dem Postulat der menschlichen Würde. Sein Menschenbild leitet er von einem primitiven Sozialdarwinismus ab.

Er sieht im Menschen ein Raubtier, das nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist.

Es ist diesen Ideologen in unglaublicher Weise gelungen, zum Axiom zu erheben, dass Konkurrenzdenken, Machtstreben, Geiz, Gier und Egoismus das letzte Wort der menschlichen Natur sind – und nicht Hilfsbereitschaft, Empathie, Altruismus, Grosszügigkeit und Bedürfnis nach Gemeinschaft.

In diesem Denksystem wird alles den Bedürfnissen der Wirtschaft untergeordnet, nach dem Motto: «Was für die Wirtschaft gut ist, ist für alle gut». Dabei wird Ökonomie entgegen dem ursprünglichen Wortsinn – dem nachhaltigen, ganzheitlichen Bewirtschaften von Haus und Hof – in einem extrem verarmten Sinn verstanden: als grenzenloses, ungehemmtes Profitstreben um jeden Preis.

Das geht nur, indem Wirtschaft und Gesellschaft – alles, was eine funktionierende, prosperierende Gesellschaft ausmacht – gegeneinander ausgespielt werden, wobei klar ist, wer unter wessen Räder gerät, geraten muss.

Zerstört werden muss zunächst der Gesellschafts- bzw. Gemeinschaftsgedanke an sich.

Berüchtigt ist Margaret Thatchers Spruch «So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht.»

Die direkte Folge ist die Zerstörung – man könnte auch sagen Pervertierung – des Konzepts des «service public», also auch des öffentlichen Gesundheitswesens.

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Die Zerstörung des Konzepts also, dass es Güter und Dienstleistungen gibt – geben muss – die der Allgemeinheit gehören oder ihr zustehen, der Gemeinschaft zuliebe. Service public ist unter den Postulaten der neoliberalen Ökonomie schlicht nicht möglich:

Dass «big» automatisch «beautiful» sein soll, dass Konzentration an sich gut ist, dass Konzentration automatisch eine Effizienzsteigerung mit sich bringt, und vor allem, dass auch öffentliche Dienste rendite-, also shareholderorientiert arbeiten müssen. 

Aus der Sicht des negativen, pessimistischen Menschenbildes des Neoliberalismus ist es undenkbar, dass Menschen aus innerer Überzeugung, aus innerem Engagement arbeiten.

Neoliberale glauben an Zuckerbrot und Peitsche. Dabei ist das Zuckerbrot – in der Gestalt von exorbitanten Löhnen und Boni – denen vorbehalten, die die wichtigen, kapitalrelevanten Leistungen erbringen, also den Managern.

Die Peitsche, in der Form ausufernder Kontrollen, administrativer Vorgaben und bürokratischer Schikanen, ist für die, deren Arbeit nur als Kostenfaktor betrachtet wird.

Geldmaschine Gesundheitswesen

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, Sie mit einem Exkurs in die Wirtschaftswissenschaft zu belästigen – und dem für mich schlagendsten Argument für die Volksinitiative des SBK (Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner) «Für eine starke Pflege».

Keine Angst, es ist erschütternd einfach, ich habe das im ersten Semester an der Uni gehört … , dann aber leider lange vergessen. Auch dann, als in den Nullerjahren das Gerede vom «ökonomischen Wert der Pflege» aufkam.

Was waren wir damals überzeugt davon, diesem Diskurs gewachsen zu sein, diesen Fehdehandschuh aufheben zu können!

Nun, das Gesundheitswesen ist eine gigantische Wachstumsbranche geworden, eine eigentliche Geldmaschine. Wie kommt es, dass wir, die Pflegefachleute, davon nichts sehen?

Wie kommt es, dass die, welche 80 Prozent der Gesundheitsleistungen erbringen, verzweifelt um jede Stelle, um jeden Lohnfranken kämpfen müssen?

Hier möchte ich Margaret Chan, bis 2017 Generaldirektorin der WHO zitieren: «Wer ein Menschenleben rettet, ist ein Held; wer hundert Menschenleben rettet, ist eine Pflegefachfrau – vermutlich überarbeitet und unterbezahlt.»

Die Lösung dieses Rätsels liegt in der Politik – in einer Politik eben, die dem Primat der Wirtschaft huldigt. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Einsparungen beim Pflegepersonal – sei es punkto Ausbildungsniveau, sei es punkto Personaldotation – zu vermehrten Komplikationen und erhöhter Sterblichkeit führen.

Wir wissen auch, wie kostspielig die Behandlung von Komplikationen ist, ein Dekubitus kostet beispielsweise durchschnittlich 50’000 Franken; wir wissen, dass mit ein bisschen guter Pflege, d.h. mit genügend Geld für gute Pflege, Druckgeschwüren vorgebeugt werden kann.

