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Kindern Demenz erklären: Wann ist der beste Zeitpunkt?

Peggy Elfmanns Mutter mit Enkelkind. Demenz Kindern erklären.

Peggy Elfmanns Mutter spielt mit ihrem Enkelkind. Peggy merkte, dass sie sich vor dem Gespräch über Omas Demenz nicht mehr drücken kann. Bild Peggy Elfmann

Wie soll Peggy Elfmann ihren Kindern erklären, dass die Oma eine Demenz hat – wenn sie doch selber immer weinen musste, wenn sie davon sprach? Peggy schob das Gespräch vor sich her, bis sie sich nicht mehr davor drücken konnte. Im Rückblick würde sie das Gespräch früher angehen.

Als meine Mama die Diagnose Alzheimer erhielt, waren wir überfordert und unsicher. Ich erinnere mich, dass wir als Familie zusammenkamen und Papa immer wieder fragte: »Wie soll es nun weitergehen?« Wir versuchten einen Plan zu machen, obwohl wir keine Ahnung hatten, welche Veränderungen überhaupt auf Mama und den Rest der Familie zukommen würden.

Ich erinnere mich noch an eine andere große Sorge: Ich hatte Angst davor, mit meiner Tochter über Mamas Demenz zu sprechen. Als Mama die Diagnose Alzheimer erhielt, dachte ich zunächst, ich müsste meiner Tochter – sie war damals knapp drei Jahre alt – sofort davon erzählen.

Doch sehr schnell kamen die Zweifel: War mein Kind nicht viel zu jung für so ein ernstes Thema? Wie sollte ich ihr erklären, was Demenz ist, wenn ich doch selber nicht genau wusste, was mit der Krankheit einhergehen würde? Und wie sollte ich über etwas sprechen, das mich jedes Mal, wenn ich auch nur anfing, darüber zu reden, zum Weinen brachte? Würde meine Tochter das nicht ängstigen?

Kindern Demenz erklären: Wann ist der beste Zeitpunkt?

So schob ich das Gespräch auf und nahm mir vor, später, wenn sie älter wäre und mehr verstehen würde, darüber zu reden. Ich wollte auf den besten Zeitpunkt warten, um ihr zu erklären, dass die Oma Alzheimer hat und was das bedeutet.

Doch der beste Zeitpunkt kam irgendwie nie. Ich glaube, es ist wie mit all den anderen schweren Themen – und dabei ist ja fast egal, ob es um Kinder oder Erwachsene geht:

Es gibt keinen besten Zeitpunkt, um über Abschiede, schwere Krankheiten, Sterben & Co zu sprechen.

Denn die Themen bringen nun mal eine gewisse Schwere mit sich. Sie gehen mit Gefühlen wie Traurigkeit, Angst, Wut einher. Vielleicht machen wir diese Themen auch noch schwerer, weil es uns so schwerfällt, Worte dafür zu finden, und wir die Gespräche lieber meiden statt mutig anzugehen.

Gibt es ein gutes Alter, um mit Kindern über Demenz zu sprechen? Sollte man auch kleinen Kindern schon davon erzählen? Oder lieber warten, bis sie alt genug sind? In meinem anfänglichen Zweifel beschloss ich damals zu warten, bis meine Tochter »alt genug« ist. Was dieses »alt genug« bedeutet, konnte ich allerdings nicht genau beziffern. »Alt genug« war eine unkonkrete Zahl, denn irgendwie schien sie nie alt genug. Auch als sie fünf oder acht Jahre oder zehn Jahre war, hatte ich das Gefühl, dass sie »zu klein« ist, und wollte sie nicht mit so einem schweren Thema belasten.

Es ist nie ein guter Zeitpunkt – und doch immer richtig

Es gab einige Momente, in denen ich merkte, dass es ihr nicht guttut, wenn ich mich vor dem Gespräch drücke. Einmal spielten wir »Mensch-ärgere-dich-nicht«. Ich wollte, dass wir alle eine gute Zeit verbringen, dass Mama und mein Kind etwas Schönes miteinander machten.

Ich versuchte, Mamas Unsicherheiten zu kaschieren, stellte die Spielfiguren für sie und war sehr rücksichtsvoll.

Meine Tochter verstand all das nicht. Irgendwann stapfte sie wütend davon und rief: »Doofe Oma.« Da merkte ich, dass es meinem Kind nicht hilft, wenn ich nicht endlich anfange, über Mamas Demenz zu sprechen.

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Ich merkte, dass es diesen besten Zeitpunkt nicht gibt – und dass es zwar nie ein guter Zeitpunkt ist, um über Demenz zu sprechen, aber doch immer richtig ist. Heute denke ich, dass man nicht warten sollte, bis Kinder in einem gewissen Alter sind, sondern sie davon profitieren, wenn man frühzeitig über die Demenz spricht und ihnen die Chance gibt, zu verstehen und hineinwachsen zu lassen.

