Vater ist ein Kriegsheld, der Sohn Pazifist - demenzjournal.com

Unser Törn ins Vergessen (14)

Vater ist ein Kriegsheld, der Sohn Pazifist

Birgit Rabisch und Bernd Martens auf Segelschiff.

Birgit Rabisch und Bernd Martens – hier auf ihrem Jollenkreuzer Timpe Te – waren viele Jahre in der Friedensbewegung engagiert. Bild privat

Birgit findet eine Urkunde aus dem zweiten Weltkrieg über die Heldentaten von Bernds Vater Johnny. Dies löst bei ihr dunkle Gedanken über Diktatoren, Atomwaffen und weitere Bedrohungen aus.

Unser Törn ins Vergessen (14)

19. Oktober 2022

Gestern haben wir lange diese Urkunde betrachtet: 

Im Namen des Führers und Obersten Befehlshaber der Wehrmacht verleihe ich dem Obersteuermann John Martens das Eiserne Kreuz 1. Klasse.

Befehlsstelle, den 25.Februar 1944.

Der Befehlshaber der Sicherung West, i.A. Konteradmiral E.A. Breuning.

Ich: Weißt du, wofür Johnny das Eiserne Kreuz bekommen hat?

Du: Keine Ahnung.

Ich: War das nicht diese Sache mit der Granate?

Du: Vielleicht.

Ich: Weißt du noch, was da passiert ist?

Du: Er war ja Steuermann bei den Minensuchern. Und plötzlich kam diese Granate an Bord geflogen.

Ich: Seltsam. Wo kam die denn her?

Du: Woher soll ich das wissen?

Ich: Stimmt. Und wie ging es weiter.

Du: Weiß nicht.

Ich: War das nicht so: Statt sich in Sicherheit zu bringen, hat er seine Kameraden gewarnt, hat das Ding gepackt und es mit Schwung über Bord geschleudert?

Du: Die Granate ist noch in der Luft explodiert.

Ich: Damit hat er seinen Kameraden das Leben gerettet. Wirklich mutig, muss ich sagen. Und einmal hat er doch auch Schiffbruch erlitten, oder?

Du: Die sind auf eine Mine gelaufen. Er hat überlebt, weil er an Deck stand.

Ich: Wahnsinn! Ich erinnere mich. Einen konnte er noch rausziehen. Die anderen sind abgesoffen. So hat er das doch erzählt.

Du: Johnny hat nichts erzählt über die Kriegszeit.

Tatsächlich. Diesmal ist deine Erinnerung besser als meine. Erfahren haben wir davon erst an Johnnys 80. Geburtstag. Er hatte seinen ehemaligen Kommandanten eingeladen, der nach dem Krieg ein hohes Tier bei der Bundeswehr geworden war. Korvettenkapitän, wenn ich das noch richtig weiß. Der geriet mit jedem Glas Bier mehr ins Schwärmen über seinen Obersteuermann Johnny und er war es auch, der uns die Geschichte mit der Granate und dem Untergang des Minensuchbootes erzählte.

Johnny hatte wie auch mein Vater, wie so viele seiner Generation über seine Kriegserlebnisse, seine Kriegstaten eisern geschwiegen. Die Generation Eisernes Kreuz. Die Generation Was mich nicht umbringt, macht mich härter. Die Generation Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Die Generation Wer sein Kind liebt, der züchtigt es. Die Kriegsgeneration.

Und wir? Die 68er? Wir waren die Nie wieder Krieg-Generation. Die Nie wieder Auschwitz-Generation. Die Frieden schaffen ohne Waffen-Generation. Die Hiroshima ist überall-Generation. Wir wollten eine ganz andere Welt. Gerecht, sozial, ökologisch, vor allem aber friedlich. Wir beide waren jahrzehntelang in der Friedensbewegung aktiv.

Wir haben uns für die Abrüstung in West und Ost eingesetzt, sind auf unzähligen Demos mitgelaufen, haben Picassos Friedenstaube aufs Pflaster gesprüht, haben Flugblätter auf Matrizen-Druckern erstellt, später Flyer mit dem Tintenstrahldrucker, wir haben uns vor Kasernentore gehockt, um die Einlagerung von Atomsprengköpfen zu verhindern, haben die Ärzte gegen den Atomkrieg unterstützt, Pakete nach Leningrad geschickt für Überlebende der Blockade, Spenden für die Kinder von Tschernobyl gesammelt. Für uns stand fest: Von Deutschland durfte nie wieder Krieg ausgehen. In Europa durfte es keinen Krieg mehr geben. In der Welt nicht. Überhaupt nicht. Die Welt musste befriedet werden. Friedlich werden. Pazifiziert. 

20. Oktober 2022

Wir haben die Welt nicht pazifiziert. Und die nach uns folgenden Generationen Golf, X, Digital Natives, Millenials, Z und wie sie alle benannt werden, auch nicht. Wir starren alle zusammen seit einem halben Jahr entsetzt auf eine von Putin entfesselte Soldateska in der Ukraine, die das tut, was Soldaten seit Anbeginn der Kriege tun: morden, vergewaltigen, brandschatzen, plündern. Wir wollen es nicht glauben, obwohl daran eigentlich nichts überraschen sollte. Es ist Krieg und wir begehren nicht schuld daran zu sein. Wir haben uns doch bemüht, genau das zu verhindern. Waren wir nicht viele genug? Nicht aktiv genug? Ist Pazifismus nur Beschwichtigungspolitik, die im Notfall den Schwachen dem Aggressor aufliefert?

