Die Frau mit der schwarzen Stoffmaske vor Mund und Nase schiebt ihre Ärmel nach hinten, den rechten, den linken, beugt sich zu der Frau, die vor mir im Tram sitzt und von der ich nur die weissblonden Locken sehe. Sehen Sie, kein einziger Einstich, sehen Sie? Und Alkohol, pah, Alkohol, seit zwei Jahren bin ich trocken. Hasch? Einen einzigen Joint in meinem ganzen Leben.
Was kostet denn so eine Übernachtung? fragt die Lockenfrau. Einen Zwanziger. Oh, das ist viel. Ist da wenigstens das Frühstück dabei? Jaja, und auch das Nachtessen, die Dusche, alles. Nun, immerhin. Also denn. Die Lockenfrau drückt der Bittstellerin etwas in die Hand. Aber wie gesagt, Drogen finanziere ich nicht.
Um etwas zu bitten war in meiner Kindheit erlaubt, betteln wurde als unangemessen beurteilt. Was bitten war und was betteln, entschieden die Erwachsenen. Klar war mir, dass Bitten zum Betteln wurde, wenn ich zu lange insistierte, zu oft nachfragte.
Da konnte ich noch so oft Bitte sagen, rein durch die Wiederholung wurde meine Anfrage zum Betteln. Hör auf zu betteln, hiess es dann.
Bitten und betteln seien verwandt, meint das Wörterbuch. Wiederholtes Bitten werde zum Betteln. Die Verwandtschaft zwischen den beiden Wörtern wurde erst spät hergestellt. Im Mittelalter nämlich habe hinter dem Wort Betteln die Verbindung zu Fehler, Gebrechen und auch Not, Sorge und Kummer gesteckt.
Bitten wird zurück geführt auf begehren, dürsten, sehnen. Auch beten ist mit bitten verwandt, Gott oder eine andere Macht wird um Hilfe gebeten, wird angefleht. Das Wörterbuch der Synonyme listet unter bestürmen sowohl bitten wie betteln auf, aber auch flehen, anrufen, bedrängen, beschwören, ersuchen und keine Ruhe geben.