Wir sagen, dass Pflege keine Kosten verursacht, sondern im Gegenteil Kosten spart und deshalb eine Investition darstellt.

Oder in den Worten der amerikanischen Journalistin Suzanne Gordon: «Nurses save lives and save money».

«Nirgends anderswo wird so viel Wert auf differenzierte und anspruchsvolle Berichterstattung gelegt, als auf demenzjournal.com. Das Niveau ist stets hoch, dabei aber nicht abgehoben.»

Raphael Schönborn, Geschäftsführer Promenz, Wien

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Für Menschen schlecht, für die Wirtschaft gut

Was wir leider lange übersehen haben, und was jeder Ökonomieprofessor seinen milde schockierten Studienanfängern genüsslich darlegt: jeder Verkehrsunfall, jeder Dekubitus und jeder Schenkelhalsbruch steigert das Bruttosozialprodukt.

Was für den Autofahrer, für den Patienten (und für die Pflegefachleute) schlecht ist, ja eine Katastrophe darstellt, kann für die Wirtschaft durchaus gut sein. Entscheidend ist hier, dass die Politik im Gesundheitswesen ein System getrennter Kassen erfunden hat, das unsere Rechnung nicht aufgehen lässt.

Ein System dreier verschiedener Ebenen, auf denen unterschiedliche Gesetze gelten: erstens die Ebene der Betriebe (Krankenhäuser, Heime, Spitexorganisationen), zweitens die Ebene der Gesundheitswirtschaft, drittens die Ebene der Gesellschaft.

Die Personalkosten stellen den grössten Budgetposten der Betriebe dar, und die Löhne der Pflegefachleute und Ärzte den grössten Posten innerhalb dieses Postens.

Den Betrieben werden von der Politik strenge Kennzahlen vorgegeben, die sie nicht erreichen können, ohne beim Personaletat anzusetzen.

Die Folgekosten in der Form von Komplikationen stellen für die Wirtschaft ein Geschäft dar, das von der Gesellschaft – von uns allen – in Form von Steuern, Krankenkassenprämien und Out-of-the-pocket-Leistungen zwangsfinanziert werden.

Das heisst: Jeden einzelnen dieser 50’000 Franken, die die Behandlung jenes Dekubitus, der mit ein bisschen mehr Geld für die Pflege hätte verhindert werden können, zahlen wir aus unserem Portemonnaie. Ich nenne das ein Traummodell für unseren medizinisch-pharmazeutisch-industriellen Komplex.

Und es ist der Grund, warum so viel Geld für teilweise völlig überflüssige Eingriffe und so wenig Geld für die Pflege, so viel Geld für medizinische Spitzentechnologie und so wenig für die Heime und die Pflege zu Hause vorhanden ist.

Machtgier und das Schüren von Angst

Nun zur zweiten Komponente dieses für unsere Patienten toxischen Gemischs (keine Angst, liebe Leser, das lässt sich schneller abhandeln …). Es geht um plumpes Macho-Gehabe. Ist der Motor des Neoliberalismus die Geldgier, so funktioniert das Machosystem durch Machtgier und das Schüren von Ängsten.

Wie der erwähnte Urwyler-Prozess gegen das Inselspital eklatant zeigt, hat sich dieses System im Spitalbiotop in einer Reinheit und dünkelhaften Selbstverständlichkeit erhalten, wie es heute in vielen anderen Branchen unvorstellbar wäre.

Gerade von der zivilen Luftfahrt könnten wir uns diesbezüglich eine Scheibe abschneiden. Vielleicht mögen sich einige von Ihnen an die schlimmste Flugzeugkatastrophe aller Zeiten erinnern, als 1977 auf Teneriffa bei dichtem Nebel ein Jumbo Jet der KLM beim Start einen Jumbo Jet der PanAm rammte.

Der Kapitän der KLM war einer der erfahrensten Piloten der prestigeträchtigen Fluggesellschaft, Sujet ihrer Werbeplakate, ein Halbgott mit vielen Schulterstreifen. Als sowohl Kopilot wie auch Flugingenieur ihn darauf hinwiesen, dass der Tower noch keine Startfreigabe erteilt habe, wischte er ihre Bedenken einfach beiseite.

Der seither in der Aviatik ganz radikal durchgeführte Kulturwandel, unter anderem mit der Einführung des sogenannten «Crew Resource Management», hatte im Grunde zum Ziel, die Piloten auf menschliches Mass herunter zu holen.

Erstaunlich, dass dort ein Kulturwandel möglich war, obschon sich die Luftfahrt in der Regel nicht durch besondere Gemeinnützigkeit auszeichnet.

Aber keinem Piloten muss heute erklärt werden, dass sich überlange Arbeitszeiten auf die Qualität seiner Leistungen und auf die Sicherheit der Kunden auswirken.

