Bei Alzheimer-Demenz: Umzug ins »betreute Wohnen«?

Unser Törn ins Vergessen (9)

Die Expertinnen sind sich uneinig

Jollenkreuzer Timpe Te von Bernd Martens und Birgit Rabisch.

Der Jollenkreuzer Timpe Te bei Ebbe im Watt: Auch bei der Entscheidung über den künftigen Wohnort steckt Birgit fest. Bild privat

Sollen Birgit und Bernd in eine »Servicewohnung« umziehen? Oder sollen sie in ihrer Wohnung ohne Fahrstuhl bleiben, weil sich Bernd in seinem vertrauten Umfeld besser zurecht findet? Birgit kann nicht in die Zukunft blicken und vertagt die Entscheidung.

16. September 2022 (Fortsetzung II)

Mich aber trieb die Frage nach dem Wohnen mit Service um. Ich fragte die Menschen um Rat, die sich mit Alzheimer auskannten, unter vielen anderen die Pflegedienstleiterin vom DRK, die Beraterin im Pflegestützpunkt und die in der Demenz-Sprechstunde der Uniklinik. Manche rieten zu einem frühzeitigen Umzug, damit der Demenzerkrankte noch Zeit habe, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen. Man müsse auch damit rechnen, dass er im Laufe der Erkrankung die Fähigkeit zum Treppensteigen, ja selbst zum Gehen verlieren würde. Da wäre eine behindertengerechte Wohnung mit Fahrstuhl genau das Richtige. Und angesichts der langen Wartezeiten für solche Wohnungen, sollten wir uns rechtzeitig darum kümmern.

Die Gutachterin des MDK[1], die ich zum Abschluss ihres Besuchs bei uns auch mit dieser Frage konfrontierte, riet zum Gegenteil. Sie hatte jahrelang in der geriatrischen Abteilung eines großen Krankenhauses gearbeitet und berichtete:

»Die meisten unserer Alzheimer-Patienten, die waren körperlich fit wie ein Turnschuh. Neben denen mussten wir oft herlaufen, um sie zu füttern. Die hatten eine unglaubliche Energie, da konnten wir jungen Frauen manchmal nicht mithalten. Ich habe dann leider oft erlebt, dass ein Umzug für diese Menschen eine derartige Belastung war, dass sie danach mental massiv abbauten und manche auch bald starben. Die brauchen ihre gewohnte Umgebung, ihre gewohnten Abläufe, ihre gewohnten Bezugspersonen. Jeder Wechsel ist schädlich. Ich würde von einem Umzug abraten.«

Ich konnte sowohl die Argumente für als auch gegen unseren Umzug in eine der Service Wohnungen nachvollziehen. Warum nur konnte ich nicht in die Zukunft schauen! Würdest du noch lange körperlich fit bleiben oder schon bald nicht mehr die Treppen bewältigen? Würdest du einen Umzug jetzt verkraften oder war es besser, dir die gewohnte Umgebung zu erhalten, bis es nicht mehr anders geht? Und würden wir dann eine Wohnung kriegen oder jahrelang auf der Warteliste versauern?

Ich tat das vielleicht Dümmste oder vielleicht auch Klügste (die Zukunft wird es zeigen): Ich verschob die Entscheidung.

Stattdessen kümmerte ich mich um Fragen, für die ich eine Antwort zu haben glaubte. Deine Demenz sollte kein Grund für unseren Rückzug aus der Gesellschaft sein. Wir würden offen damit umgehen und wir würden weiter den Kontakt zu unseren Freund:innen und Bekannten halten. Ich könnte an einem Gesprächskreis für Angehörige teilnehmen und für dich käme später vielleicht zusätzlich eine stundenweise Betreuung in Frage oder sogar eine Tagespflege.

Es war sehr wichtig, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten oder neu zu knüpfen. Das stand in jeder Broschüre. Das wurde in jeder Beratung empfohlen. Und es entsprach auch völlig dem, was mir sinnvoll erschien. Voller Elan machte ich mich daran, unser Leben mit Monsieur Alzheimer zu planen. Wir mussten mit ihm zusammenleben, er war nicht mehr zu verscheuchen, aber er sollte unser Leben so wenig dominieren, wie es eben möglich war.

Am 16.1.2020 teilte dir deine Krankenkasse den Pflegegrad 2 zu und ich wurde als deine Pflegeperson anerkannt. Ab sofort würdest du Pflegegeld erhalten, womit die Auflage einer halbjährigen Beratung durch einen anerkannten Pflegedienst verbunden war.

Mein erster Gedanke war, diese Beratungen durch das Rote Kreuz vornehmen zu lassen, da wir dort ja schon registriert waren. Doch dann machte ich einen weiteren Beratungstermin beim Arbeiter Samariter Bund ab, der in den Service Wohnungen in der Lappenbergsallee tätig war und dort im Erdgeschoss auch eine Tagespflege betrieb. Vielleicht wäre es sinnvoll, schon mal den Kontakt zu diesem Pflegedienst aufzunehmen, für den Fall, dass wir irgendwann doch dort hinziehen müssten?

So weit waren meine Überlegungen und Planungen gediehen, als sie alle hinfällig wurden.

Im März 2020 kam Corona.


[1] MDK: Medizinischer Dienst der Krankenkassen


Wir bedanken uns herzlich bei Birgit Rabisch und Bernd Martens, dass sie uns in vertrauensvoller Weise diese sehr persönlichen Texte und Fotos zur Verfügung stellen.