Blog Wolkenfische: Ich habe das Internet abbestellt
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Wolkenfische (15)

Ich habe das Internet abbestellt

Wolkenfische Hoegger

»Die Versuchung, in diesem Netz, das mich nicht hält, Halt zu suchen, ist zu gross«, schreibt Susanna Erlanger. Bild Véronique Hoegger

Susanna Erlangers Blog zeigt, wie sich Nähe und Identität verändern, wenn ein vertrautes Leben brüchig wird – und wie Erinnerung, Sprache und Liebe trotzdem Verbindung schaffen.

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An diesem Morgen fällt ein Strahl durch den Winternebel und spiegelt sich in der Schneedecke, die auf dem Garten liegt. Das Licht ist nicht grell, nicht blendend. Es scheint durchs grosse Fenster der Küche und umfängt mich mit seiner Wärme.

Mir ist, als ob ich eine unbeschriebene Matrize wäre. Man müsste mich bloss in eine Umgebung stellen, und schon wäre ich deren Kopie; aber immer in Gefahr, fehlerhaft zu sein, immer in der Angst, vernichtet zu werden, weil ich doch nur ein Abbild bin – nachgemacht.

Es fehlt an allem, was wirklich ist; und es fehlt die Ruhe – die Ruhe.

Doch jeder Versuch einer Erklärung, weshalb es so gekommen ist, wie es ist, verhindert, dass ich bin.

Ich habe das Internet abbestellt. Die Versuchung, in diesem Netz, das mich nicht hält, Halt zu suchen, ist zu gross.

Ich gehe nicht so weit, einen Sinn in dieser Zeit zu suchen. Ich bin schon froh, wenn sich vielleicht ein Pfad abzeichnet – ein Pfad für mich, für dich. Du fragst: »Darf ich wirklich sagen, was ich nicht will, darf ich ‚nein‘ sagen?«

Denn du warst zeitlebens vorsichtig mit dem Nein-Sagen, so als ob du befürchtetest, andere zu verlieren (auch mich) und im ‚Nein‘ allein dazustehen. Dass dir nun das ‚Nein‘ eine Frage ist, zeigt mir, dass auch du auf einem Weg bist.

Ich habe die DVDs weggeworfen – alle. Ich will nicht mehr in fremden Geschichten leben.

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Ich reihe hier Erlebnisse, Gespräche aneinander, als ob sie Kristalle auf einer Kette des Schicksals seien, die mich in die Tiefe der Verheissung führt. Ich hangle mich ihr entlang durch Schichten und Sphären, in denen mir deine Welt entgegenkommt.

Noch kann ich erkennen, was mir begegnet, noch erreiche ich dich im Grund unserer Leben.

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»Manchmal stehe ich in der Nacht auf und schreibe«, sage ich. Du öffnest die Augen und strahlst mich an: »Das ist wichtig!«, sagst du. »Das ist wichtig!«

»Ich will abschliessen«, sagst du. – »Was willst du abschliessen?« – »Alles!«, sagst du. Und dann erklärst du mit Heftigkeit: »Die Liebe, die Liebe ist das Allerwichtigste!« Und ich entgegne: »Das Allerwichtigste für mich ist, dass du mein Mann bist.«

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Wenn uns der Himmel sein Licht schickt, und wir uns im Gespräch begegnen, einen Moment lang, kurz, mutet es mich an, als ob dieses Licht durch die Jahre deiner Krankheit bis zu den Menschen hindurchscheine, die wir einmal waren. Und dann sehe ich dich.

In den Nächten fliegt mir aus der Dunkelheit mein verschüttetes Leben entgegen, und was ich davon in Worte fassen kann, spreche ich in mein Diktiergerät. Und an den Tagen schreibe ich in meine Kladde, was mir die Nächte zugetragen haben. –  Was sind das für Nächte! Und was sind das für Tage!

Arno Geiger

»Auf demenzworld finden sich die Informationen, die ich gebraucht hätte, als ich in meiner Familie bei diesem Thema am Anfang stand.«

Arno Geiger, Schriftsteller

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Ich habe immer dafür bezahlt, um irgendwo mitmachen zu dürfen. Ich habe auch dafür bezahlt, dass dieses ernsthafte Kind, das für die andern da war und allein, einmal, wenigstens als Erwachsene, Leichtigkeit und Lust erleben konnte, wenn auch immer mit einem Hauch von Unterwürfigkeit und dem Bemühen um Brillanz. Doch nun werde ich durchschaut, – vielleicht, weil ich mich allmählich selbst durchschaue –, und weil die Absicht hinter den vorgeschobenen Projekten immer deutlicher eine unlautere ist.

Und wenn ich mich tiefer in meine Beweggründe hineingrabe, erkenne ich, dass ich mich auch dir gegenüber andiente, nicht weil du mir dafür Anlass gegeben hättest, sondern weil eine Grundangst des Ungenügens in mir war. Ich wollte meine Brauchbarkeit beweisen, und habe mich dafür in den Kollektiven der Mütter aufgerieben.

Wärst du bei mir geblieben, wenn ich nur einfach dagewesen wäre, ohne zu sein und zu leisten, was ich meinte, sein und leisten zu müssen? Wärst du bei mir geblieben, wenn ich dich einfach nur geliebt hätte?

(Fortsetzung folgt)