Dankbarkeit - demenzjournal.com

Verbundenheit

Dankbarkeit

Es gibt vieles, wofür ich zu danken habe. So bin ich dankbar für die Buchstaben und Wörter, mit denen ich schreiben und spielen kann. Bild pixabay

Dankbare Menschen anerkennen die Rolle anderer Menschen in ihrem Leben. Dankbarkeit fördert Altruismus und schafft ein Gefühl von Verbundenheit. Sie hilft mit, Beziehungen aufzubauen und zu vertiefen. Was tun, wenn man Dankbarkeit nicht einfach hat? Unsere Autorin sucht Antworten.

Als Kind lernte ich, dankbar zu sein dafür, dass wir mehr hatten als andere. Genügend zu essen, ein warmes Bett. Das war, hiess es, nicht für alle Kinder auf der Welt eine Selbstverständlichkeit. Deshalb hatte ich dankbar zu sein, klaglos meine Schulaufgaben zu erledigen und meine Ämtli im Haushalt. Auch das Beten vor dem Essen und vor dem Schlafen gehörte zur Dankbarkeit.

Spätestens als ich merkte, dass ich meinen Eltern dankbar sein sollte dafür, dass sie mich ungefragt in die Welt gesetzt hatten, spätestens da verliess mich die Dankbarkeit. In der Pubertät und darüber hinaus trug ich die Nase hoch. Wieso sollte ich dankbar sein und wofür? Hatten nicht die anderen zu danken, dass ich war, wie ich war?

Mir gehörte die Welt, alles war möglich, alles zu erreichen, und zwar aus eigener Kraft. Dankbar sein? Sicher nicht.

Viele Jahre später schlich sich die Dankbarkeit wieder in mein Leben. Ich ertappte mich dabei, dass ich mich laut bei meinen Pflanzen bedankte, bei meiner Wohnung, manchmal auch beim Stuhl, der mein Gewicht zu tragen hatte oder der warmen Dusche, die mich entspannte. Mein Dank schien ihnen nicht zu schaden.

Bei der Nähmaschine oder beim Computer bewirkte das Danke manchmal sogar Wunder: Das Gerät lief wieder fehlerlos, ohne dass ich wusste warum. Vielleicht war es wirklich das kleine Wort, das geholfen hatte, vielleicht aber war ich auch durchs Danke sagen etwas langsamer und ruhiger geworden, so dass ich an den richtigen Rädchen drehte oder die richtigen Tasten drückte.

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Die Dankbarkeit ist nicht mehr aus meinem Leben entschwunden, jetzt, im Alter, brauche ich sie mehr denn je. Ich brauche sie, ich halte mich an ihr fest. Trotz und wegen allerlei unerfreulichem, das in meinem Körper passiert und rund um mich herum, halte ich zur Dankbarkeit und sie zu mir.

Es gibt vieles, wofür ich zu danken habe. Für Bücher zum Beispiel, die ich mit Freude und Genuss lese, die mich entführen aus dem manchmal grauen Alltag, mich die Arthrose in den Knien vergessen lassen. Ich bin dankbar für die Buchstaben, mit denen ich schreiben und spielen kann.

Dankbarkeit sei ein Gefühl, lese ich, und versuche zu ergründen, wie sich Dankbarkeit denn anfühlt. Etwas Warmes in meiner Brust, ein Herzschlag, der sich um weniges beschleunigt?

Ein Gefühl jedenfalls, dass sehr nahe der Freude und der Liebe ist. Ein positives und hoffnungsvolles Gefühl, das ich mir selbst verschaffen kann. Morgens zum Beispiel, wenn ich am Tisch sitze und aus dem Fenster der Amsel zuschaue, wie sie an den letzten Äpfeln im kahlen Baum herumpickt.

Ich trinke meinen Tee, ziehe mein Heft heran und schreibe ein paar Worte auf über diese Amsel – die ich Selma nenne, was ein Anagramm[i] ihres Namens ist – schaue dieser Selma zu wie sie pickt und zufrieden aussieht. So jedenfalls stelle ich mir so eine zufriedene Amsel vor. Das Zuschauen und Aufschreiben macht auch mich zufrieden. Und dankbar.

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Dankbarkeit ist seit einigen Jahren ein Thema, wie ich bei einem Blick ins Internet feststelle. Viele Bücher werden da angeboten, lauter rosa, hellblaue, hellgrüne Bücher, verziert mit Herzen und Rosen. Eine erschreckende Fülle von Titeln, die mir alle eines versprechen: Dankbarkeit macht glücklich, Dankbarkeit bringt Erfolg.

