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«Es funktioniert nur, wenn die Familie unterstützt»

Zu pflegende Person und Betreuerin haben je ihre eigene Persönlichkeit und Eigenschaften. Deshalb macht es Sinn, in einer Probezeit herauszufinden, ob das Arragement für alle passt. Bild Daniel Kellenberger

Bożena Domańska pflegt und betreut Menschen im häuslichen Umfeld. Sie liebt ihre Arbeit. Trotzdem findet sie klare Worte über den Nutzen und die Grenzen der sogenannten 24-Stunden-Pflege und Betreuung.

Bożena Domańska verliess vor 30 Jahren ihre Heimat Polen, um erst in Deutschland und später in der Schweiz zu arbeiten. Seit zehn Jahren lebt sie in Basel, wo sie Menschen, auch mit Demenz, in deren Zuhause umsorgt. Mit alzheimer.ch spricht sie darüber, was die «24-Stunden-Pflege» tatsächlich leisten kann – und wo Probleme liegen.

alzheimer.ch: Frau Domańska, für viele Familien klingt die 24-Stunde-Pflege nach einer perfekten Lösung: Der Mensch mit Demenz kann weiter zu Hause wohnen und wird rundum versorgt. Ist das in Ihren Augen auch eine Ideallösung?

Bożena Domańska: Für manche ist es eine gute Lösung, aber ich sehe auch Probleme. Dieses Modell kann schwierig werden, sowohl für den Menschen mit Demenz als auch für die Betreuungskraft. Jemanden mit Demenz zu betreuen und pflegen erfordert einiges an Wissen und viel Erfahrung. Und:

Niemand kann sich alleine um eine Person mit Demenz kümmern, auch keine Betreuungskraft.

Manche Familien haben aber die Erwartung, dass eine Betreuungskraft aus Polen oder Rumänien 24 Stunden täglich im Einsatz ist und die ganze Pflege und Betreuung übernimmt. Das funktioniert nicht.

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Ich habe über zwei Jahre eine Frau mit Demenz betreut. Die Familie war sehr besorgt und sie hatte grosse Probleme mit ihr. Die Frau ist häufig von zu Hause weggelaufen, hat aber nicht mehr zurückgefunden und wurde dann von der Polizei heimgebracht.

Bożena Domańska ist seit 30 Jahren Care-Migrantin.Bild privat

Die Familie wusste nicht, wie sie mit ihr umgehen soll. Es kam zu vielen Schwierigkeiten und auch aggressivem Verhalten. Aber das lag auch daran, dass die Frau keine Stabilität hatte. Ich bin zu ihr gezogen und habe ihr Vertrauen gewonnen. Ich erinnere mich an eine schöne Zeit mit ihr, obwohl es oft anstrengend war.

Was waren Ihre Aufgaben?

Ich habe mit ihr den Alltag gelebt. Ich habe ihr eine Tagesstruktur vorgegeben, weil ich gemerkt habe, dass ihr das guttut. Ich habe sie morgens geweckt, ihr beim Waschen und Anziehen geholfen, ihr das Frühstück bereitet und dann tagsüber unterstützt bei dem, was anlag. Manchmal hatte sie einen Arzttermin oder hat sich mit jemandem getroffen.

Ich habe mich auch um den Haushalt gekümmert: gewaschen, geputzt, gekocht. Nachmittags haben wir einen Spaziergang gemacht oder waren in einem Café. Ich habe mit ihr gelesen oder ferngesehen. Abends habe ich ihr beim Zubettgehen geholfen.

Und nachts? 

Menschen mit Demenz verwechseln oft Nacht und Tag. Phasenweise war das bei der Dame auch so. Dann ist sie um zwei Uhr nachts aufgestanden. Ihr Schlafzimmer war oben und meines auch. Sie konnte sich noch gut alleine bewegen und ist dann nachts mit dem Lift nach unten ins Wohnzimmer gefahren.

Wenn ich den Lift gehört habe, wusste ich, dass sie unterwegs ist.

Ich bin hinuntergegangen und habe gesagt, dass es doch mitten in der Nacht ist. Für sie war es Nachmittag. Sie wollte fernsehen und ich habe sie gelassen. Aber ich konnte natürlich nicht mehr schlafen. Manchmal ist sie auch nachts herumgelaufen und in mein Zimmer gekommen. Da habe ich mich sehr erschrocken. Sie war auf der Suche nach ihrem Mann, der längst tot war. Menschen mit Demenz leben in ihrer eigenen Welt.

Das klingt, als wären Sie doch 24-Stunden im Einsatz. Wie ist das mit den Arbeitszeiten?

Gerade wenn man Menschen mit Demenz betreut, muss man flexibel sein. Das gilt auch für die Arbeitszeiten. Manche Tage sind aktiver, andere ruhiger. Ich höre oft von anderen, dass die Betreuung in der Nacht ein grosses Thema ist. Da muss man aufpassen, dass die Menschen nicht aus dem Bett fallen. Oder sie wandern nachts durch Haus, weil der Tag-Nacht-Rhythmus fehlt. Als Betreuungskraft raubt das viel Kraft. Man muss ja tagsüber fit sein und sich kümmern.