Kommt es nicht viel mehr darauf an, wie wir darüber sprechen, anstatt wann wir es tun? Ist es nicht sogar notwendig, dass wir über die Dinge, die im Alltag der Kinder eine Rolle spielen, von Anfang an sprechen? In einem Interview haben Christina Kuhn und Anja Rutenkröger vom Demenz Support Stuttgart das folgendermaßen erklärt:

Kinder haben ganz feine Sensoren und spüren Stimmungen. Sie beobachten viel und sehen natürlich, wenn die Eltern ihre Stirn in Runzeln legen, die Augen verdrehen oder ihren Körper anspannen. Kinder verstehen vielleicht nicht, was vor sich geht, aber sie spüren, dass da etwas nicht stimmt.

Wenn Kinder keine Erklärungen bekommen, dann suchen sie sich ihre eigenen. Sie machen sich ja Gedanken über das, was sie beobachten, und setzen daraus eigene Erklärungen zusammen. So kann es passieren, dass sich Kinder beispielsweise die Schuld geben oder denken, sie hätten etwas falsch gemacht, weil der Opa herumschreit oder die Mama so traurig ist. Der offene Umgang ist immer besser, weil er Erklärungen gibt und Kindern hilft, das Geschehen einzuordnen.

Es gibt nicht das »eine« Gespräch, sondern immer wieder Gespräche

Nach dem beschriebenen Erlebnis mit Mama und meiner Tochter begann ich, mehr mit meiner ältesten Tochter über Mamas Alzheimer zu sprechen. Es gab nicht das »eine Gespräch«, stattdessen ließ ich die Demenz immer mal wieder in Gespräche und Erzählungen einfließen. Denn so ist es ja: Die Demenz kommt eines Tages hinzu in unser Leben und begleitet uns über viele Jahre, verändert sich im Alltag immer wieder und zeigt neue Gesichter.

Peggy fiel es auch nicht leicht, mit ihren Kindern über die Pflege der Oma zu sprechen

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Ich begann meiner Tochter von meinem Beobachtungen und Erfahrungen mit Mama und ihrer Alzheimererkrankung zu erzählen. Manche Situationen bedurften besonderer Erklärung, etwa wenn Mama sehr traurig war oder wenn ich unbedingt Telefonanrufe tätigen musste, um für Mama etwas zu organisieren. Meine Tochter war meist zurückhaltend mit dem Fragen. Es schien, also ob sie gar nicht so viel wissen wollte. Hin und wieder hatte sie konkrete Fragen. Wir hatten traurige Gespräche, etwa darüber, warum es kein Medikament gegen Alzheimer gibt und warum die Oma nicht mehr spricht.

Ich merkte, dass ich nicht auf jede Frage eine Antwort hatte, aber dass es meiner Tochter – und auch mir – guttat, dass wir geredet hatten. Wir hatten auch mutmachende Gespräche. Wir redeten davon, dass Mama immer mehr vergisst und dann über Momente, in denen sie da ist und wie schön sich das für uns anfühlt.

Die Erfahrung, dass Kinder durchaus mit den »schweren Themen« umgehen können, machte es mir leichter, mit meinen jüngeren Töchtern offener darüber zu sprechen. Und ich lernte, dass auch ich viel aus den Gesprächen mit den Kindern mitnehmen kann, weil Kinder oftmals eine besondere Perspektive haben. Und dass sie auf kreative Ideen kommen, wie die Treppenkanten anzumalen, damit Mama besser die Treppen gehen kann.

Quelle: Podcast »Leben, Lieben, Pflegen«, Spotify

Mit Kindern über Demenz sprechen: Raum geben und Zeit lassen

Mein wichtigster Tipp ist: Den Kindern Raum geben für das Gespräch und sich Zeit lassen. Manche Kinder haben einen großen Gesprächsbedarf. Das macht es in gewisser Weise einfacher, weil man weiß, welche Fragen sie haben und darauf eingehen kann. Andere Kinder sind zurückhaltender und sprechen von selbst nicht darüber. Ihnen tut ein Anstupser gut.

Man sollte Kinder mit dem Thema nicht bedrängen oder sie mit vielen Erklärungen überfrachten. Stattdessen: immer mal wieder das Gespräch anbieten und so konkret wie möglich nachfragen. Besser als »Wie geht es dir mit Omas Demenz?« ist beispielsweise die Frage: »Wie hast du dich gefühlt, als die Oma deinen Namen nicht gewusst hat?«

In jedem Fall gilt: individuell auf das Kind, seine Fragen und die jeweilige Situation eingehen.