Die Dankbarkeit scheint eine Währung zu sein, die getauscht werden kann gegen Erfolg, Anerkennung, Geld. Nebst unzähligen Dankbarkeitsbüchern finde ich noch mehr Zitatenseiten, auch sie aufgemacht mit Blumen, Herzen, Kerzen.

Dankbarkeit und Kitsch ziehen sich offenbar an. Dies ist nicht die Dankbarkeit, die ich suche.

Ich erwarte keinen Erfolg von der Amsel, die mich erfreut und dankbar macht. Ich suche die absichtslose Dankbarkeit, die einfach da ist. Dankbarkeit für das Sein, für das Leben. Gibt es das?

Nach längerer Suche finde ich einen Artikel, der sich mit der positiven Psychologie[ii] beschäftigt. Die positive Psychologie stellt eine interessante Frage: Wie wäre es, wenn wir unsere natürlichen Stärken kultivierten, statt vermeintliche Schwächen zu korrigieren?

Zu den menschlichen Stärken gehöre auch die Dankbarkeit. Sie öffne uns die Augen für die schönen Seiten des Lebens, was oft hilfreich sei. Schon die Philosophen der Antike hätten sich mit Dankbarkeit auseinander gesetzt, die heutige Psychologie habe das Potential dieses komplexen Gefühls erst vor etwa 20 Jahren entdeckt. Dankbare Menschen, heisst es weiter, würden seltener an Depressionen, Suchterkrankungen oder einem Burnout leiden.

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Wie aber wird man ein dankbarer Mensch, wenn einem die Dankbarkeit nicht einfach zufällt? Dankbarkeit, so die Wissenschaft, sei lernbar. Und zwar helfe vor allem – ich horche auf – das Schreiben. Empfohlen wird ein Dankbarkeitstagebuch oder das abendliche notieren von schönen Erlebnissen, die Dankbarkeit auslösen können.

Auch das Schreiben von Dankesbriefen sei hilfreich, ob sie abgeschickt würden oder nicht. Innerlich entschuldige ich mich bei allen pastellfarbenen Lebenshilfebüchern und ihren Empfehlungen. Ich selbst greife lieber auf die Bücher in meinem Gestell zurück: zum Beispiel auf das dunkelrote Buch von Silke Heimes[iii]: Kreatives und Therapeutisches schreiben. Auf dem Klappentext steht: Schreiben ist eine wunderbare Methode, Gedanken zu ordnen und Gefühle zu klären.

Also ist es nicht verwunderlich, dass über das Schreiben Dankbarkeit eingeübt werden kann.

Über absichtslose Dankbarkeit finde ich weder Zitate noch Artikel. Dankbarkeit ist offenbar geknüpft an ein für oder ein weil, manchmal gar an beides. In mir blitzt eine Erinnerung auf an eine Weihnachtsfeier. Ich war ein Kind, noch keine zehn Jahre alt, später, ab zehn, elf, wurde an Weihnachten gestritten. An dieser Feier nicht.

Die Tür zur Stube öffnet sich, da steht der Christbaum, hoch bis an die Decke, die Kerzen brennen, Wärme und Licht hüllen mich ein. Mama und Papa setzen sich in die Lehnstühle neben dem Baum, meine Schwestern und ich gruppieren uns um sie herum, ich glaube, ich sitze zu Mamas Füssen auf dem Schemel.

Unter dem Baum steht ein Korb voller Geschenke. Doch die interessieren mich vorläufig nicht. Papa öffnet die Bibel und liest im Schein der Kerzen aus dem Lukasevangelium: Es begab sich aber zu der Zeit… Gebannt höre ich der bekannten Geschichte zu.

Danach singen wir, macht hoch die Tür die Tore weit, meine Schwestern und Mama zweistimmig, Papa brummt Bass, ich singe falsch, aber heute macht es nichts. Ich singe und alles ist richtig und gut. Das innige Gefühl der Dankbarkeit und Verbundenheit ist so stark in mir, wie ich es seither nur selten gespürt habe.


[i]    Anagramm: Umstellen eines gewählten Wortes oder Satzes zu einem neuen Wort oder Satz, wobei alle Buchstaben wieder verwendet werden müssen.

[ii]   www.spektrum.de/news/sei-dankbar/1774092, Nr. 44/2020

[iii]  Silke Heimes: Kreatives und therapeutisches Schreiben. Ein Arbeitsbuch, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2008