> Hier kannst du alle Folgen von Birgit Rabischs Logsbuch »Unser Törn ins Vergessen« nachlesen

Wir beide haben uns nicht erst jetzt mit diesen Fragen auseinandergesetzt. Virulent wurden sie schon, als Jugoslawien auseinander brach. Da erhob sich das Gespenst des Krieges in Europa wieder. Es nährte sich vom glühenden Nationalismus, der unter dem Deckmantel des Vielvölkerstaates nur geschlummert hatte und jetzt quicklebendig auferstand. Wir glaubten lange, man könne das Gespenst durch Verhandlungen zurück in sein Grab schicken. Spätestens nach dem Massaker von Srebrenica verloren wir diesen Glauben. Der großserbische Nationalismus war nicht mehr einzuhegen. Der Frieden wurde von der Nato herbeigebombt. Sich das einzugestehen war bitter, aber unvermeidlich, wenn wir weiter ehrlich über den Krieg und wie man ihn verhindern kann, nachdenken wollten.

Partnerschaft und Demenz

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Zur Zeit der Jugoslawien-Kriege konnten wir noch gemeinsam darüber nachdenken. Und auch als ich an meinem Roman Warten auf den Anruf[1] schrieb, für den ich mich mit Einsteins Haltung im II. Weltkrieg beschäftigte, diskutierte ich mit dir über die Frage, ob Pazifismus absolut sein muss (à la Ghandi, à la Bergpredigt, à la Lieber rot als tot) oder ob es Situationen gibt, in denen Gegenwehr, auch mit militärischen Mitteln gerechtfertigt, ja sogar ethisch geboten ist.

Ein kaum zu bezweifelndes Beispiel dafür ist der Kampf gegen den Faschismus, der Krieg gegen die Nazis. Einstein war ein überzeugter Pazifist, der den Militarismus hasste und zur Wehrdienstverweigerung aufrief. Das änderte sich radikal, als Hitler an die Macht kam. Schon im Juli 1933 riet er den westlichen Demokratien zur Aufrüstung gegen einen zu erwartenden Angriffskrieg der Nazis und sprach sich gegen Wehrdienstverweigerungen in den bedrohten Ländern aus.[2]

Dass es ausgerechnet der Pazifist Einstein war, der am 2.8.1939 Präsident Roosevelt in einem Brief dazu drängte, die Atombombe zu entwickeln, weil nach seinem Kenntnisstand die ihm wohlbekannten deutschen Wissenschaftler unter Heisenberg intensiv an dieser Waffe arbeiteten, die den Nazis die erträumte Weltherrschaft beschert hätte, ist von unüberbietbarer Tragik. Tatsächlich waren die Nazis noch nicht so weit und ob Wissenschaftler wie Werner Heisenberg, Carl Friedrich von Weizsäcker und Otto Hahn ihnen die Bombe wirklich bauen oder den Bau nicht vielmehr sabotieren wollten, darüber streiten sich noch heute die Historiker.

Das Ergebnis der ungeheuren Mühen der Amerikaner im Manhattan Projekt bleibt: Die Atombombe ist in der Welt, ist zigtausendfach in der Welt. In Hiroshima und Nagasaki hat sie ihr verheerendes Werk verrichtet, hat danach wie ein Krebsgeschwür gegen alle Bemühungen um Einhegung Metastasen gebildet, die aber angeblich unter Kontrolle waren. In den vergangenen 77 Jahren sollte die atomare Bewaffnung nur zur Abschreckung dienen, so wurde allerseits verkündet. Und doch ist in diesen Tagen das eingetreten, wovor alle Atomrüstungsgegner unermüdlich gewarnt haben: Ein wildgewordener Diktator stößt offen nukleare Drohungen aus.

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Angst

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Ich erstarre schon wieder. Ein Totstellreflex, Erbe aus dem Animalischen, wenn eine Bedrohung zu stark wird? Wenn weder Flucht noch Angriff möglich erscheint? Unsere Situation erscheint mir immer unmöglicher. Zuerst war ich mit deiner Alzheimer-Erkrankung konfrontiert. Als ich mich noch kaum darauf eingestellt hatte, wurde schon der Schwierigkeitsgrad erhöht: Alzheimer in einer Pandemie hieß die neue Aufgabe.

Danke, das reicht jetzt aber wirklich, dachte ich, doch es reichte offenbar noch lange nicht. Wie wär’s mit Alzheimer in einer Pandemie, eingebettet in die Klimakatastrophe plus einem Krieg in Europa samt Energiekrise und einem möglichen GAU im attackierten Atomkraftwerk Saporischschja? Reicht immer noch nicht? Dann geben wir noch die Bedrohung durch Atomwaffen hinzu.

Das kann schon mal einen Totstellreflex auslösen.


[1] Birgit Rabisch: Warten auf den Anruf, Acht 2009

[2] „Ich kann es nicht fassen, warum die ganze zivilisierte Welt sich nicht zum gemeinsamen Kampf zusammengeschlossen hat, um dieser modernen Barbarei ein Ende zu bereiten. Sieht denn die Welt nicht, dass Hitler uns in einen Krieg hineinzerrt?“ Albert Einstein im September 1933


Wir bedanken uns herzlich bei Birgit Rabisch und Bernd Martens, dass sie uns in vertrauensvoller Weise diese sehr persönlichen Texte und Fotos zur Verfügung stellen.

> Hier kannst du alle Folgen von Birgit Rabischs Logsbuch »Unser Törn ins Vergessen« nachlesen

> Hier geht's zur Website der Schriftstellerin Birgit Rabisch.