Du tust die Veränderung ab
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Wolkenfische (3)

Du tust die Veränderung ab

Mann sitzt an Weggabelung

Marc versteckt seine Demenzsymptome. Seine Frau Susanna aber erkennt, dass sie vor einer Weggabelung stehen. Symbolbild DALLE

Ich kann die Demenzsymptome meines Mannes nicht mehr leugnen, auch wenn er selbst sie übersehen will. Nun stehen wir vor einer Abzweigung, die wir gezwungen sind zu nehmen.

Bist du jetzt einer mehr zu dem, den ich kenne? Bin ich jetzt eine mehr als vorher?

Wir sind auf unserer griechischen Insel: Vor mir am Ufer sitzen Bikini und Neopren mit Schnorchel und Flossen, und unter dem Fels ist ein Zelt aufgebaut. Du schwimmst ans andere Ende der Bucht, rücklings, wie immer, und deine Arme schieben dich weit nach Süden. Ob es dort noch Fische in Schwärmen gibt? Hinten beim Nasenfels verlier ich dich aus den Augen. – Aber da! Du ruderst schon wieder in der Nähe des Strands, mit beiden Armen synchron wie ein Raddampfer.

Wolkenfische

Dieser Blog handelt von der Alzheimer-Krankheit meines Mannes. Er handelt von Veränderung und Hader, aber auch von Nähe und dem Erkennen, dass die Krise, in die wir gestürzt wurden, uns auf einen Weg bringt, den wir als wahr empfinden.
– Susanna Erlanger

Und dort das Paar, das in den Kieseln am Strand steht, – steinalt, in Schwimmanzügen – die ledrige Haut braungebrannt, die Rücken gekrümmt und die Beine. Sie sind zurück vom Tauchgang. Er windet sich mit steifen Schultern nach links und nach rechts, um seine Neoprenhaut loszuwerden. Sie lehnt sich mit Mühe an einen Felsen, und zieht die Flossen aus.

Ihre Bewegungen erinnern mich an die Zeitlosigkeit, mit der sich Kleinkinder bewegen, ganz sich selbst verpflichtet und der eigenen Notwendigkeit. Ein paar Schritte entfernt tauchen junge Schwimmer aus dem Wasser auf, und es sieht so aus, als ob sie noch unendlich viel Zeit hätten, diese zu vertun.

Deine guten Absichten glätten meine Sorgen

In meinem Notizbuch steht: »Und als du schon meine Hand suchst, meine Führung, schlendern wir durch die behäbige Stadt, durch die Nebengasse mit den niedrigen Kreuzgewölben, die sich der Arkade entlang spannen, unterteilt durch breite Bögen, die, leicht schräg zu den Fassaden in gedrungene Säulen übergehen.

Die Arkade führt uns in sanftem Bogen ins Mittelalter, in die Zeit, in der sie gebaut worden ist. Wir schlendern vorbei an geschlossenen Geschäften und an geschnitzten dunklen Türen, deren Klingelschilder du mit wachem Interesse studierst, und wenn du Namen alter Geschlechter entdeckst, bist du entzückt, als ob du dahinter die Leben erahntest.«

Stimmen aus dem Totenreich
Où est ta belle figure, du, In-die-Jahre-Gekommene?
Wo ist deine Frische, wenn dich der Schreck überfällt, und du mit Schmerz davonkommst?
Müde bist du im Abenteuer, müde sogar in der Lust.
Die Augen haben ihren Glanz eingebüßt. Er kehrt nur selten zurück.
Dein Haar bewahrt noch die Farbe langer getrockneter Flechten, doch die Hände sind ohne die Eleganz der Jugend.
Der Stein der Zeit ist zerbrochen an seiner kristallenen Stelle. Der große Kiesel mit scharfen Kanten kratzt nun Kerben und Winkel in deine Haut.
In dir aber fließt der Strom, in dem du ertrinken wirst, wenn du seine Wasser fürchtest.

