Es sind keine Rottgarts in unserer Wohnung, antworte ich dir wahrheitsgemäß und du atmest beruhigt auf:
Gott sei Dank, dass die abgehauen sind! Diese Rottgarts, weißt du, vor allem dieser Hosse, das war nämlich einer, ein richtiger Halunke war das. Der hat sogar mal seiner Mutter das Portemonnaie geklaut. Einer armen Kriegerwitwe! Aber da hat er nicht mit Johnny gerechnet …
Nach dem Abendbrot räumen wir den Tisch ab und ich schlage vor, ins Wohnzimmer zu gehen, versichere dir erneut, dass dort keine Rottgarts sind:
Nur du und ich!
Das ist gut.
Dann lass uns jetzt mal ins Wohnzimmer gehen.
Ja, aber ich muss erst noch nach Finkenwerder. Die warten doch da auf mich. Die wissen gar nicht, wo ich bin.
Doch, die wissen, dass du hier im Hellkamp bist. Hier ist dein Zuhause.
Ja, aber nicht in echt. Hier war ich vielleicht früher mal zuhause. Ich muss nach Finkenwerder, aber ich finde die Adresse nicht.
Die suche ich dir morgen raus. Heute ist es viel zu dunkel/zu kalt/zu spät/es regnet/es stürmt.
Das stimmt. Heute gehe ich nicht mehr raus. Das wäre ja verrückt.
Dann lass uns mal ins Wohnzimmer gehen.
Du folgst mir. Wie lange noch? Wie lange kann ich den Zustand friedlicher Koexistenz von meiner Realität und deiner Fiktion aufrechterhalten? Werde ich dich irgendwann nicht mehr mit meinen Tricks davon abhalten können, in dein fiktives Finkenwerder aufzubrechen, das du niemals finden wirst? Wann werde ich den Schlüssel der Wohnungstür verstecken müssen? Wirst du dich wehren, wenn ich dich daran hindern will, wegzulaufen, ein Weglaufen, das ein Hinlaufen ist in deine Kindheit? Wird deine Mutter stärker sein als ich? Wird es zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen uns beiden kommen? Es schaudert mich, allein schon diesen Ausdruck im Zusammenhang mit uns zu verwenden. Unsere Körper haben sich nie anders als zärtlich miteinander auseinandergesetzt. Miteinander. Eine Zeitlang noch miteinander. Bitte!
Wir bedanken uns herzlich bei Birgit Rabisch und Bernd Martens, dass sie uns in vertrauensvoller Weise diese sehr persönlichen Texte und Fotos zur Verfügung stellen. Bernd Martens starb am 16. April 2025 im Kreise seiner Familie.
> Hier kannst du alle Folgen von Birgit Rabischs Logsbuch »Unser Törn ins Vergessen« nachlesen
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