Und noch etwas unterscheidet uns: In Deutschland gibt es viermal so viele Arztpraxen pro Einwohner wie in den Niederlanden. Entsprechend können viel mehr Medikamente, darunter auch Antibiotika verschrieben werden.
Muss der Patient nicht lange auf einen OP-Termin warten, wenn es so wenige Kliniken gibt?
Das ist ein Nachteil, ja.
Und wie sieht es in der Schweiz aus?
Die Schweiz ist dreigeteilt. Was das Vorkommen und Verbreiten von multiresistenten Erregern angeht, entspricht die französische Schweiz dem Zustand in Frankreich, die italienische Schweiz dem in Italien und die deutsche Schweiz dem in Deutschland. Das zeigt, dass die Themen Antibiotika und Krankenhaushygiene im soziokulturellen Kontext zu sehen sind. Wie sind die Gesundheitssysteme organisiert und was führt dazu, dass Patienten Ärzte aufsuchen und Ärzte viel Antibiotika einsetzen?
Alexander friedrich
ist Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie. Er hat fünf Jahre die Krankenhaushygiene am Institut für Hygiene im Uniklinikum in Münster geleitet, seit 2011 führt er die Abteilung für medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene an der Uniklinik in Groningen, Niederlande.
Welche Länder haben mehr Probleme?
Ich weiß, dass Italien und Griechenland zu den Ländern gehören, in denen sich Krankenhauskeime rascher ausbreiten. In Deutschland weniger, aber immer noch sechs- bis zwanzigmal mehr als in den Niederlanden.
Wie übertragen sich Multiresistente Erreger?
Nicht wie klassische Infektionserreger, wie zum Beispiel bei einer Tuberkulose. Die überträgt sich wie eine Lungenentzündung, einmal husten reicht. Multiresistente Erreger machen auch nicht unmittelbar krank. Ein gesunder Mensch kann sie jahrelang mit sich herumtragen, ohne dass etwas passiert. Erst, wenn viel Antibiotika gegeben und intensiv gepflegt wird, kann es zur Übertragung von Mensch zu Mensch kommen. Und erst nach bestimmten Behandlungen, wie zum Beispiel einer Operation, einer Beatmung oder dem Einsatz von Kathetern, kann es zu einer echten Infektion kommen.
Also muss ein Erreger gefunden werden, obwohl der Patient gesund ist?
Genau, bevor er erkrankt. Wenn er stationär im Krankenhaus aufgenommen wird und bestimmte Risikofaktoren gegeben sind. Das Wichtigste sind also Augen fürs Unsichtbare, die Fachärzte für medizinische Mikrobiologie mit ihrer gezielten Diagnostik besitzen. Sie erkennen multiresistente Erreger, bevor der erste Patient erkrankt.
Sind Antibiotika eher Fluch als Segen?
Unsere Gesellschaft ist seit 2000 Jahren geprägt durch Seuchen. Unsere Art zu leben beruht auf Erfahrungen, die unsere Ahnen mit Epidemien machten. Beispielsweise, dass Küche und Schlafzimmer getrennte Räume sind, dass wir mit Messer und Gabel essen und Lebensmittel erhitzen.
Erst seit Ende der 60er Jahren meinen wir, alles im Griff zu haben, weil wir über Antibiotika verfügen. Leider ist es nicht so.
Antibiotika sind eher Segen, aber sie sind kein Allheilmittel.
Was halten Sie vom Einsatz so genannter Phagen? Also Viren, die Bakterien angreifen?
Phagen haben den Vorteil, dass man sie relativ leicht und kostengünstig generieren kann. Medizinisch gesehen ist es ein Nachteil, dass sie zwar Erreger angreifen und eliminieren. Aber aus jedem dieser Erreger kommen 200 bis 300 Bakterophagen-Kopien wieder raus, die greifen weiter an, sind nicht präzise kontrollierbar und es ist schwer vorhersehbar, was passiert. Wie können wir sie ein- und ausschalten? Welche Charakteristika haben sie?
Gefahr: resistente keime
Ende Juni 2017 verabschiedete die EU-Kommission einen Aktionsplan zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen, weil die »Resistenz gefährlicher Bakterien gegen Antibiotika zu einer immer größeren Bedrohung wird«. Als Ursachen nennt die Kommission den Einsatz von Antibiotika beim Menschen und in der Tierhaltung, mangelhafte Hygiene im Gesundheitswesen und in der Lebensmittelkette. Eine große Rolle spiele auch Unwissenheit: 57 Prozent der Europäer ist nicht klar, dass Antibiotika nicht gegen Viren wirksam sind.
Ihr Einsatz ist in Deutschland – bis auf wenige Ausnahmen – verboten.
Obwohl er sinnvoll sein könnte. Aber das zweite Problem ist die Expertise. Wir können nicht einfach übernehmen, was in Georgien, Polen, Bulgarien und Russland seit fünfzig Jahren praktiziert wird. Wir müssten ihre Kliniken besuchen, von den Kollegen, die in Phagentherapie erfahren sind, lernen. Und es müsste mehr und aktuelle Forschung hierzu geben.
Sie wären also an einer Zusammenarbeit interessiert?
Selbstverständlich. Wir sollten von den Kollegen dort lernen. Wer eine Idee hat, die funktioniert, mit dem möchte ich mich austauschen. Wir könnten unser Wissen mit ihrer Erfahrung vereinen, um smart phages zu entwickeln, die kontrollierbar sind und gezielt am Körper eingesetzt werden können. Phagen zähle ich dann zu den smart antibiotics. Der internationale Austausch ist notwendig.