Oder dass es sinnvoll wäre, einer Flugbegleiterin Glauben zu schenken, die ein auffälliges Geräusch meldet.

Neue Ansätze in Sachen Pflegenotstand? So müssen wir die Gesellschaft umgestalten:

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In den Spitälern hingegen ereignen sich ständig Flugzeugabstürze auf Raten, unbeachtet von der Öffentlichkeit. Tausende Patienten kommen dabei unnötig zu Schaden. Dort scheint der Sekundenschlaf bei der Arbeit immer noch eine Art Qualitätsmerkmal zu sein; die Behörden schweigen dezent angesichts dieser flächendeckenden Verletzungen des Arbeitsgesetzes.

In den Pflegeinstituten herrscht aus dem gleichen Grund immer noch eine – für die Patienten – letale Fehlerkultur: Statt analysiert, werden Fehler drakonisch sanktioniert bzw. unter allen Umständen vertuscht.

Autoritäre Hierarchien werden ohne Rücksicht auf Kompetenz oder Inkompetenz durchgesetzt und führen zu einer dysfunktionalen Zusammenarbeit.

Wertvolles Wissen und Können bleiben zum Schaden der Patienten unberücksichtigt, derweil Inkompetenz und Fehler unkontrolliert weiter wuchern.

Gleichzeitig sorgen Wirtschaft und Politik dafür, dass jeder Versuch, einen wirksamen Whistleblower-Schutz gesetzlich zu verankern, im Keim erstickt wird.

Meine Prognose ist düster. Die Patienten stehen im Mittelpunkt, jawohl: im Mittelpunkt einer auf Profit getrimmten Gesundheitsindustrie, im Mittelpunkt des Karrierestrebens der Profiteure der Gesundheitsökonomie. Wollen wir dies ändern, müssen wir früh aufstehen und uns warm anziehen.

Margaret Chan – sie nochmal – bezeichnete die Krankenpflege als eine Riesin – eine Riesin, die immer noch tief schläft.

Einer Sache müssen wir uns bewusst sein: «No, they don’t speak our language», wie Jonas Blue ft. Jack&Jack in ihrem Hit «Rise» singen.

Wir reden von nichts anderem als von einem Paradigmenwechsel. Was Not tut, ist eine humanistische Re-Revolution.

Krankenpflege ergibt in einem neoliberalen Paradigma gar keinen Sinn – sie verhalten sich zueinander wie Feuer und Eis.

Ich sage es direkt, stolz und ohne falsche Bescheidenheit – was in der Krankenpflege eher unüblich ist: Wenn es einen Beruf gibt, dem das Wohl und die Würde der Patienten am Herzen liegt, dann ist es die Krankenpflege, und deshalb gehört die Krankenpflege in die Bundesverfassung. Nur so werden wir die humanistischen Kernwerte unseres Berufes in unserer täglichen Praxis umsetzen können.


Konkrete Ansätze eines institutionellen Kulturwandels finden wir im Konzept der «Magnet Hospitals», das nach einem kurzen Aufglühen in den 1990ern in der giftigen Atmosphäre des Neoliberalismus verglühte; ebenso im wahrhaft revolutionären Buurtzorg-Konzept der Spitexpflege in Holland. Buurtzorg, was übersetzt etwa Nachbarschaftsfürsorge bedeutet, entstand, als in Holland Zustände herrschten, wie wir sie heute in der Schweiz kennen: massive Konzentrationsprozesse, immer grössere und unübersichtlichere Organisationen mit immer schwererem, ineffizienten bürokratischen Wasserkopf. Immer weniger Geld für die Pflege, zeitlich rabiat rationierte Einsätze, eine rapide sinkende Pflegequalität, frustrierte Patienten, frustriertes Pflegepersonal.

Pflegefachleute bildeten in der Folge kleinere quartier- oder borfbezogene Einheiten, bestehend aus höchstens einem Dutzend gut ausgebildeter Mitarbeiterinnen. Die einzelnen Gruppen sind elektronisch miteinander vernetzt und tauschen auf diesem Weg auch Erfahrungen und Fachwissen aus.

Management, Controlling etc. sind schlichtweg abgeschafft worden, das Wenige an unerlässlicher Administration wird für alle Gruppen gemeinsam von einem winzigen Team erbracht, das sich nicht als Kommandozentrale, sondern als Dienstleistungsteam versteht.

Konkret lernen wir: Flachere oder gar keine Hierarchien, weg mit der manischen Kontrollitis, Stopp der Fordisierung, Dequalifizierung und im Endergebnis Enteignung der Pflege.

Wie sagen die Gründer von Buurtzorg: «Small is beautiful!» und: «Nurses don’t need managers – nurses just need each other!»

 

Dieser Beitrag erschien in der Zeitschrift «Krankenpflege» des SBK (Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner), Nr.5/2019. Herzlichen Dank an die Redaktion für die Gelegenheit der Zweitverwertung!