Monsieur A. tritt ins Rampenlicht - demenzjournal.com

Unser Törn ins Vergessen (7)

Monsieur A. tritt ins Rampenlicht

Bernd Martens im Wattenmeer.

Bernd Martens entfernt sich immer mehr von seinem früheren Leben. Birgit Rabisch ist allein mit ihren Sorgen. Pivat

Mit ihrem geliebten Bernd konnte Birgit bisher alle Sorgen teilen. Aber wenn sie sich mit ihm über seine Demenzerkrankung austauschen will, drehen sich die Gespräche im Kreis. Birgit kommt zur Erkenntnis, dass sie allein ist.

15. September 2022 – 14. Oktober 2022

Zwischen meinem letzten Eintrag und diesem sind zweieinhalb Jahre vergangen. Zweieinhalb Jahre, in denen ich kein Wort geschrieben habe. Ich hatte geradezu einen Widerwillen vor dem Schreiben, vor dem Wort-Ergreifen, dem Zur-Sprache-Bringen. Schockstarre, vielleicht.

Deine Alzheimer-Diagnose hatte ich noch gefasst aufgenommen, als sie nach diversen Untersuchungen, darunter eine Gehirnwasser-Analyse, im November 2019 in der Uniklinik gestellt wurde. Ich ahnte, nein, ich wusste es ja längst. Monsieur A. trat triumphierend ins Rampenlicht und drängte  seinen Kumpan Multiinfarkt Demenz ins Abseits. Deine vermeintlichen TIAs, die Mini-Schlaganfälle, die mir so viel Angst gemacht hatten, würden später eine andere mögliche Erklärung finden.

2019 musste ich mich mit deiner Diagnose Alzheimer abfinden und damit, dass es dagegen keine ursächliche Therapie gibt, nur Medikamente, um das Unausweichliche für kurze Zeit auf Abstand zu halten. Auf Abstand halten konnte ich eine Zeitlang auch meine Gefühle. Vor etlichen Jahren hatte ich in meinem Roman Die vier Liebeszeiten geschrieben:

Demenz. Da ist es wieder, das Schreckgespenst, vor dem sich Rena so fürchtet. Mehr als vor dem Tod, denkt sie. Das ist die weniger schöne Seite im Herbst des Lebens, diese Angst vor dem, was mit dem Alter kommen wird.

Jetzt war das Gespenst mit unserem Alter gekommen und ich fürchtete mich vor ihm genauso wie meine Romanfigur Rena. Was gibt es Gruseligeres als dem Sterben einer Person bei lebendigem Leibe beizuwohnen, dachte ich. Und nicht irgendeiner Person, sondern dir!

16. September 2022

Ich konnte mich diesem Schrecken nicht stellen, konnte ihn nicht an mich heranlassen. Meine Methode, ihn nicht empfinden zu müssen, war, mich umso intensiver rational mit deiner Erkrankung auseinanderzusetzen. Ich las unzählige Ratgeber, Erfahrungsberichte, medizinische Studien, Essays, Sachbücher, Romane, sah Videos und Filme, hörte Vorträge. Und du? Du nahmst die Diagnose zur Kenntnis, fülltest auch bereitwillig die Vorsorgevollmachten und die Patientenverfügung aus, die ich dir vorlegte, aber Gespräche darüber, was deine Erkrankung für uns beide bedeutet, versandeten regelmäßig sehr schnell.

Ich: Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Krankheit fortschreitet

Du: Ach was, wir tun ja schließlich was für unsere Gesundheit. Ich mache meinen Dauerlauf …

Du: Das ist ja auch sehr gut. Aber vor Alzheimer kann man nicht davonlaufen.

Du: Mein Blutdruck ist hervorragend, hat Dr. D. erst neulich gesagt.

Ich: Es ist das Gehirn!

Du: Das muss auch gut durchblutet werden.

Ich: Sicher. Aber das ist nicht unser primäres Problem.

Du: Wo du überall Probleme siehst! Wir leben schließlich in vierten Stock ohne Fahrstuhl. Runter und hoch, runter und hoch, Tag für Tag. Das trainiert. Das ist unsere Lebensversicherung. Haben wir doch immer gesagt.

Ich: Klar, das ist ja auch wirklich gut für unseren Kreislauf, aber es kann Alzheimer letztlich nicht aufhalten.

Du: Ich mach ja auch regelmäßig Dauerlauf. Und wir wohnen im vierten Stock, das ist unsere Lebensversicherung. Mein Blutdruck ist hervorragend …

Hier geht’s zur ersten Folge von Birgit Rabischs Logbuch

Birgit Rabisch und Bernd Martens auf ihrem Jollenkreuzer.

Unser Törn ins Vergessen (1)

Ich navigiere, und du bist ein passabler Vorschoter

Der Schriftsteller Bernd Martens ist vergesslich geworden. Nun führen er und seine Ehefrau Birgit Rabisch eine Dreiecksbeziehung mit Monsieur Alzheimer. demenzjournal veröffentlicht nun … weiterlesen

So drehten sich unsere Gespräche im Kreis. Ich musste begreifen, dass ich mit dem Menschen, mit dem ich immer alle meine Sorgen geteilt hatte, diese bisher größte Sorge in meinem Leben nicht würde teilen können. Ich konnte nicht mit dir über den Horror sprechen, den mir die Vorstellung von dir als einem sprachlosen, hinfälligen Wesen machte, mit dem ich kaum noch in Kontakt würde treten können, ja, das nicht einmal mehr wüsste, wer ich war.

Langsam sickerte die Erkenntnis in mich ein, dass ich alleine war. Ohne es zu wollen, warst du dabei, mich zu verlassen. Und über meinen Kummer darüber konntest du mich nicht mehr hinwegtrösten. Dieser Herausforderung musste ich mich allein stellen. Ich fürchtete, ihr nicht gewachsen zu sein. Doch ich wollte alles tun, was möglich war, um, wie die Standardfloskel lautet, das Beste aus der Situation zu machen.

Nicht das Beste, aber das Unvermeidliche war, dass du endgültig Abschied von Timpe Te nehmen musstest. Zu meinem Erstaunen sahst du das problemlos ein, wahrscheinlich, weil du selbst gespürt hast, dass du das Boot nicht mehr beherrschen konntest. Zum Glück übernahm es unser Sohn S., Timpe Te herzurichten und leerzuräumen und einen neuen Besitzer zu finden, so dass du dich um all das nicht kümmern musstest.


Wir bedanken uns herzlich bei Birgit Rabisch und Bernd Martens, dass sie uns in vertrauensvoller Weise diese sehr persönlichen Texte und Fotos zur Verfügung stellen.