Pflege macht einsam - demenzjournal.com

Sozialleben

Pflege macht einsam

Pflegende Angehörige einsam

Pflegende Angehörige müssen viel aufgeben und sind oft allein. Bild Adobe Stock

Einsamkeit ist bei pflegenden Angehörigen weit verbreitet. Doch wie erleben sie diesen Zustand? Die Pflegefachfrau Flurina Chistell hat mit pflegenden Angehörigen von chronisch kranken Menschen gesprochen.

Wenn Menschen ein Familienmitglied betreuen, leidet darunter oft ihr eigenes Leben: Das Arbeitspensum wird reduziert, das Sozialleben zurückgefahren, persönliche Träume werden begraben. «Die Betroffenen müßen viel aufgeben – das führt oft zu einem einsamen Leben», sagt Flurina Chistell.

Für ihre Masterarbeit hat die Pflegefachfrau mit 13 pflegenden Angehörigen darüber gesprochen, wie sie Einsamkeit erleben. «Ein Großteil leidet unter sozialer Einsamkeit.» Sprich: Die Anzahl und Qualität der zwischenmenschlichen Kontakte entsprechen nicht mehr den Bedürfnissen.

Daneben sind pflegende Angehörige auch emotional einsam: Mit der zunehmenden Pflegebedürftigkeit der betreuten Person veränderte sich die Beziehung komplett. «Vor allem Frauen erwähnten, dass sie nicht mehr Partnerin oder Tochter sind – sondern eine Mutterrolle innehaben», führt Flurina Chistell aus. «Ihre Bedürfnisse nach emotionaler Nähe, Austausch oder körperlicher Zärtlichkeit werden nicht mehr befriedigt.» Nicht zuletzt litten viele der Studienteilnehmenden unter existenzieller Einsamkeit. «Diese zeigt sich in der Perspektivenlosigkeit, was eigene Ziele, Wünsche und Pläne betrifft.»

Trauer über den Verlust

Die aussichtslose Situation führe zu Hilflosigkeit und Ohnmacht, sagt Chistell. «Und sehr oft empfinden pflegende Angehörige Trauer über den Verlust des gewohnten Lebens oder des geliebten Menschen.» Zwei Aussagen hätten sie besonders berührt: «Ich habe das Gefühl, dass ich alles aufgegeben habe. Es ist nichts mehr da.» Und: «Wenn ich mich so allein fühle, tut es mir fast körperlich weh.»

Um pflegende Angehörige vor Einsamkeit zu bewahren, braucht es laut Chistell primär eine Sensibilisierung – vor allem bei professionell Pflegenden. «Diese spielen eine zentrale Rolle beim Erkennen von Einsamkeit. Und sie können Optionen zur Entlastung aufzeigen und Informationen zu Hilfsangeboten abgeben.» Außerdem brauche es vermehrt Selbsthilfegruppen für pflegende Angehörige.


Dieser Beitrag erschien im Herbst 2023 im Magazin «Vitamin G» des ZHAW-Departements Gesundheit. Wir bedanken uns bei der Redaktion für die Erlaubnis zur Zweitverwertung.