Dem Kind auf Augenhöhe begegnen und die Gedanken und Gefühle annehmen, auch wenn sie vielleicht weh tun. Wenn meine jüngste Tochter so etwas sagt wie »Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass die Oma mal gesprochen hat«, dann tut mir das weh, weil ich Mama ja anders kenne und diese andere Mama vermisse.

Und wenn das Kind gerade keine Fragen hat? Dann abwarten – und zu einem späteren Zeitpunkt das Gespräch suchen. Überhaupt, es gibt ja nicht das eine Gespräch, sondern immer wieder Gespräche. Denn: Die Demenz schreitet voran, bringt neue Verhaltensweisen und Herausforderungen mit sich. Und: Das Kind wird älter und lernt immer mehr und stellt mehr und neue Fragen.

Weitere Tipps für das Gespräch mit Kindern

  1. Hintergrundwissen und Erklärungen über Demenz sind für kleine Kinder oft sehr abstrakt und schwer zu verstehen. Sie sollten im Gespräch nicht im Vordergrund stehen, sondern es sollte eher darum gehen, Kinder zu begleiten und ihre Fragen zu beantworten. Ab der Grundschule kann man dann auch anfangen zu erklären, dass bei einer Demenz das Gehirn erkrankt ist.
  2. Eine Demenzerkrankung äußert sich durch andere Anzeichen als Erkrankungen, die Kinder sonst so kennen (Bauchweh, Fieber, Halsweh, Schnupfen). Ich erkläre das so, dass im Gehirn die Nervenzellen müde werden oder einschlafen. Normalerweise sind diese Nervenzellen wie Hände und sie können eine Information von der einen zur anderen geben. Und die ist dafür zuständig, dass wir zum Beispiel die Schuhe anziehen können oder sprechen können. Bei einer Demenz können diese Hände das nicht mehr.
  3. Schon kleine Kinder nehmen Veränderungen sehr gut wahr. Sie spüren Stimmungen und Gefühle, können aber oftmals nicht gut damit umgehen. Es hilft ihnen, wenn Erwachsene sie dabei unterstützen, Veränderungen und Gefühle benennen und so besprechbar machen. Emotionen wie Traurigkeit und Wut sind da und dürfen sein. Wichtg ist, dass Kinder damit nicht alleingelassen werden.
  4. Kinder sollten wissen, dass sie nicht schuld sind an Verhaltensveränderungen. Wenn Oma oder Opa mit Demenz traurig werden, laut schimpfen oder uninteressiert wirken, so hat das Kind keine Schuld, sondern diese Reaktionen stammen von der Demenz beziehungsweise durch die Unsicherheit oder Orientierungsprobleme, die dudrch die Demenz ausgelöst werden.
  5. Als Erwachsene sind wir manchmal vorschnell mit Urteilen. Besser sind Gespräche ohne Klischees und Vorurteile. Die Ideen und Gedanken der Kinder aufnehmen und im Gespräch darauf eingehen, statt auf der eigenen vorgefertigten Meinung zu beharren. Sich darauf einlassen, Dinge auszuprobieren und mal eine andere Perspektive zu akzeptieren.
  6. Kinder haben tolle eigene Ideen. Meine Töchter etwa hatten die Idee, die Treppenkanten anzumalen, damit Mama die Kontraste besser erkennen und die Stufen besser gehen kann. Es hilft Kindern – und auch Erwachsenen –, wenn wir nicht nur darüber sprechen, was nicht mehr geht und was verschwindet, sondern auch gezielt nach den Ressourcen suchen und uns darüber austauschen, was geht und wie man das fördern kann.
  7. Oftmals fällt es schwer, solch ein Gespräch zu beginnen. Es gibt viele tolle Kinderbücher, die man anschauen oder vorlesen kann (hier stelle ich euch einige vor). Sie bieten Gesprächsanregungen, zeigen Lösungsideen für Probleme im Umgang mit der Demenz auf und vermitteln dem Kind, das es nicht alleine ist. Sehr hilfreich finde ich auch kurze Erklär-Filme wie »Knietzsche und die Demenz« oder Erklär- und Mitmach-Angebote der AFI-Kids.

Meine Blogtexte kann jeder gratis lesen. Ich schreibe über das Thema, weil es für mich ein Herzensanliegen ist und ich andere Angehörige unterstützen möchte. Wenn du meine Arbeit unterstützen möchtest, kannst du das mit einer Spende für den Blog tun. Hier findest du den Link dazu.


Dieser Beitrag erschien am 3. Oktober auf Peggy Elfmanns Blog Alzheimer und wir. Peggys Mama ist 2024 verstorben. Peggy schreibt weiterhin Texte über ihr eigenes Erleben, die für andere Angehörige von Menschen mit Demenz sehr wertvoll sind. Wir bedanken uns herzlich bei ihr, dass sie uns in vertrauensvoller Weise diese sehr persönlichen Beiträge und Fotos zur Verfügung stellt.