Auf den Tischen stehen frische Blumen, die Wände des grosszügigen Essraums sind mit Holz ausgekleidet. Frühstückszeit. An den Tischen sitzen Obdachlose und andere bedürftige Menschen, die zwar ein Zuhause, aber nur eine sehr kleine Rente haben.
Manche, die hier herkommen, sitzen allein, ihr Blick geht ins Leere. Andere rücken eng zusammen und unterhalten sich lebhaft, sie kennen sich schon länger. Ehrenamtliche bringen Tabletts mit belegten Brötchen, schenken Kaffee und Tee aus. Wer hierher kommt, steht nicht Schlange, sondern wartet an seinem Platz.
Es ist genug für alle da, keiner muss grössere Mengen auf seinem Teller horten.
«Die Leute sollen sich hier als Gäste fühlen. Sie wählen einen Tisch und werden bedient, wie im Restaurant. Wir haben viele Stammgäste, die sich verabreden und zum Klönen treffen», sagt Christiane Hartkopf, die Leiterin von Alimaus – so heisst die Tagesstätte im Hamburger Kiezviertel St. Pauli.
Die Einrichtung wird von Spenden und Ehrenamtlichen getragen, viele Jahre arbeiteten hier Ordensschwestern zur Unterstützung. Neben der Essenausgabe gibt es noch eine Kleiderkammer, medizinische Versorgung und einen Seelsorger, bei dem jeder sein Herz ausschütten kann.
Rund 300 Menschen werden täglich in der Alimaus zweimal am Tag verköstigt, gegen Monatsende sind es mehr. «Hier treffen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten aufeinander, manche von ihnen sind suchtkrank. Nicht immer geht das Essen dann konfliktfrei über die Bühne», sagt Christiane Hartkopf.
«Einsamkeit ist neben der Essensversorgung die grösste Motivation herzukommen.»
Auch Marlies Bauss ist an diesem Morgen zum Frühstück gekommen. Sie hat ein offenes Gesicht, um ihren Hals hängt eine kleine abgewetzte Handtasche, die sie beim Essen nicht abnimmt. «Das ist sicherer, so kommt nichts weg», sagt sie. Die 68-Jährige wohnt in Winsen, einer kleinen Stadt in Niedersachsen, nicht weit von Hamburg. Mit ihrem Monatsticket kann sie so oft in die Hansestadt kommen, wie sie möchte.
In Winsen hat sie Bekannte, sagt, sie, aber in der Alimaus «einen guten Freundeskreis». Sie ist froh, dass es diesen Ort gibt, wo sie sich aufgehoben fühlt. Ab und zu geht sie zum Mittagessen ins CaFée mit Herz, eine andere Einrichtung für Obdachlose und Bedürftige.
In Hamburg gibt es zahlreiche solcher Orte. Ausserdem mobile Ausgabestellen für Lebensmittel, die von Hilfsorganisationen betrieben werden. Hier kann man sich in die Schlange stellen und kostenlos Lebensmittel bekommen. Der Andrang ist gross.
Für Marlies Bauss trifft zu, was auch «prekärer Ruhestand» genannt wird: Sie muss mit etwas über 1000 Euro Rente im Monat auskommen.
Das bedeutet konkret: Fahrkarte 103 Euro. Strom- und Heizkosten 100 Euro. Krankenkasse 180 Euro; dazu die Kosten fürs Wohnen. Fürs Essen braucht sie nicht mehr als 50 Euro, meint sie, da sie regelmässig in der Alimaus oder im CaFée mit Herz isst.
Im Winter lässt sie den Kühlschrank ausgeschaltet, das spart Strom. Den Fernseher hat sie abgeschafft. Ihre Klamotten besorgt sie sich in der Kleiderkammer der Alimaus.
Manchmal sammelt sie Sachen vom Flohmarkt auf, die am Ende liegen bleiben und die keiner haben will: Bilderrahmen, Kugelschreiber, altes Geschirr. «Ich mache die Sachen zu Hause sauber und versuche zu reparieren, was geht.»
Früher hat die gebürtige Norddeutsche einmal gut gelebt. Das war während ihrer fast 25-jährigen Ehe. Ihr Mann hat als EDV-Fachkraft gut verdient, sie arbeitete einige Jahre als Schwimmlehrerin, was ihr Spass machte. Kurz vor ihrer Silberhochzeit erklärte ihr Mann, er wolle sich scheiden lassen.
Einige Jahre nach der Scheidung wurde Marlies Bauss krank, ein gutartiger Hirntumor und Brustkrebs. Kurz vor ihrem 60. Geburtstag wurde sie Frührentnerin, sie konnte nicht mehr weiterarbeiten. Von ihren beiden Kindern bekommt sie keine finanzielle Unterstützung. «Meine Tochter hat mir angeboten, mir zu helfen, aber ich möchte das nicht».