Die Ärztin fragt, ob ich einer Reanimation zustimmen würde. Ich weiss, dass sie diese Frage stellen muss, weiss, dass ich eine Reanimation verneint habe in meiner Verfügung. Und doch stolpert mein Herz. Soll das mein Ende sein, hier auf der Notfallstation?
Bleibt mir noch Zeit, mich zu verabschieden, meiner Gefährtin zu danken für viele Jahre liebevolles Beisammensein, für Unterstützung und Anregung? Ich atme tief ein. Nein, sage ich und trotze der Angst, nein, keine Reanimation.
Später bekomme ich ein richtiges Bett, schlafe nun wirklich ein, eingelullt von den Stimmen um mich herum, erwache nur halb, als ich auf die Station gefahren werde. Schmerzen wecken mich, die mit Spritzen gestillt werden.
Die Nacht ist lang, ist kurz, ist voller Gegensätze: schwitzen und frieren, Unruhe und Angst wenn die Schmerzen kommen, Ruhe und Entspannung nach den Spritzen.
Oft schrecke ich auf, frage mich, wo ich bin. Habe ich die Welten gewechselt, bin ich an diesen unbekannten Ort verbannt worden? Diese neue Welt ist pastellfarben, verengt auf die Grösse eines Spitalzimmers, der Denkraum umfasst Krankheit, Behandlung und die neuen Laborwerte.
Freundliche Menschen fragen mich, ob ich Schmerzen habe, alleine aufstehen kann, Begleitung brauche. Sie stellen mir einen Hocker in die Dusche, Seife, Shampoo, Handtuch in Reichweite, ebenso die Glocke. Darüber bin ich froh, fühle mich nicht überwacht, sondern geschützt. Was tun Kranke, die nicht umsorgt werden?
Die Institution sorgt für den Rhythmus: Die Tage beginnen mit Blutdruck- und Pulskontrolle, mit Blutentnahme, gefolgt von Frühstück, Dusche, Arztvisite, Mittagessen, Nachtessen. Ohne diese Struktur würde ich ertrinken.
Mein Körper will Schlaf, langsame Bewegungen, will nicht reden und nicht denken, und wenn denken, dann an den Tod, und wenn reden, dann mit ihm.
Er ängstigt mich und ist doch mein Begleiter. Oft besucht er mich nachts, in meinen Träumen fühlt er sich wohl. Einmal steht er am Kopfende des Bettes, in dem schmalen Raum zwischen Bett und Wand, ein andermal zu meinen Füssen.
Mir kommt das Märchen in den Sinn von dem Heiler, der den Tod überlisten wollte und schnell das Bett des Kranken so drehte, dass der Tod keinen Zugriff hatte. Hier ist niemand, der das Bett umdreht, er könnte also zugreifen. Er tut es nicht. Gibt es jemanden, der mein Leben in Händen hält, wie Rilke schreibt?
Ich liege in einem Zimmer im achten Stock, Blick auf Spielzeugmenschen, die ihre Spielzeughunde ausführen, Blick auf Berge, Bäume und Himmel. Ich liege aller Verantwortung enthoben. Noch ist es nicht soweit, dass ich selbst Verantwortung übernehmen muss für meine Genesung.
Noch schauen andere dafür, dass sich Organe erholen, Schmerzen gedämpft werden, dass das, was gesund ist, gesund bleibt. Nur ganz langsam nähert sich mir die betriebsame Welt, die Zimmertür öffnet sich und lässt Besucherinnen ein, dann erste eigene Schritte aus dem Zimmer heraus, Schritte im Korridor, in der feuchten Hand den Infusionsständer, der mir vermeintliche Sicherheit gibt.
Hin und zurück, einmal, zweimal, vorbei an hastenden Pflegepersonen, an Besucherinnen, deren Schritte viel schneller sind als meine.
Noch weiss ich nicht, wie lange mir der Weg von der Haustüre zur Bushaltestelle werden wird.
Irgendwann ist es wieder möglich, mich an ein gestriges Gespräch zu erinnern, ist es möglich, einige Worte aufzuschreiben. Die Infusion wird gezogen und hinterlässt eine Lücke. Ich bewege den Arm sorgfältig, wie wenn ich noch immer aufpassen müsste, dass die Nadel am Ort bleibt und die Schläuche sich nicht verheddern.
Es geht aufwärts, sagt die junge Ärztin, so lange geht es aufwärts, bis die neuen Laborwerte bekannt sind, danach wird eine neue Infusion gelegt, und ich bin beinahe erleichtert. So ist es wieder richtig.
Dann geht es wirklich aufwärts. Der Chefarzt verabschiedet sich und wünscht alles Gute. Eine Woche lang werde ich umsorgt von meiner Lebensgefährtin, lebe ich in einem Zwischenreich, bis ich es wage, die erste Nacht allein in meiner Wohnung zu verbringen.