alzheimer.ch: Sie haben viele Jahre als Journalistin gearbeitet. Wie kommt es, dass Sie dann ausgerechnet Trauerrednerin geworden sind?
Louise Brown: Das hat wohl mit meiner eigenen Geschichte zu tun. Meine Eltern sind beide 2011 innerhalb von drei Monaten gestorben. Ich habe die Trauer zunächst verdrängt, in meiner Familie wurde nie über den Tod gesprochen.
Meine Eltern stammten aus der Kriegsgeneration, sie haben sich hochgearbeitet, und für sie galt immer: Mit harter Arbeit schafft man alles. Ich habe nach ihrem Tod weiter hart gearbeitet und mich um meinen Sohn gekümmert, anstatt zu trauern. In der Zeit habe ich allerdings schlecht geschlafen und spürte eine grosse innere Leere.
Ein Jahr nach dem Tod meiner Eltern habe ich angefangen, Bücher über Trauer und Tod zu lesen, Radiobeiträge zu hören.
Schliesslich habe ich mit eine Trauerbegleiterin gesprochen, das hat mir sehr geholfen. Der entscheidende Antrieb, Trauerrednerin zu werden, kam durch ein Interview, das ich als Journalistin mit einem Bestattungsunternehmer geführt habe: Er fragte mich, ob ich mir vorstellen könne, als Trauerrednerin zu arbeiten. So bin ich in den Beruf hineingerutscht, als Quereinsteigerin.
Bei Ihrer Arbeit haben Sie immer wieder mit grossem Leid zu tun, Sie gehen ja nach Hause zu den Hinterbliebenen, sprechen mit ihnen. Wie kommen Sie psychisch damit klar?
Die Frage bekomme ich häufig gestellt, auch aus dem Freundeskreis. Wenn ich eine Familie besuche, höre ich erst mal einfach zu. Ich versuche, die Arme auszubreiten und den Schmerz aufzunehmen. Für die Angehörigen ist das oft eine grosse Erleichterung, einfach zu reden, zu erzählen, wie es ihnen geht.
Aber wir reden ja nicht nur über den Tod, sondern auch über das Leben, ich erfahre viel aus der Biografie der Verstorbenen. Die Gespräche mit den Angehörigen sind oft so lebendig, dass ich beschwingt nach Hause gehe. Die Trauer öffnet Menschen, dadurch entsteht eine enge Verbindung zwischen ihnen und mir. Normalerweise reissen wir uns im Leben ja meist zusammen.
Können Sie Trauernden Trost spenden?
Ich hoffe das. Ich bin ja von Anfang bis zum Ende dabei, von den Gesprächen bis zur Abschiedsfeier. Ich kann den Trauernden ihren Schmerz nicht nehmen, aber es kann ihnen viel Kraft geben, wenn der Abschied für sie tröstlich war. Zumindest sagen mir oft Familien hinterher, dass ihnen die Abschiedsfeier und auch die Rede in dieser Zeit geholfen haben.
Sind Sie noch aufgeregt vor einer Trauerfeier?
Immer. Wenn die erste Musik ertönt, klopft mein Herz wie wild. Mitunter schaue ich dann zur Urne oder zum Sarg und halte ein kurzes Zwiegespräch mit dem Verstorbenen und sage ihm: Ich mache das jetzt für dich. Dann legt sich die Aufregung wieder.
Erst Journalistin, dann Trauerrednerin
Louise Brown wurde 1975 in London geboren und ist in Schleswig-Holstein aufgewachsen. Nach dem Studium arbeitete sie als Journalistin, seit 2015 ist sie auch Trauerrednerin. Louise Brown lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Ihr Buch «Was bleibt, wenn wir sterben» (256 Seiten, 30,- sFr) ist im Diogenes Verlag erschienen.
Wenn eine Familie zerstritten ist, hoffe ich, dass ich den richtigen Zugang zu der verstorbenen Person gefunden habe. Ich versuche immer, den roten Faden in einem Leben zu finden. Dabei ist völlig unwichtig, ob ein Mensch Karriere gemacht hat und wie viele Autos in seiner Garage stehen.
Häufig sprechen Sie über Menschen, die an Demenz verstorben sind. Wie offen reden Sie in Ihrer Trauerrede über die Krankheit? Was wünschen die Angehörigen?
Ich habe tatsächlich viele Reden geschrieben, in denen die Demenz ein Thema ist, und spreche stets offen davon. Nach meiner Erfahrungen wird das von den Angehörigen auch gewünscht. Man kann ja gar nicht über das Leben des Verstorbenen und über die gemeinsame Zeit sprechen, ohne die Krankheit zu benennen.