Es waren auch deine guten Absichten, die mithalfen, meine Wahrheit zu verdecken und das Eigenwillige in vorgestanzte Ideale zu kartieren. Du hast dich um das verlorene Wilde in mir geschlungen und die Haken im Gewebe meines Widerstands geglättet. Und ich rieb mich umso lieber an diesem letzten Aufbäumen, je lebendiger sich meine Verhinderung anfühlte.

Du liebest die Menschen, sagtest du, und die Menschen liebten dich. Oder war es umgekehrt? Jedenfalls war dies das Versprechen, das über Jahre zur Leitlinie meiner Erscheinung wurde. Doch spürten die Menschen meine bemühte Liebenswürdigkeit und waren darüber befremdet. Und nun sitze ich zwischen den Stühlen, bin nicht ich und bin nicht nicht ich.

Wer ist Susanna Erlanger?

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Auf dem Weg in die Innenwelt

Du trägst die Sonnenbrille im Abendlicht und neigst dich über einen Gegenstand, den ich von hier aus nicht erkennen kann. Dann setzt du dich neben der Umkleidekabine am Strand auf einen großen Stein und ziehst dir die Sandalen an.

Ein junger Mann, auf sein iPhone starrend, schreitet am Ufer vorbei. Als er kurz hochblickte, lächle ich ihm zu. Dein weißer Haarkranz wippt in die Höhe, wenn du dich vorbeugst, um die Schnallen zu schließen. Dann gehst du vorsichtig und langsam die Stufen der Steintreppe hoch zur Uferstraße, derweil ein Boot in den Hafen fährt und Wellen auf die Kiesel wirft.

Später schreibe ich in mein Notizbuch: »Du liebst die Geschundenen. Du siehst sie, wie du mich siehst. Doch weiß ich nicht, weshalb du zu ihnen hingezogen wirst. Ich habe dich nie danach gefragt.«

Wann lieben wir und wann lieben wir die Vorstellung von Liebe?

Wie leicht du deine Veränderung abtust: wie ein Kind, das man gerügt hat. Erst seit sie augenfällig ist, und ich sie auch nicht mehr übertagträumen kann, bricht unsere bunte Welt zusammen, und ich nehme dich auf einmal wahr als einen, der ein Anderer ist.

Auf unserem gemeinsamen Weg begegneten wir Unvorhergesehenem, Unbekanntem, auf einem Weg, der eher in eine Innenwelt führte, als von Ort zu Ort, obwohl wir häufig den Ort wechselten.

Ein Mann steht am Meer und sieht Wesen in den dunklen Wolken.

Wolkenfische (2)

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Wir versuchten dabei, unsere Route vorauszuplanen für den nächsten Tag, das nächste Jahr. An Kreuzungen wogen wir ab, welche Richtung die Verwirklichung unsere Vorstellungen am ehesten unterstützte. Und wir waren begierig, auf unserem Weg keine Abzweigung zu versäumen. Natürlich kamen Notwendigkeiten auch von außen auf uns zu oder Zufälle, doch hatten wir den Eindruck, dass wir sie bewusst wahrnahmen und uns entscheiden konnten.

Und nun stehen wir auf einmal vor Abzweigungen, die einen so starken Sog erzeugt, dass wir uns ihm nicht entziehen können.

Wir wissen von ihm nur, dass er in eine Richtung führt, zu der wir nichts mehr zu sagen haben, die uns aufgezwungen wird. Wir müssen sie einschlagen, obwohl wir ahnen, dass wir den Weg kaum voraussehen können. Wir müssen sie einschlagen und etwas leben, das wir gezwungen werden zu leben.

Gespensterschwaden ziehen
in die Nacht:
rot grün blau
Lichterregen fällt
an Ort,
verglüht im Nichts

(Fortsetzung folgt.)


Wir bedanken uns herzlich bei Susanna Erlanger, dass sie uns in vertrauensvoller Weise ihre Zwiesprache mit ihrem Mann Marc zur Verfügung stellt.