Wir gestalten und bauen so, dass Menschen mit anderen Normen gut bei uns leben können. Und doch sind wir mit Verhaltensweisen konfrontiert, die auch unseren Rahmen sprengen. Verhaltensweisen zum einen, die sich gegen andere, gegen Mitbewohner, gegen Personal, gegen Angehörige richten. Zum anderen sind es Verhaltensweisen, die sich gegen die Person selbst richten.
Es sind Zustände von Menschen, die uns einfach nur traurig machen. Was sind das für Zustände, die hier gemeint sind?
Da gibt es diesen Arzt, der sich in seiner Demenz verloren fühlt. Er setzt sich stundenlang mit seinen Medikamenten auseinander und kommt zu keinem Ergebnis. Er schaut mit dem tieftraurigen Blick eines Mannes, der nur noch traurig schauen kann. Sein Blick fragt auch nach dem Warum. Es ist ein Blick, der monate-, ja jahrelang bis zu seinem Tod nicht mehr weg geht. Es ist der Blick eines Mannes, der im Stehen schläft und dann vornüberkippt wie ein Stein. Da ist das Bild der Frau, die lange nichts mehr gesprochen hat. Als ihre Tochter gefragt wird, ob sie Geschwister habe, sprach die Frau plötzlich wieder: «Er hat sich erschossen». Es war der letzte Satz, den sie in ihrem Leben sagen sollte.
Man fragt nach dem Warum. Warum erleiden Menschen solche Schicksale? Gibt es einen tieferen Sinn? Für wen kann es einen tieferen Sinn geben? Das Spektrum menschlichen Glücks und Leids ist unermesslich gross. Und so erscheinen mir solche Menschen als Vertreter der «Leidfraktion».
Das Ziel muss sein, diese Menschen darin zu begleiten, mit diesem Leid den Weg zu finden, der geprägt ist von Wertschätzung, erfahrbarer Liebe und spürbarer Beziehung.
Der Betroffene ist nicht schuld an seiner Situation, er hat einfach kein Glück gehabt. Es gibt sie nicht, die grosse Rechnung. Am Ende sind alle Posten ausgeglichen.
Menschen in solch schwierigen Situationen zu begleiten bedeutet, sich darin zu üben, ihnen nahe sein zu können. Fachliche und menschliche Kompetenz können gemeinsam entwickelt werden, damit dem Betroffenen ein bedingungsloses «Ja» entgegengebracht werden kann. Nur so ist der Mensch in seinem tiefsten Kern erreichbar. Ihn so zu begleiten, dass er sich selbst aushalten kann, stellt sich als unsere grosse Herausforderung dar.
Pflegende sind aufgefordert, sich dieser persönlichen Entwicklung zu stellen und sich darin zu üben, dieses Begleiten zu erlernen.
Dann kann eine Haltung im Einzelnen entstehen, welche die Haltung einer Institution prägt.
Menschen, die am Anfang einer dementiellen Erkrankung stehen: Was ist ihnen wichtig, wenn sie an den Verlauf ihrer Krankheit denken? Ist die Angst vor Kontrollverlust das prägende Gefühl? Ist es der Wunsch, keine Hilfe annehmen zu müssen? Steht der Wunsch im Vordergrund, sich aktiv für ein erfülltes Leben einzusetzen? Gibt es Überlegungen, dem eigenen Leben frühzeitig (wann ist das?) ein Ende zu setzen? Würde das Wissen um solch schwierige Verhaltensweisen den Entscheid beeinflussen?
Der Verlust über die Kontrolle der Körperfunktionen stellt einen Einschnitt dar, weil er oft noch bewusst erlebt wird und sich dann Scham ausbreitet.
Das Wahrnehmen des Verlustes kann Wut auslösen, Wut auf die Situation, und diese Wut kann sich gegen alles richten, das in direktem Kontakt steht zum Betroffenen – inklusive Angehörige und Pflegende, die ihn liebevoll begleiten.