2019 musste ich mich mit deiner Diagnose Alzheimer abfinden und damit, dass es dagegen keine ursächliche Therapie gibt, nur Medikamente, um das Unausweichliche für kurze Zeit auf Abstand zu halten. Auf Abstand halten konnte ich eine Zeitlang auch meine Gefühle. Vor etlichen Jahren hatte ich in meinem Roman Die vier Liebeszeiten geschrieben:
Demenz. Da ist es wieder, das Schreckgespenst, vor dem sich Rena so fürchtet. Mehr als vor dem Tod, denkt sie. Das ist die weniger schöne Seite im Herbst des Lebens, diese Angst vor dem, was mit dem Alter kommen wird.
Jetzt war das Gespenst mit unserem Alter gekommen und ich fürchtete mich vor ihm genauso wie meine Romanfigur Rena. Was gibt es Gruseligeres als dem Sterben einer Person bei lebendigem Leibe beizuwohnen, dachte ich. Und nicht irgendeiner Person, sondern dir!
16. September 2022
Ich konnte mich diesem Schrecken nicht stellen, konnte ihn nicht an mich heranlassen. Meine Methode, ihn nicht empfinden zu müssen, war, mich umso intensiver rational mit deiner Erkrankung auseinanderzusetzen. Ich las unzählige Ratgeber, Erfahrungsberichte, medizinische Studien, Essays, Sachbücher, Romane, sah Videos und Filme, hörte Vorträge. Und du? Du nahmst die Diagnose zur Kenntnis, fülltest auch bereitwillig die Vorsorgevollmachten und die Patientenverfügung aus, die ich dir vorlegte, aber Gespräche darüber, was deine Erkrankung für uns beide bedeutet, versandeten regelmäßig sehr schnell.
Ich: Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Krankheit fortschreitet …
Du: Ach was, wir tun ja schließlich was für unsere Gesundheit. Ich mache meinen Dauerlauf …
Du: Das ist ja auch sehr gut. Aber vor Alzheimer kann man nicht davonlaufen.
Du: Mein Blutdruck ist hervorragend, hat Dr. D. erst neulich gesagt.
Ich: Es ist das Gehirn!
Du: Das muss auch gut durchblutet werden.
Ich: Sicher. Aber das ist nicht unser primäres Problem.
Du: Wo du überall Probleme siehst! Wir leben schließlich in vierten Stock ohne Fahrstuhl. Runter und hoch, runter und hoch, Tag für Tag. Das trainiert. Das ist unsere Lebensversicherung. Haben wir doch immer gesagt.
Ich: Klar, das ist ja auch wirklich gut für unseren Kreislauf, aber es kann Alzheimer letztlich nicht aufhalten.
Du: Ich mach ja auch regelmäßig Dauerlauf. Und wir wohnen im vierten Stock, das ist unsere Lebensversicherung. Mein Blutdruck ist hervorragend …