Unser Törn ins Vergessen (22) von Birgit Rabisch
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Unser Törn ins Vergessen (22)

… und ich schicke dich staubsaugen!

Bernd Martens

Wegen seiner Alzheimer-Erkrankung musste Bernd Martens das Ruder seines Jollenkreuzers abgeben. Bild privat

Kurz nach dem Frühstück deckt Bernd den Abendbrottisch. Birgit deckt den Tisch dezent ab und bittet ihren demenzkranken Mann, das Wohnzimmer zu saugen. Jetzt fühlt sie sich schäbig: Bernd hat sie immer so gut umsorgt, wenn sie krank war.

Vor einer Woche war bei uns Familientreffen angesagt, wurde dann aber von meinem Sohn A. kurzfristig abgesagt. Als Administrator des Instituts, für das er seit vielen Jahren arbeitete, musste er eine mit einem neuen Virus eingedrungene Ransomware bekämpfen. Draußen wurde es schon hell, als er die Daten des Instituts gerettet und wieder zugänglich gemacht hatte.

Sonst wären wir pleite gewesen, erzählte er mir stolz, aber vollkommen erschöpft und übermüdet.

Wie sich die Zeiten ändern! Als Jugendlicher hat A. um jede Stunde am PC gekämpft, um seine heiß geliebten Games zu spielen; jetzt ist er froh, wenn er in keinen Monitor mehr starren muss. Damals hatte ich manchmal Angst, er könne spielsüchtig werden, heute ist eher deine Unlust zu spielen ein Problem.

Du hast zwar früher bereitwillig mit den Kindern unzählige Stunden bei ausufernden Brettspiel-Nachmittagen (von Mensch-Ärgere-Dich-Nicht über Monopoly bis zu den Siedlern von Catan) oder Kartenspielen an Bord (Canasta, Mau Mau) verbracht, doch das hast du ihnen zuliebe getan. Du warst froh, als du es nicht mehr tun musstest. Das ist in unserer jetzigen Situation schade, weil Spiele bei Alzheimer ausdrücklich empfohlen werden. Gar nicht so sehr als Gedächtnistraining (was nach neueren Studien nicht so wirksam sein soll, wie oft angenommen), sondern einfach als Möglichkeit zur fröhlichen Geselligkeit. Aber damit darf ich dir nicht kommen. Spielen? Nein, danke.

24. November 2022

Help me make it through the night.

Heute bist du wegen deiner Erkrankung auf meine Hilfe angewiesen; am Beginn unseres gemeinsamen Weges brauchte ich deine. Wir lebten noch in getrennten Wohnungen, als es mir nach einem Besuch bei »unserem Italiener« richtig schlecht ging. Ich erbrach nicht nur die Cannelloni mit Sahnesoße, sondern litt auch unter heftigen Schmerzen im Oberbauch. Ich rief dich an und du kamst durch Nacht und Sturm geradelt (der Sturm ist wahrscheinlich Fiktion, aber der Satz klingt so besser) und hast schon nach kurzer Sondierung der Lage den Notarzt gerufen.

Ich will hier nicht meine Krankengeschichte ausbreiten. Nur so viel: Das war der erste Schub einer chronischen Pankreatitis (Entzündung der Bauchspeicheldrüse), deren Ursache zwar eine Autoimmunerkrankung war, die aber durch das fettreiche italienische Essen und die zu vielen Gläser Rotwein zum erstem Mal akut wurde.

Für dich war es eine frühe und unvorhersehbare Herausforderung deiner Liebe zu mir.

Deinem Anfang mit mir wohnte der Zauber einer anspruchsvollen Krankenpflege inne. Um dich besser um mich kümmern zu können, holtest du mich in deine Wohnung. Da lag dann eine schmerzgeplagte Frau in deinem Bett, die sich ständig erbrechen musste. Mein Internist entdeckte bei einer Sonographie eine große Pseudozyste in meiner Bauchspeicheldrüse und empfahl dringend eine Operation, mit den beruhigenden Worten: »Eine Herz-OP ist ein Klacks dagegen.«

«Diese Art von Journalismus hilft Betroffenen, Angehörigen und Fachpersonen. demenzjournal.com ist eine äusserst wertvolle Plattform, nicht zum Vergessen!»

Irene Bopp, ehemalig Leitende Ärztin Memory Clinic Waid in Zürich

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Ich schickte dich in die Buchhandlung an der Uniklinik, um mir ein Fachbuch über die Diagnose und Behandlung der Pankreatitis zu besorgen und dank meiner drei Semester Medizin und mithilfe des medizinischen Wörterbuchs Pschyrembel gelang es mir sogar, halbwegs zu verstehen, was dort geschrieben stand. Ich entschied mich, es erst einmal mit einer konservativen Behandlung zu versuchen: Fasten, danach langsamer Aufbau mit einer fettarmen Diät, dauerhaft: kein Alkohol.

Fazit nach vierzig Jahren: Auch ohne OP verschwand die Pseudozyste. Es gab im Lauf der Jahre einige Schübe, als ich zu leichtsinnig wurde (»Ein halbes Glas Sekt am Geburtstag kann doch nicht schaden«) und auch die Schwangerschaft mit unserem Kind empfand meine Bauchspeicheldrüse als Zumutung. Sie reagierte mit Entzündungsschüben vor der Geburt und während der Stillzeit, die mich zweimal ins Krankenhaus brachten.

Das hatte mein Gastroenterologe mir vorhergesagt und mir dringend zu einem Abbruch geraten. Diesen Rat habe ich dir tunlichst verschwiegen, denn sonst wäre meine Schwangerschaft mit unserem sehnlichst erhofften Kind für dich zum Alptraum aus Sorgen und Ängsten geworden. Überflüssige Ängste: Unser Sohn S. ist gesund zur Welt gekommen und auch ich habe mich nach ein paar schwierigen Monaten und abgemagert wie eine Anorektikerin wieder berappelt.

7. Dezember 2022

Während ich mich nach unserem gemeinsamen Frühstück an den PC zurückgezogen habe, um über meine Pankreatitis zu schreiben, hat Monsieur Alzheimer dich dazu gebracht, den Abendbrottisch zu decken. Ich habe ihn dezent wieder abgedeckt und dich angeregt, das Wohnzimmer zu saugen. Ausfegen, staubsaugen – das klappt noch und du machst es gern. Trotzdem fühle ich mich schäbig, dass ich mir so meine Schreibzeit erschleiche.

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Ich denke daran, wie liebevoll du mich bei meinen Schüben umsorgt hast, wie du mir Kamillentee gekocht und mir die Wärmflasche auf den Bauch gelegt hast. Und ich schicke dich Staubsaugen!

Doch ich kann nicht den ganzen Tag mit dir alte Fotos angucken.

Mir anhören, wie Johnny dir als Kind mit der Gabel auf die Hand geschlagen hat und wie deine Mutter dich zum letzten Mal umarmt hat (Mien Jung! Mien leeve Jung!). Eine Stunde noch hier vor dem PC! Danach werde ich dir wieder geduldig lauschen, interessiert nachfragen, dir Orientierung in deinen brüchig werdenden Erinnerungen verschaffen.






Wir bedanken uns herzlich bei Birgit Rabisch und Bernd Martens, dass sie uns in vertrauensvoller Weise diese sehr persönlichen Texte und Fotos zur Verfügung stellen.

> Hier kannst du alle Folgen von Birgit Rabischs Logsbuch »Unser Törn ins Vergessen« nachlesen

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