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Wie war Ihre Rolle in der Familie?

In dieser Familie war das Verhältnis sehr familiär. Ich glaube, das ist wichtig, damit dieses Modell überhaupt gelingen kann.

Anfangs hatte ich das Gefühl, dass oft nicht gesehen wird, wie viele Aufgaben ich als Betreuerin erledige.

Einmal kam jemand von der Familie gerade in dem Moment, als ich die Bettwäsche komplett wechseln und die Dame duschen musste. Von da an war mehr Verständnis da. Selbst wenn ich mit den Menschen ein Buch lese oder fernsehe, das ist ja auch meine Arbeit. Es ist anstrengend, weil man immer aufpassen muss. Es funktioniert nur dann gut, wenn die Familie unterstützt, sich weiter kümmert und man selber Freizeit hat und abschalten kann.

Sie engagieren sich für faire Arbeitsbedingungen und sind im Netzwerk Respekt -VPOD Ansprechpartnerin für Care-Migrantinnen. Mit welchen Problemen kommen sie zu Ihnen? 

Die Frauen kontaktieren mich oft bei Problemen mit ihren Arbeitgeber:innen. Häufig geht es darum, dass sie Überstunden gemacht haben, sie aber nicht bezahlt bekommen. Oder sie haben keine Freizeit. Beim Verein erhalten die Betreuer:innen Rechtsberatung.

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Manchmal sind es nur Missverständnisse, die durch mangelnde Sprachkenntnisse entstanden sind und sich leicht klären lassen. Wenn die Frauen aber einen sehr niedrigen Lohn oder keinen Freizeitausgleich bekommen, intervenieren wir. Da haben wir auch schon geklagt und gewonnen.

Wissen die Frauen, welche Rechte sie haben? 

Viele Frauen kennen ihre Rechte, aber es ist schwierig, mit der anderen Seite zu reden, wenn die nicht reden will. Oder wenn Arbeitgeber:innen Überstunden nicht bezahlen, weil sie meinen, das sei nicht notwendig.

Oft höre ich das Argument: «Das ist viel Geld für Polen».

Aber wir können in Deutschland und in der Schweiz doch nicht polnische oder rumänische Löhne kriegen! Wir müssen davon leben und unsere Familien auch. Eine Frau hat sich einmal an mich gewandt. Sie hat für 2000 Franken im Monat gearbeitet. Sie musste Überstunden machen und ihr wurde gesagt, dass sie dafür doch den Ausblick auf die Berge geniessen könne.

Oder Frauen berichten, dass sie direkt neben der zu pflegenden Person schlafen müssen, weil diese nachts nicht alleine sein kann. Das geht nicht. Die Frauen arbeiten hart und verlassen dafür ihre Familien. Ich finde es traurig, dass das nicht gesehen und gewürdigt wird.

Wie war das bei Ihnen? 

Als ich mit der Betreuung angefangen habe, habe ich meine kleine Tochter bei meiner Mutter gelassen. Ich war immer für zwei bis drei Monate weg und bin dann wieder zurück. Verdient habe ich nur, wenn ich gearbeitet habe. Mit dem Geld bin ich nach Polen und habe mich um meine Familie gekümmert. Als meine Eltern älter wurden, habe ich versucht, sie lange wie möglich zu pflegen. Als sie bettlägerig wurden, musste ich sie in ein Heim geben. Das war eine harte Zeit.

Ich glaube, nur wenige sehen unsere Situation.

Wir verlassen ja unsere Familien, um einen anderen Menschen zu pflegen und den Familien zu helfen. Da sollte eine gerechte Bezahlung selbstverständlich sein.

Was braucht es, damit dieses Pflegemodell gelingt?

Wichtig ist, dass man gleich am Anfang bespricht, wie man mit den Überstunden und Arbeitszeiten umgeht und das auch einhält. Ein fairer Lohn ist wichtig und sollte auch bezahlt werden, wenn die Frau Urlaub hat.

Wir empfehlen immer eine Probezeit von einer Woche oder einem Monat. Jede zu pflegende Person und jede Betreuerin haben ihre Persönlichkeit und Eigenschaften – und es muss für beide Seiten stimmen. Besonders in der Demenzbetreuung ist es wichtig, dass man zueinander passt. Eine Verbindung zu finden und Vertrauen aufzubauen ist essenziell. Nur so kann man Sicherheit geben und jemanden mit Demenz pflegen und betreuen.

«Es macht Menschen krank, wenn sie mit ihren Problemen allein gelassen werden. Deshalb ist es gut, dass es demenzjournal.com gibt.»

Gerald Hüther, Hirnforscher und Bestsellerautor

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